Corona NEWS aktuell

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Chinas große Umwälzung

Rezension aus WiSo

Chinas große Umwälzung

  1. April 2020 | Philipp Hanke

In seinem neuen Buch will Felix Wemheuer Konturen und Linien im Kontext der Entwicklungen von Globalisierung, Entkolonialisierung, Kaltem Krieg und neoliberalem Kapitalismus sichtbar machen – ausdrücklich als einen »Anfang«, um »die Diskussion an[zu]regen.«

Es geht um die Fragen: Was kennzeichnet die moderne chinesische Gesellschaft? Wird China das Weltsystem grundlegend ändern oder selbst zu einem neuen kapitalistischen Zentrum aufsteigen?

Rückständigkeit zu überwinden, den Westen ökonomisch einzuholen, schließlich den historischen Anspruch vom »Reich der Mitte« in der Gegenwart erneut zu realisieren, kennzeichnen den einen Plan der chinesischen Führung, seit die Kommunistische Partei (KPCh) am 1. Oktober 1949 die Volksrepublik gründete. In immer wieder neuen Anläufen mit einer von radikalen Reformen bestimmten Innenpolitik machte sich die Partei daran, China quasi im Schnelldurchlauf von einer Agrargesellschaft zu einer führenden Hochtechnologienation zu entwickeln. Mit Erfolg: Das Mitte des vorigen Jahrhunderts überwiegend agrarisch geprägte Land ist inzwischen die größte Volkswirtschaft der Welt. Der Großteil der Bevölkerung lebt heute in stetig wachsenden urbanen Ballungszentren. Das bedeutet nicht nur für die chinesische Gesellschaft eine grundlegende Herausforderung, sondern auch für das internationale Machtgefüge.

Chinas Kalkül und die globale Welt

Der Anspruch Wemheuers – die innenpolitischen Entwicklungen einzuschätzen und zugleich ihre globalen Auswirkungen im Blick zu haben – spiegelt sich im Aufbau des Buches wider. Der erste Teil handelt von Chinas »Aufstieg im Weltsystem«, der zweite vom »sozialen Wandel der Gesellschaft und [ihrer] Konflikte«.

Analytisches Rüstzeug des Autors sind Marx’ Analyse des »Kapitalismus« und die »Weltsystemtheorie« des Kapitalismus- und Globalisierungskritikers Immanuel Wallerstein. Den globalen Zusammenhang entdeckt Wemheuer etwa in der Gleichzeitigkeit von Privatisierungen in einigen Teilen Chinas sowie der Bundesrepublik, in der Auseinandersetzung mit den zeitgenössischen, kolonialen Befreiungsbewegungen und in dem von Umbrüchen und Verwerfungen geprägten Verhältnis zu den Supermächten USA und der Sowjetunion.

Wemheuer zeigt auf, wie die sozialistischen Staaten in ökonomischer Hinsicht gegenüber dem kapitalistischen Westen ins Hintertreffen gerieten und die Solidarität zwischen sozialistischen Bruderstaaten allmählich erodierte. Während die UdSSR zunehmend an revolutionärer Integrationskraft einbüßte und es der KPdSU nicht gelang, durch entsprechende Umgestaltungen ihre Macht nachhaltig zu sichern, vollzog die KPCh gegen Ende der 1970er Jahre grundlegende Reformen, in deren Folge sich die Volksrepublik vom Status der »Werkbank« der Welt rasant zur neuen technologischen Supermacht entwickelte.

Der Autor beschreibt dabei das Handeln der KPCh als planvoll und kalkuliert und unterstreicht ihre Lernfähigkeit angesichts des Scheiterns der Sowjetunion: Man beobachtete die Entwicklungen dort genau und entschied sich deshalb dazu, den eigenen Markt für westliches Kapital zu öffnen. Als Partner und Konkurrent der USA sollte zum einen die Entwicklung der chinesischen Wirtschaft vorangetrieben werden, zum anderen wertvolles technologisches Wissen gewonnen werden, um selbst bedeutender Standort für die Produktion und Entwicklung von Hochtechnologie zu werden. Wemheuer gelingt es dabei, immer wieder die großen Linien des nach Plan ablaufenden Aufstiegs der Volksrepublik und der Wendepunkte in der Politik der KPCh auch als Wechselwirkung mit den globalen Entwicklungen aufzuzeigen.

