Am Dienstag, 1. September 2020 erinnerten im Forum 2030 vernetzte Initiativen, Gruppierungen und Parteien beim „Mahnmal für die zivilen Opfer des Nationalsozialismus und des 2. Weltkrieges“ auf dem Alten Friedhof in Kirchheim an das unermessliche Leid, das der Zweite Weltkrieg über die Menschheit brachte. In kurzen Statements und Gedichten anlässlich des Antikriegstags 2020 unter dem Motto „Nie wieder Krieg! In die Zukunft investieren statt aufrüsten!“ machten mehrere Redner auf drängende Herausforderungen der Gegenwart aufmerksam: die Steigerung der Rüstungsausgaben, die Modernisierung der Atomwaffen und die Zunahme der Rüstungsexporte.
Hans Dörr, Forum 2030
Liebe Engagierte in Sachen Frieden,
Nie wieder Krieg! In die Zukunft investieren statt aufrüsten! So lautet das Motto der Gewerkschaften und der Friedensbewegung für den Antikriegstag 2020.
Mit seinem Überfall auf Polen am 1. September 1939 hat Nazi-Deutschland die Welt in den Abgrund eines Krieges gestürzt, der unfassbares Leid über die Menschheit gebracht und 60 Millionen Tote gefordert hat.
75 Jahre nach Kriegsende liegt es an uns, an den unermesslichen Schrecken von Krieg und Verfolgung – auch hier in Kirchheim – zu erinnern und auch der Millionen von Holocaust-Opfern zu gedenken, die von den Nazis ermordet wurden. Deutschland trägt angesichts dieser Menschheitsverbrechen eine besondere Verantwortung für den Frieden. Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus! So lautet die Lehre, die Gewerkschaften und Friedensbewegung aus der Geschichte gezogen haben. Für dieses Ziel müssen wir uns heute wieder mit all unserer Kraft stark machen.
Wir erleben derzeit international den Abgesang auf eine Politik der Abrüstung, Entspannung und Zusammenarbeit. Die Hoffnung auf eine neue multilaterale, friedliche Weltordnung droht zu zerbrechen.
Wir erleben eine Welt, die immer stärker aus den Fugen gerät. Nationalismus und Militarismus greifen wieder um sich und setzen eine neue Spirale der Aufrüstung in Gang.
75 Jahre nach dem Abwurf der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki erreicht der nukleare Rüstungswettlauf ungeahnte Ausmaße. Die neun Atommächte stecken Unsummen in die Modernisierung ihrer Nukleararsenale. Anfang des nächsten Jahres könnte mit dem russisch-amerikanischen „New Start“-Vertrag das letzte verbliebene Rüstungskontrollregime für Atomwaffen auslaufen.
Die Corona-Krise legt schonungslos offen, wie gravierend die Fehlverteilung der öffentlichen Mittel ist. Im Bundeshaushalt 2020 waren ursprünglich 12 Prozent der Ausgaben für den Verteidigungsetat vorgesehen, während nur ein Drittel davon in das Gesundheitssystem fließen sollte.
Es ist höchste Zeit, das Ruder herumzureißen! Die Pandemie, der Klimawandel, die Digitalisierung – all diese gewaltigen Herausforderungen bedrohen den gesellschaftlichen Zusammenhalt und vergrößern die soziale Ungleichheit.
Wir müssen gegensteuern! Dafür sind neben einem starken und solide finanzierten Sozialstaat immense öffentliche Investitionen nötig – in Gesundheit und Pflege, in unser Bildungssystem, in eine sozial-ökologische Gestaltung der Energie- und Verkehrswende, in die kommunale und digitale Infrastruktur und in den sozialen Wohnungsbau. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, sich endgültig von der Zwei-Prozent-Vorgabe der NATO zu lösen und die für Rüstungsausgaben vorgesehenen Mittel in ein sozial gerechtes Deutschland und Europa mit nachhaltigen Zukunftsperspektiven zu investieren.
Vielen Dank für euer Engangement in Sachen Frieden.
