Nach der Vollbremsung – Wie kommt die Wirtschaft wieder in Gang?“ – phoenix runde vom 29.04.2020

In ihrer Frühjahrsprognose rechnet die Bundesregierung mit dem größten Einbruch des Wirtschaftswachstums seit Gründung der Bundesrepublik.

Während 718.000 Betriebe bereits Kurzarbeit angemeldet haben, geht die Bundesagentur für Arbeit in den nächsten Monaten von einem Anstieg der Arbeitslosenzahlen um bis zu 30 Prozent auf mehr als drei Millionen aus. Allein der Einzelhandel befürchtet bis zu 50.000 Insolvenzen.

Dass uns die Folgen der Lockdown-Vollbremsung für die Wirtschaft noch lange beschäftigen werden, steht fest – umstritten bleibt, wie sie wieder in Gang gebracht werden kann.

Diskutiert wurde u.a. in der phoenix-Runde:

  • Wie schlimm wird die Rezession und wie kann sie überwunden werden?
  • Was bringen Steuersenkungen, Einkaufsgutscheine und Abwrackprämien?
  • Welche Möglichkeiten gibt es, den Neustart für Klima und Digitalisierung zu nutzen?
  • Wie verändert die Krise die Wirtschaft?

Initiative „Masken für alle“ – Dank an die Frauen, die wochenlang an den Nähmaschinen gearbeitet haben

Über die Initiative „Masken für alle“ wurden knapp 400 Masken am Bahnhof und an sozialen Brennpunkten verteilt. Heinrich Brinker, Initiator der Aktion, stellt fest: „Ohne die vielen Menschen, die die Initiative mit Material- und Geldspenden unterstützten, wäre das nicht möglich gewesen.“

Durch die Solidarität kann auch noch eine Spende von 550 Euro an den Verein „Starkes Kirchheim“ überwiesen werden. Insbesondere bedankte Brinker sich mit einem Blumenstrauß bei den Näherinnen, die wochenlang an ihren Nähmaschine saßen und ansprechende Masken gefertigt haben.

Das Foto zeigt – von links nach rechts – Heinrich Brinker, Jutta Dodel, Brigitte Najm, Carmen  Dikomey und Verena Welcker

1. Mai 2020 digital

https://www.youtube.com/watch?time_continue=10998&v=9z4rlN8oSMw&feature=emb_logo

DGB Baden-Württemberg: 1. Mai digital

DGB Bezirk Nordwürttemberg: 1. Mai digital

Die Landesvorsitzende der GEW Baden-Württemberg, Doro Moritz, sollte eigentlich am 1.Mai in Sindelfingen sprechen. Sie sagt: „Wir erleben gerade jetzt, wo es um den Notbetrieb geht, welch‘ große Herausforderung und Belastung das für alle Beteiligten ist“.Download hi-res

Heinrich Brinker von der Vorbereitungsgruppe des 1. Mai in Kirchheim unter Teck sagt seine Gedanken zur Gesellschaft.

Greenpeace: Rettungspakete für europäische Fluggesellschaften in der Corona-Krise brauchen klare Bedingungen

 Die Corona-Krise hat die Luftfahrtindustrie hart getroffen. In Europa wurden mehr als 90 Prozent der Flüge gestrichen. Allein in Deutschland sind zehntausende Angestellte von Fluggesellschaften in Kurzarbeit. Lufthansa und Condor sind in finanziellen Schwierigkeiten und benötigen staatliche Hilfe, um überleben zu können.

Die Branche verhandelt aktuell mit europäischen Regierungen über Kredite, Beteiligungen und Zuschüsse in zweistelliger Milliardenhöhe.

Zu den Verhandlungen hat Greenpeace eine Übersicht vorgelegt, die Anträge von Fluggesellschaften in Europa auf staatliche Finanzhilfen listet.