So konstatiert er für die Jahre vor 1989 eine gewisse Liberalisierung der chinesischen Gesellschaft und verweist auf »die transnationale und ideologische Bandbreite und Offenheit, mit der im China der 1980er-Jahre über den weiteren Weg der Reformen diskutiert wurde.« (S. 103) Die Ereignisse des Jahres 1989 bedeuteten demgegenüber einen klaren Bruch. Die Ereignisse auf dem Tiananmen-Platz unter Verhängung des Kriegsrechts beschreibt er als Triumph der Hardliner, die unter keinen Umständen ihre Macht einbüßen wollten, damit die Volksrepublik nicht das gleiche Schicksal wie die Sowjetunion ereile.

Staatskapitalismus und Macht

Im zweiten Teil seines Buches widmet sich Wemheuer dem Wandel der chinesischen Gesellschaft seit der Machtübernahme durch die KPCh. Dabei betrachtet er unter anderem den Staatskapitalismus und die Entwicklung einer »neuen Klasse« von Privatkapitalist*innen. Das vierte Kapitel ist eine Zusammenfassung der ebenfalls 2019 erschienenen Monographie »A Social History of Maoist China«. Dem Ansatz des Intersektionalismus folgend, charakterisiert der Autor die Mao-Ära als »semi-sozialistische Gesellschaft«, welche die Eliten und Strukturen der prärevolutionären Gesellschaft zerschlug und mit der »Kulturrevolution« trotz aller »Gewalt und Radikalität« nicht darüber hinwegtäuschen konnte, dass der »Umwälzung der Gesellschaft im Sinne einer Modernisierung sowie Aufbau des Sozialismus« (S. 174) Grenzen gesetzt waren. Erst die Reformperiode und die damit verbundene Öffnung für den Weltmarkt führten zu einer Modernisierung der Gesellschaft, ohne aber eine (westliche) Liberalisierung nach sich zu ziehen.

Dennoch haben Strukturmerkmale der Mao-Ära bis heute einen nachhaltigen Effekt auf die Gesellschaft. Im Gegensatz zur Sowjetunion war in China die Planung weniger stark zentralisiert und es wurde lokalen Behörden mehr Eigeninitiative bei der Verwendung von Steuergeldern zugesprochen, die somit selbst zu wirtschaftlichen Akteur*innen wurden. So kam es zu einer Verschränkung von wirtschaftlicher und politischer Macht, die mit der ökonomischen Liberalisierung seit der Reformära zu einem einzigartigen Wachstum führte, aber auch die Korruption in erheblichem Maße ansteigen ließ.

Bis heute entscheiden Parteiränge über gesellschaftlichen Status und damit einhergehende Privilegien. Inzwischen geht man von Seiten des Zentralkomitees gegen diese Form der Schattenwirtschaft vor. Die »Staatsklasse« als einflussreichste gesellschaftliche Macht ist das korrupte System, welches sich mittels Anti-Korruptionskampagnen gegenüber der Öffentlichkeit in ein gutes Licht zu stellen sucht (in den Jahren zwischen 2012 und 2016 waren über 1,1 Millionen Personen von dieser Kampagne betroffen). Nach Wemheuer werden es vor allem jene Kampagnen sein, die über die Zukunft der Volksrepublik entscheiden. Die Frage wird sein, ob es der Partei gelingt, ihre oligarchischen Strukturen zu bereinigen, ohne dabei an eigener Macht und gesellschaftlicher Legitimation einzubüßen.

Und die Neue Seidenstraße?

Felix Wemheuer stellt mit seiner Monographie eine lesbare Einführung zum Verständnis der Geschichte der Volksrepublik bereit. Das begriffliche Werkzeug, inspiriert von Marx und Wallerstein, ermöglicht es, die globalen Auswirkungen des Aufstiegs Chinas einzuordnen und das gegenwärtige Handeln der KPCh nachzuvollziehen. Was dabei etwas außen vor bleibt, sind zum Beispiel die »One Belt, One Road«-Initiativen Chinas zum Aufbau interkontinentaler Handels- und Infrastrukturnetze. Während die Rhetorik der KPCh bei diesem Projekt auf eine gemeinsame Entwicklung des weltweiten Handels und einer Hilfe zur Selbsthilfe hinweist (insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent), tritt die Volksrepublik als eine eigentlich neokoloniale Akteurin auf, die sich mit Krediten in dreistelliger Milliardenhöhe den Zugriff auf die Rohstoffmärkte zu sichern sucht. Trotz der umfangreichen Analyse des gegenwärtigen »Weltsystems« lässt der Autor damit die Frage offen, wie sich diese Initiative auf das globale Machtgefüge auswirken wird.