Martin Lempp trug zwei Gedichte vor: „Bitten der Kinder“ (Berthold Brecht) und „Wettrüsten“ (Bertha von Suttner)
Bitten der KinderBertolt Brecht (1898-1956)
Die Häuser sollen nicht brennen.
Bomber sollt man nicht kennen.
Die Nacht soll für den Schlaf sein.
Leben soll keine Straf sein.
Die Mütter sollen nicht weinen.
Keiner soll müssen töten einen.
Alle sollen was bauen.
Da kann man allen trauen.
Die Jungen sollen‘ s erreichen.
Die Alten desgleichen.
Wettrüsten –Bertha von Suttner (1843-1914)
Meine Rüstung ist die defensive,
Deine Rüstung ist die offensive,
Ich muss rüsten, weil du rüstest,
Weil du rüstest, rüste ich,
Also rüsten wir,
Rüsten wir nur immer zu.
(aus: Die Waffen nieder! Seite 192)
Außerdem berichtet er von einem Gespräch, das er mit seiner 95-jährigen Mutter vor einigen Tagen führt:
„Vor ein paar Tagen habe ich mit meiner Mutter über den 1. September 1939 gesprochen und sie gefragt, wie es für sie damals war. Sie sagte mir Folgendes: „Ich war am Kriegsbeginn 14 Jahre alt. Und ich weiß noch ganz genau, dass ich damals in einer Art freudigen Erregung war.“Jetzt können wir es den Polen heimzahlen“ sagte ich zu meinem Vater.Ich werde das Gesicht meines Vaters nie mehr vergessen, als er mir mit tieftraurigen Ton antwortete: „Oh Mädchen. Was weißt Du denn was Krieg ist!“ Später wusste ich es. Zwei meiner Brüder sind umgekommen, mein damaliger Verlobter und alle seine drei Brüder und sein Vater haben den Krieg nicht überlebt. Auch zwei Brüder meines Mannes starben jämmerlich.Jetzt bin ich 95 Jahre alt und bin froh, dass wir hier so lange im Frieden leben konnten und ich bin entsetzt über die Waffenlieferungen der Deutschen und dass wir wieder in neue Kriege verwickelt sind.“
Ansprache von Karl-Heinz Wiest, Pax Christi Kirchheim.
Liebe Freundinnen und Freunde,
heute finden aus Anlass des Antikriegstages wie hier in Kirchheim in vielen Städten kleinere oder größere Kundgebungen und Veranstaltungen statt. Und es ist dringend geboten, dass auch wir uns wieder vernehmbar auf den Straßen und Plätzen dieser Republik zeigen – in einer Zeit, wo Nazis zum Sturm auf Berlin aufrufen und sich vor dem Reichstag mit Reichskriegsflagge und der Flagge des Kaiserreichs aufbauen. Sie zeigen damit unverhohlen, wer sie sind: Die geistigen und politischen Nachfolger derjenigen, die dieses Land in zwei Weltkriege gestürzt haben! Denen können wir nicht den öffentlichen Raum überlassen!
Vor fast vier Wochen haben wir in Kirchheim im Garten des Vogthauses an die Opfer der Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki vor 75 Jahren erinnert. Während die Überlebenden und Zeitzeugen, die noch vor den katastrophalen Folgen warnen konnten, immer weniger geworden sind, sind die Gefahren aus der atomaren Bewaffnung gestiegen. Denn die Zerstörungskraft moderner Atomwaffen ist um ein Vielfaches größer als 1945. Gut 13 000 nukleare Sprengköpfe gibt es heute nach der aktuellen Zählung von SIPRI. 90 % davon stehen unter Kontrolle der Regierungen Russlands und der USA, und diese haben in den letzten Jahren nichts Ernsthaftes mehr unternommen, um in Verhandlungen die Anzahl der Atomwaffen zu reduzieren.