Auch wenn aktuell die meisten Flugzeuge am Boden bleiben – die Luftfahrtindustrie ist ein zentraler Treiber der Klimakrise.

Staatliche Rettungsmaßnahmen für Airlines müssen deshalb so ausgestaltet werden, dass sie einen klimaverträglichen Wandel der Luftfahrtindustrie ermöglichen und Arbeitsplätze sozialverträglich absichern.

Greenpeace-Forderungen

Rettungsgelder müssen den Arbeitnehmenden zu Gute kommen und eine klimafreundliche Neuausrichtung der Industrie sozialverträglichen absichern:

  • Keine Dividendenzahlungen an Aktionäre während der ersten drei Jahre nach Antrag auf Staatshilfe.
  • Keine Boni und Gehaltserhöhungen für Manager während der ersten drei Jahre nach Antrag auf Staatshilfe.
  • Keine Aktienrückkäufe während der Zeit, in der ein Unternehmen Staatshilfe bezieht
  • Verzicht auf Kündigungen und Einhaltung aller nationalen und europäischen Arbeitsbestimmungen

 Die Luftfahrtindustrie sollte nur Staatshilfe bekommen, wenn sie in Zukunft auch angemessen Steuern bezahlt:

  • Abschaffung der Steuerbefreiung für Kerosin zur Refinanzierung der Staatshilfen
  • Abschaffung der Mehrwertsteuerbefreiung für internationale Flüge
  • Beendigung der kostenlosen Zuteilung von Emissionszertifikaten im Rahmen des Europäischen Emissionshandels

Staatshilfen müssen an Bedingungen geknüpft werden, die einen klimafreundlichen Neustart der Luftfahrtindustrie gewährleisten:

  • Staatsbeteiligungen an Fluggesellschaften müssen mit Stimmrechten einher-gehen, um die Einführung klimaverträglicher Unternehmensstrategien kontrol-lieren zu können
  • Fluggesellschaften müssen 1,5°C-kompatible Businesspläne mit verbindlichen Reduktionsfahrplänen entwickeln und entsprechende Managementinstrumente etablieren (interner CO2- Preis, Managerboni an Klimaperformance orientie-ren etc.)
  • Verbot von innerdeutschen Flügen
  • .Die Alternativen zum Fliegen, insbesondere der Bahnverkehr, müssen deutlich stärker als bisher geplant ausgebaut werden
  • Neuorganisation von Streckennetzen an Hand klimafreundlicher Prinzipien
  • Einführung einer verbindlichen, ansteigenden Beimischungsquote von synthetischem Kerosin auf Basis von erneuerbarem Strom

Gewerkschaften: Herausforderungen in der Corona-Krise

Quelle: Rosa-Luxemburg-Stiftung – Autorin: Fanny Zeise*

Gewerkschaften: Herausforderungen in der Corona-Krise

Der DGB hält diesmal keine 1.Mai-Kundgebungen ab, Kreativität für neue Formen kollektiven Handelns ist jetzt gefragt.

Zum diesjährigen 1. Mai hat der DGB die Kundgebungen und Demonstrationen der Gewerkschaftsbewegung wegen der Infektionsgefahr abgesagt. Dabei geht es gerade im Jahr der Corona-Krise um viel für Beschäftigte, die Herausforderungen für Gewerkschaften sind vielfältig und grundsätzlich.

Beim Schutz der Gesundheit durch Homeoffice, sichere Wege zur Arbeitsstätte, Infektionsschutz durch Abstandsregeln, Hygienemaßnahmen, Schutzausrüstung etc. waren und sind Betriebs-, Personalräte und Gewerkschaften gefragt.

Bisher gab es in Deutschland jedoch keine größeren Konflikte um das Herunterfahren der «nicht systemrelevanten» Produktion. Dies kann sich bei steigenden Infektions- und Todeszahlen – etwa bei einer möglichen zweiten Infektionswelle – aber ändern, wie Beispiele aus Italien, Spanien oder den USA zeigen. Hier waren Beschäftigte bereit, für die vorübergehende Schließung ihres Betriebes und den Schutz ihrer Gesundheit zu streiken – und konnten Erfolge erzielen.