Außerdem geht er auch der Frage nach einer emanzipatorischen Perspektive aus dem Weg, die über eine Kritik der Situation der Menschenrechte in der Volksrepublik hinausreichen würde. Die KPCh hat sich zwar nie der »christlich-abendländischen« Menschenrechtsidee verpflichtet gefühlt, sondern sieht sie immer auch von den jeweiligen »Denkweisen« eines Landes abhängig. So wäre es aber interessant zu untersuchen, welcher Zweck jenseits der Machterhaltung hinter dem einzigartigen gesellschaftspolitischen Experiment der geplanten flächendeckenden Überwachung und des Sozialkreditsystems auszumachen ist. Denn mit seiner zunehmenden Hegemonie wird der »Sozialismus chinesischer Prägung« auch Auswirkungen auf das Leben in den einstigen Metropolen haben. Damit bleibt zu hoffen, dass durch Wemheuers Monographie eine Debatte angestoßen wird, die China als einen globalen Akteur ernst nimmt und über die Situation der Menschenrechte hinausweist.

Bibliografische Angaben

Felix Wemheuer 2019: Chinas große Umwälzung. Soziale Konflikte und Aufstieg im Weltsystem. PapyRossa, Köln. ISBN: 978-3-89438-676-4. 271 Seiten. 16,90 Euro.

Unsere Normalität kehrt nicht zurück

Blätter Ausgabe 5/2020 – Zusammenfassung

Unsere Normalität kehrt nicht zurück

von Adam Tooze

Adam Tooze ist ein britischer Wirtschaftshistoriker.

In seinem 2018 erschienen Buch Crashed – Wie zehn Jahre Finanzkrise die Welt verändert haben erzählt er die Geschichte der Finanzkrise sehr anschaulich. manchmal auch sehr lakonisch. Das macht das Buch trotz seiner 800 Seiten sehr gut lesbar.  Im Oktober 2018 hielt Tooze in Berlin in deutscher Sprache einen Vortrag zu seinem Buch.

Vor einem Jahr hatte Tooze in den „Blättern“ (Ausgabe Mai 2019) die Frage „Donald Trump oder: Das Ende des amerikanischen Zeitalters?“ erörtert.

Hier die Zusammenfassung seines aktuellen Beitrags „Die Normalität kehrt nicht zurück“:

Die Wirtschaft befindet sich derzeit nahezu in freiem Fall. Sollte sie weiter in ihrer derzeitigen Geschwindigkeit schrumpfen, läge das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in zwölf Monaten um ein Drittel niedriger als Anfang 2020. Diese Schrumpfungsrate ist vier Mal schneller als während der Großen Depression der 1930er Jahre. Noch nie zuvor ist es zu einer solchen Bruchlandung gekommen.

Noch vor wenigen Wochen, Anfang März, lag die Arbeitslosigkeit in den USA auf einem Rekordtief. Doch schon Ende März war sie auf ungefähr 13 Prozent emporgeschossen. Das ist der höchste Wert, der seit dem Zweiten Weltkrieg verzeichnet wurde. Die genaue Zahl ist unbekannt, da das amerikanische System zur Registrierung von Arbeitslosigkeit nicht dafür geschaffen wurde, eine solch schnelle Zunahme zu erfassen. Bei der gegenwärtigen Geschwindigkeit, so der Ökonom Justin Wolfers, steigt die Arbeitslosigkeit in den USA pro Tag um 0,5 Prozent.[1] Es ist nicht länger unvorstellbar, dass sie bis zum Sommer auf 30 Prozent angewachsen sein könnte.