Im Gegenteil: Mittlerweile steht auch die Verlängerung des New Start-Vertrages 2021 auf dem Spiel, der mit seinen Vorläufern zur Verringerung der Atomwaffenarsenale seit den 1990er-Jahren beigetragen hat. Heute erleben wir, wie die Atommächte ihre Bestände modernisieren und diesen in ihren Militärstrategien wieder wachsende Bedeutung zumessen. Eine neue Runde atomarer Aufrüstung hat bereits begonnen! Die Bundesrepublik Deutschland sollte in dieser Situation dringend den UN-Atomwaffensperrvertrag von 2017 unterzeichnen und ratifizieren – 10 Staaten, die ihn ratifizieren, fehlen noch, um ihn in endlich völkerrechtlich in Kraft zu setzen. Gleichzeitig fordern wir die Bundesregierung auf: Schaffen Sie keine neuen Trägerflugzeuge für die in Büchel gelagerten US-Atombomben an! Setzen Sie sich für den Abzug dieser Atombomben ein! Das hat der Deutsche Bundestag schon 2010 gefordert, und seither ist nichts passiert.
Und auch an einer anderen Stelle muss dringend etwas passieren: Folgen wir dem aktuellen Rüstungsexportbericht der Bundesregierung, so wurden im Jahr 2019 Genehmigungen für die Ausfuhr von Rüstungsgütern im Wert von ca. 8,5 Mrd. € erteilt. Die Bundesrepublik Deutschland steht damit in der Rangliste der Rüstungsexporteure auf Platz 4. Nach wie vor stehen Empfänger-länder wie zum Beispiel Ägypten und die arabischen Emirate auf der Liste, die im eigenen Land Menschenrechte missachten und sich gleichzeitig in die Bürgerkriege in Libyen und im Jemen einmischen. Das ist kein Beitrag zu Frieden und Entwicklung, sondern ein Skandal! Rechtlich unverbindliche Exportrichtlinien und ein nicht transparentes Entscheidungsverfahren tragen zu diesem Skandal bei. Wir brauchen deshalb endlich ein Rüstungsexportkontrollgesetz, das die Ausfuhr von Rüstungsgütern in Spannungsgebiete und in Staaten, welche die Menschenrechte missachten, verhindert und damit dem Friedensauftrag unseres Grundgesetzes gerecht wird.
Die internationale katholische Friedensbewegung Pax Christi, für die ich hier spreche, und zahlreiche andere Organisationen aus der Friedensbewegung setzen sich gemeinsam in der Aktion Aufschrei/Stoppt den Waffenhandel für dieses Ziel ein. Unterstützen Sie uns dabei!
Heinz Pötzl, attac Regionalgruppe Kirchheim u. Teck trug einen Text von Berthold Brecht aus dem Jahr 1952 vor.
Das Gedächtnis der Menschheit – Bert Brecht
Das Gedächtnis der Menschheit für erduldete
Leiden ist erstaunlich kurz.
Ihre Vorstellungsgabe für kommende
Leiden ist fast noch geringer.
Die Beschreibungen, die der New Yorker
von den Gräueln der Atombombe erhielt,
schreckten ihn anscheinend nur wenig.
Der Hamburger ist noch umringt von den Ruinen, und doch zögert er, die Hand gegen einen neuen Krieg zu erheben.
Die weltweiten Schrecken der vierziger Jahre scheinen vergessen. Der Regen von gestern macht uns nicht nass sagen viele.
Diese Abgestumpftheit ist es, die wir zu bekämpfen haben, ihr äußerster Grad ist der Tod. Allzu viele kommen uns schon heute vor wie Tote, wie Leute, die schon hinter sich haben, was sie vor sich haben, so wenig tun sie dagegen.
Und doch wird nichts mich davon überzeugen,
dass es aussichtslos ist, der Vernunft gegen ihre Feinde beizustehen.
Lasst uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde!
Lasst uns die Warnungen erneuern,
und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind!
Denn der Menschheit drohen Kriege,
gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind, und sie werden kommen ohne jeden Zweifel, wenn denen, die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten, nicht die Hände zerschlagen werden.
Ansprache Heinrich Brinker, Forum 2030
Wir stehen hier vor dem Denkmal der zivilen Opfer von Krieg und Faschismus von 1933 bis 1945.