Den Schutz von Leben und Gesundheit ihrer Mitglieder in der Pandemie gegen wirtschaftliche Verwertungsinteressen zu verteidigen ist eine zentrale Aufgabe der Gewerkschaften. Gleichzeitig ist die Angst vor einer tiefen Wirtschaftskrise – verstärkt durch den Shutdown – groß. Denn in Krisenzeiten schwächt die Arbeitsmarktlage die Durchsetzungskraft der Beschäftigten, drohender Arbeitsplatzverlust verringert die Bereitschaft für höhere Standards zu kämpfen und es drohen massive Mitgliederverluste der Gewerkschaften.

Statt offensive Auseinandersetzungen sind Defensivkämpfe gegen Betriebsschließungen, Massenentlassungen und Lohnabsenkungen zu erwarten, Betriebsbesetzungen und die genossenschaftliche Übernahme der Produktion werden auch in Deutschland zunehmend denkbar.

Unabhängig von der wirtschaftlichen Situation sind allerdings, auf Grund von Infektionsgefahr, der aktuell verhängten Kontaktsperre und vorübergehenden Betriebsstilllegungen, Kernelemente des kollektiven Handels und des Druckaufbaus – vom Betriebszugang für Gewerkschaftssekretär*innen über Sitzungen und Kundgebungen bis hin zu Streiks – nur sehr eingeschränkt nutzbar. Dennoch zeigen sich in der Corona-Krise neue Gewerkschaftsstrategien, die Aktionen der Beschäftigten bei physischer Distanz ermöglichen und sowohl auf der politischen als auch auf der betrieblichen Ebene angesiedelt sind.

Kurzfristig nahm die IG Metall in der Metall- und Elektroindustrie daher eine Nullrunde (mit geringer Zulage von 350 Euro bei Kurzarbeit und kleinen Erleichterungen bei freien Tagen für Eltern) in Kauf, konnte jedoch die Laufzeit auf ein Jahr beschränken. Ver.di verschiebt die in diesem Jahr geplanten Tarifrunden im öffentlichen Nahverkehr, im öffentlichen Dienst und im Sozial- und Erziehungsdienst in den Herbst oder gar ins nächste Jahr.

Als ein Element in der Auseinandersetzung um die Verteilung der Krisenkosten gingen die Gewerkschaften zudem die Erhöhung des Kurzarbeitergeldes an. In einigen Bereichen wie der chemischen Industrie, der Metallindustrie in Baden-Württemberg aber auch in der Systemgastronomie konnten die Gewerkschaften gute Regelungen zur Aufstockung der Kurzarbeit durchsetzen. Außerdem machten sie Druck für eine gesetzliche Aufstockung des Kurzarbeitergeldes und die Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge an die Arbeitgeber.

Eine von ver.di gestartete Petition erreichte in kurzer Zeit schon fast 300.000 Unterschriften, während IG Metall-Betriebsräte Briefe an die Bundestagsabgeordneten in ihren jeweiligen Wahlkreisen schrieben. Der erreichte Koalitionskompromiss einer zeitlich gestaffelten Aufstockung bleibt zwar weit hinter den gewerkschaftlichen Forderungen zurück, ist jedoch als Erfolg der Gewerkschaften zu verbuchen.