Die westlichen Ökonomien stehen damit einem weitaus tieferen und brutaleren ökonomischen Schock gegenüber als sie ihn je zuvor erfahren haben. Normale Konjunkturzyklen beginnen für gewöhnlich bei den verletzlicheren Sektoren der Wirtschaft – Immobilien und Bauwirtschaft beispielsweise oder Schwerindustrie. Zusammen beschäftigen diese Sektoren in den USA weniger als ein Viertel der Arbeitskräfte. Daher überträgt sich der geballte Abwärtstrend in diesen Sektoren auf den Rest der Ökonomie nur als gedämpfter Schock.

Der coronabedingte Lockdown trifft jedoch direkt die Dienstleistungen – Einzelhandel, Immobilien, Bildung, Unterhaltung, Restaurants –, in dem heute 80 Prozent der Amerikaner arbeiten. Also fällt das Ergebnis unmittelbar und katastrophal aus.

In vielen Fällen werden die Läden, die Anfang März schlossen, nicht wieder öffnen. Die Jobs werden dauerhaft verlorengehen. Millionen von Amerikanern und ihre Familien stehen vor einer Katastrophe.

Erschütternde Aussichten

Dieser Schock ist nicht auf die Vereinigten Staaten beschränkt. Viele europäische Länder federn die Auswirkungen des Abschwungs mit Kurzarbeitergeld ab. Dies wird den Anstieg der Arbeitslosigkeit dämpfen. Doch der Kollaps der wirtschaftlichen Aktivität lässt sich nicht verbergen. Der Norden Italiens ist nicht bloß ein luxuriöses Touristenziel, sondern erwirtschaftet 50 Prozent des nationalen BIP. Deutschlands BIP wird Prognosen zufolge stärker schrumpfen als das der Vereinigten Staaten, weil die Bundesrepublik von ihrer Exportabhängigkeit heruntergezogen wird.

In reichen Ländern wie diesen können wir wenigstens versuchen, den Schaden zu schätzen. China erließ am 23. Januar als erstes Land einen Shutdown. Laut den jüngsten offiziellen Zahlen liegt Chinas Arbeitslosigkeit bei 6,2 Prozent.

Aber diese Zahl ist eindeutig eine grobe Untertreibung der Krise in China. Inoffiziell wurden möglicherweise nicht weniger als 205 Millionen Wanderarbeiter in den Zwangsurlaub geschickt, mehr als ein Viertel der chinesischen Erwerbsbevölkerung.[2]

Von Indiens 471 Millionen Menschen umfassender Erwerbsbevölkerung haben nur 19 Prozent einen Anspruch auf Sozialleistungen, verfügen zwei Drittel nicht über einen formalen Arbeitsvertrag und sind mindestens 100 Millionen als Wanderarbeiter tätig.[3]

Die Finanzkrise abwenden

Die Bemühungen, die zur Abfederung der Auswirkungen unternommen werden, sind historisch beispiellos.

In den Vereinigten Staaten hat der Kongress schon in den ersten Tagen des Shutdowns ein Konjunkturpaket verabschiedet, das bei weitem das größte ist, das Amerika in Friedenszeiten je gesehen hat. Weltweit wurde der Geldhahn aufgedreht. Das fiskalisch konservative Deutschland hat einen Notstand erklärt und seine Begrenzung der öffentlichen Verschuldung aufgehoben. Insgesamt sehen wir die größte vereinte finanzielle Anstrengung seit dem Zweiten Weltkrieg.

Eine noch dringlichere Aufgabe besteht darin, die Flaute nicht in eine immense Finanzkrise münden zu lassen. Allgemein heißt es, die US-Zentralbank Federal Reserve (Fed) folge dem Drehbuch von 2008. Neu ist jedoch das Ausmaß, in dem die Fed eingreift. Ende März kaufte die Fed jeden Tag Anlagen im Wert von 90 Mrd. US-Dollar. Das ist mehr pro Tag als sie in unter Ben Bernanke, der sie während der Finanzkrise leitete, in den meisten Monaten erwarb. Am Morgen des 9. April, als erneut eine erschreckende Arbeitslosenzahl veröffentlicht wurde, kündigte die Fed an, sie werde für zusätzliche 2,3 Billionen Dollar Anlagenkäufe tätigen.

Diese enormen und unmittelbaren Ausgleichsmaßnahmen haben bislang einen sofortigen globalen finanziellen Zusammenbruch verhindert.