Das Denkmal zeigt eine lange ignorierte Seite von Kriegen. Während auf den meisten Friedhöfen Deutschlands nur der Soldaten gedacht wird, werden hier die zivilen Opfer des Kriegen und des Faschismus gedacht. Die Zitate auf der Skulptur gedenken der Juden, Euthanasieopfer, Sinti und Roma, Kommunisten, Homosexuelle, Kinder, Frauen, Männer, Mütter und Väter.
Dieses Denkmal soll die Lebenden mit den Toten und die Gegenwart mit der Vergangenheit verbinden. Die Opfer mahnen uns, die Verantwortung für die Gegenwart zu übernehmen.
Die Lehre aus den beiden Weltkriegen ist: „Nie wieder Krieg“. In vielen Teilen der Welt herrscht heute Krieg. Deutschland ist mit seinen Waffenexporte und Bundeswehreinsätzen ein Teil der weltweiten Aufrüstung geworden. Mit 2 Billionen Dollar haben die Militärausgaben nie gekannte Höhen erreicht. Deutschland ist in den letzten Jahren sogar Treiber der Aufrüstung geworden und setzt alles daran, 2% des Bruttosozialprodukts für die Aufrüstung zur Verfügung zu stellen. Während für Bildung, Soziales, Renten, Gesundheit und Umweltschutz nur unzureichende Mittel zur Verfügung stehen, soll künftig der Rüstungsetat um weitere 30 Mrd. Euro auf ca. 80 Mrd. Euro erhöht werden. Letztes Jahr waren es bereits 49 Mrd.
Die Militarisierung der EU zeigt, dass sie heute alles andere ist als ein Friedensprojekt. Das zeigt sich nicht nur an der militärischen Hardware. Es werden klassische Instrumente nationalistischer Ideologie eingesetzt. Zum Beispiel: Feindbildpropaganda. Seit Jahren und lange vor der Ukraine-Krise gegen Russland, jetzt auch mit wachsender Intensität gegen China. Dabei sind Demokratie und Menschenrechte nur vorgeschoben, denn bei Saudi-Arabien, Ägypten u.ä. ist das nicht nur kein Thema, sondern Rüstungsexporte und Wirtschaftsbeziehungen mit solchen Regimen blühen ungestört. Das Regelwerk des Völkerrechts wird dabei oft ignoriert.
Gleichzeitig erleben wir globale Herausforderungen, die nur gemeinsam bewältigt werden können. Der Klimawandel und die Corona Pandemie zeigen: ungeheure Mittel sind notwendig, um diese und viele weitere Problem zu lösen: Bevölkerungswachstum, Ernährungskrise, Artensterben. Wie sollen diese Aufgaben bewältigt werden, wenn die verfügbaren Mittel mit Waffen verschwendet werden.
Eckpunkte einer hilfreichen und dringend nötigen Strategie wären eine neue Politik der Koexistenz, Respekt für die verbindlichen Normen des Völkerrechts, Initiativen zur Vertrauensbildung und Entspannung mit China und Russland, Abrüstungsinitiativen, Auflösung der Militärbündnisse, Stärkung der UNO und regionaler Institutionen, sowie die Umlenkung von Ressourcen zur Finanzierung globaler Pojekte.
Was können und sollten wir hier in Kirchheim tun?
- Wir können aufklären und informieren – und dafür Formen der Information finden, die die Menschen bei uns erreichen.
- Wir können Veranstaltungen, Aktionen und Infostände organisieren.
- Wir können Aktionsangebote machen, die es Menschen möglich machen, sich zu engagieren.
- Wir können aufmerksam machen, was in unserer Stadt passiert.
- Wir können uns vernetzen und Foren bilden.
- Und wir können zeigen, dass wir in unserer Stadt Viele sind.
Wie eingangs schon gesagt: Dieses Denkmal soll die Vergangenheit mit der Gegenwart und die Lebenden mit den Toten verbinden. Es mahnt uns, jetzt gemeinsam für Frieden und Demokratie aktiv zu werden. Als Zeichen der Hoffnung und als Zeichen dafür, dass wir diese Verbindung und diese Mahnung sehr ernst nehmen und für wichtig halten, hinterlassen wir heute diese Blumen.