Aber nun stehen wir einer langwierigen Periode gegenüber, in der sinkender Konsum und nachlassende Investitionen zu einer weiteren Schrumpfung führen.

73 Prozent der amerikanischen Haushalte geben an, im März einen Einkommensverlust erlitten zu haben. Für viele ist dieser Verlust katastrophal und stürzt sie in akute Not, Zahlungsverzug und Bankrott. Verspätete Zahlungen bei Privatkrediten werden zweifellos stark ansteigen und zu anhaltenden Schaden im Finanzsystem führen. Alle nicht notwendigen Ausgaben werden verschoben. Der Automarkt ist mausetot. Automobilhersteller in Europa und Asien sitzen auf gigantischen Mengen unverkaufter Fahrzeuge.

Je länger der Lockdown anhält, desto tiefere Narben wird er in der Wirtschaft hinterlassen und desto langsamer wird die Erholung ausfallen. In China kehrt die reguläre ökonomische Aktivität zwar langsam zurück.

Der kommende Schuldenstreit

Selbst wenn Produktion und Beschäftigung wieder begonnen haben, werden wir uns über Jahre mit den finanziellen Altlasten beschäftigen.

Momentan parken wir diese Schulden in den Bilanzen der Zentralbanken. Diese können auch die Zinsraten niedrig halten, wodurch der Schuldendienst nicht exorbitant sein wird. Aber das verschiebt nur die Frage, was man mit den Verbindlichkeiten anstellen soll.

Nach der konventionellen Auffassung müssen Schulden irgendwann zurückgezahlt werden, indem man Überschüsse erwirtschaftet, entweder durch Steuererhöhungen oder durch Ausgabenkürzungen.

Die Geschichte zeigt uns allerdings, dass es radikalere Alternativen gibt.

  • Eine bestünde in einem Ausbruch der Inflation.
  • Eine andere wäre ein Ablassjahr, was ein höflicher Name für das Nichtzahlen von Staatsschulden ist (was weniger drastisch ist, als es klingt, solange es die Schulden bei der Zentralbank betrifft).
  • Manche haben sogar vorgeschlagen, die Zentralbanken sollten aufhören, staatliche Schuldscheine zu kaufen und den Regierungen stattdessen einfach ein gigantisches Kassenguthaben gutschreiben.[4]

Und am 9. April kündigte die Bank von England genau das an. Das bedeutet in jeder Hinsicht, dass die Zentralbank einfach Geld druckt. Symptomatisch ist auch, dass die Entscheidung der Bank von England bisher nicht zu einem Sturm der Entrüstung oder Panikverkäufen geführt hat, sondern auf den Finanzmärkten mit kaum mehr als Schulterzucken quittiert wurde.

Diese resignierte Haltung ist bei der Krisenbekämpfung hilfreich. Aber man sollte nicht erwarten, dass die Ruhe anhält. Wenn sich der Deckel hebt, wird die Politik wiederkehren und mit ihr der Streit über „Schuldenlasten“ und „Tragfähigkeit“. Und angesichts der Verbindlichkeiten, die jetzt schon angehäuft wurden, dürfte er hässlich werden.

Radikale Unsicherheit

Bei einem Großteil der Weltbevölkerung sind die grundlegenden Abläufe ihres Lebens radikal unterbrochen. Niemand von uns kann mit Sicherheit sagen, wann wir zu unseren Leben von vor Corona-Zeiten zurückkehren können. Wir mögen hoffen, dass alles „zur Normalität zurückkehrt“. Aber woher werden wir das wissen? Schließlich schien im Januar alles normal, nur Wochen bevor die Welt stehen blieb. Wenn radikale Unsicherheit zuvor eine Sorge war, wird sie nun eine immer präsente Realität sein. Jede Grippesaison wird ängstlich beobachtet werden. Um medizinische Metaphern zu vermischen: Wie lange wird es dauern, bevor wir uns symptomfrei erklären können?

Es ist möglich, dass es im Anschluss an den Lockdown zu einem Wiederanstieg der Ausgaben kommt. Aber wird das anhalten? Die naheliegendste Reaktion auf einen Schock, wie wir ihn gerade erleben, ist der Rückzug. Eine der bemerkenswertesten Entwicklungen seit 2008 war der Schuldenabbau von Privathaushalten in den Vereinigten Staaten. Der amerikanische Konsument, die größte Nachfragequelle der Weltwirtschaft, ist deutlich besonnener geworden. Unternehmensinvestitionen waren schwach, ebenso das Produktivitätswachstum. Die Konjunkturabschwächung beschränkte sich nicht auf den Westen, sondern erfasste auch die Schwellenländer. Wir nannten es eine „säkulare Stagnation“.[5]

Wenn die Antwort von Unternehmen und Privathaushalten auf den beispiellosen Corona-Schock in einer Flucht in die Sicherheit besteht, dann wird dies die Kräfte der Stagnation vergrößern. Und wenn die staatliche Antwort auf die in der Krise akkumulierten Schulden in Austerität besteht, wird das die Lage noch verschlimmern. Es ist daher richtig, eine aktivere und visionärere staatliche Politik zu fordern, die einen Weg aus der Krise weist. Das aber wirft natürlich die entscheidende Frage auf: Welche Form wird diese Politik annehmen – und welche Kräfte werden sie kontrollieren?

Deutsche Erstveröffentlichung eines Textes, der unter dem Titel „The Normal Economy Is Never Coming Back“ in der „Foreign Policy“ erschienen ist. Die Übersetzung stammt von Steffen Vogel.

[1] Justin Wolfers, Unemployment Is Rising Faster Than Ever, Outpacing Official Statistics, in: „The New York Times“, 4.4.2020.

[2]  Frank Tang, Coronavirus: China’s unemployment crisis mounts, but nobody knows true number of jobless, in: „South China Morning Post“, 3.4.2020.

[3] Somesh Jha, Migrant workers head home in coronavirus lockdown, exposed and vulnerable, in: „Business Standard“, 25.3.2020. Vgl. auch den Beitrag von Ellen Ehmke in dieser Ausgabe.

[4] Sony Kapoor und Willem Buiter, To fight the COVID pandemic, policymakers must move fast and break taboos, www.voxeu.org, 6.4.2020.

[5] Larry Summers, Secular Stagnation, www.larrysummers.com.

Nach der Vollbremsung – Wie kommt die Wirtschaft wieder in Gang?“ – phoenix runde vom 29.04.2020

In ihrer Frühjahrsprognose rechnet die Bundesregierung mit dem größten Einbruch des Wirtschaftswachstums seit Gründung der Bundesrepublik.

Während 718.000 Betriebe bereits Kurzarbeit angemeldet haben, geht die Bundesagentur für Arbeit in den nächsten Monaten von einem Anstieg der Arbeitslosenzahlen um bis zu 30 Prozent auf mehr als drei Millionen aus. Allein der Einzelhandel befürchtet bis zu 50.000 Insolvenzen.

Dass uns die Folgen der Lockdown-Vollbremsung für die Wirtschaft noch lange beschäftigen werden, steht fest – umstritten bleibt, wie sie wieder in Gang gebracht werden kann.

Diskutiert wurde u.a. in der phoenix-Runde:

  • Wie schlimm wird die Rezession und wie kann sie überwunden werden?
  • Was bringen Steuersenkungen, Einkaufsgutscheine und Abwrackprämien?
  • Welche Möglichkeiten gibt es, den Neustart für Klima und Digitalisierung zu nutzen?
  • Wie verändert die Krise die Wirtschaft?

Initiative „Masken für alle“ – Dank an die Frauen, die wochenlang an den Nähmaschinen gearbeitet haben

Über die Initiative „Masken für alle“ wurden knapp 400 Masken am Bahnhof und an sozialen Brennpunkten verteilt. Heinrich Brinker, Initiator der Aktion, stellt fest: „Ohne die vielen Menschen, die die Initiative mit Material- und Geldspenden unterstützten, wäre das nicht möglich gewesen.“

Durch die Solidarität kann auch noch eine Spende von 550 Euro an den Verein „Starkes Kirchheim“ überwiesen werden. Insbesondere bedankte Brinker sich mit einem Blumenstrauß bei den Näherinnen, die wochenlang an ihren Nähmaschine saßen und ansprechende Masken gefertigt haben.

Das Foto zeigt – von links nach rechts – Heinrich Brinker, Jutta Dodel, Brigitte Najm, Carmen  Dikomey und Verena Welcker