Deutlich besser als in wirtschaftlich betroffenen Branchen sehen die Durchsetzungsperspektiven von «systemrelevanten» Beschäftigtengruppen aus. So begannen schon zu Beginn der Corona-Krise – und aufbauend auf den jahrelangen gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen für mehr Personal im Krankenhaus – Beschäftigte in einigen Kliniken, ihre professionelle Sicht und ihre Interessen hinsichtlich des Krisenmanagements öffentlichkeitswirksam zu artikulieren. In den beiden größten Kliniken in Berlin unterschrieben 4.525 Gesundheitsarbeiter*innen innerhalb von sieben Tagen eine Petition. Besonders beeindruckend ist dabei, dass die Unterschriften von den Beschäftigten selbstständig auf Stationen gesammelt wurden, ohne dass einzelne Gewerkschafter*innen Materialien oder Listen im Betrieb verteilten und somit der Schutz vor Infektionen sicher gestellt war.

Im einem zweiten Schritt konfrontierten die Beschäftigten Landespolitiker*innen mit ihren Forderungen nach einer dauerhaften Prämie von 500 Euro, besserer Schutzkleidung und der Eingliederung der outgesourcten Töchter.

Gleichzeitig forderten sie mit einer Bundesratsinitiative die Aussetzung des DRG-Fallpauschalen-Systems und damit die Überwindung von Marktmechanismen im Krankenhaus.  Weitere öffentliche Petitionen zur Aufwertung des Gesundheitsbereichs und seiner Beschäftigten erreichten zusammen fast 500.000 Unterschriften.

In der Altenpflege konnte ver.di eine einmalige Prämie bis zu 1500 Euro durchsetzen. Einige Krankenhäuser oder Bundesländer haben mittlerweile Prämien beschlossen, die allerdings nur für einzelne Beschäftigtengruppen im Krankenhaus gelten, meist deutlich niedriger ausfallen und befristeten Charakter haben. Anders als die Zahlungen einzelner Handelsketten an die «systemrelevanten» Verkäufer*innen, sind die Zahlungen im Gesundheitssektor jedoch wahrnehmbar auf den Druck der gewerkschaftliche organisierten Kolleg*innen zurückzuführen. Sie dienen nicht dem Image des Arbeitgebers, sondern ermutigen zu gewerkschaftlichem Engagement und stärken die Organisationsmacht.

Das politische Mandat offensiv zu nutzen scheint angesichts der Tiefe der Krise durch die Corona-Pandemie nötiger denn je. Die Erschütterung kann hier auch Chancen für größere Veränderungen bieten. Den Gesundheitsbereich besser auszustatten, Kliniken zu rekommunalisieren und die Profitlogik zu kippen, sind erreichbare Ziele geworden, die sich die Gewerkschaften auf die Fahnen schreiben sollten.

Ähnliches gilt – über die Kinken hinaus – für die gesamte soziale Infrastruktur, die in der Krise ihren Wert bewiesen hat: Von Gesundheitsämtern über Jobcenter, mit ausreichend großen Klassenräumen, intakten Sanitäranlagen und digitaler Technik ausgestattete Schulen bis zum öffentlichen Nahverkehr. Hier Investitionen zu fordern, dürfte in der Bevölkerung auf große Zustimmung stoßen und entspricht zudem den Interessen der Beschäftigten in diesem Sektor.

In dem auf Export fokussierten industriellen Bereich verschärft die Corona-Pandemie die schon zuvor bestandene mangelnde internationalen Nachfrage und die umfassende Krise der Autoindustrie.

Sie macht damit noch deutlicher, dass nicht nur Klimaschutz und sozialere Mobilität, sondern auch die Sicherung von Beschäftigung einen sozial-ökologischen Umbau notwendig machen.

Ansatzpunkte hierfür gibt es viele: Wenn General Motors in der Krise Beatmungsgeräte und Volkswagen Atemschutzmasken herstellt, findet Konversion vor aller Augen statt. Öffentliche Investitionen in Bus und Schiene wirken nicht mehr unrealistisch, wenn in der jetzigen Krise Finanzmittel in Milliardenhöhe fließen. Und es wird der Bundesregierung schwer fallen zu erklären warum die staatlichen Rettungshilfen für Unternehmen als stille Anteile und nicht mit Einfluss auf die Unternehmensstrategie gewährt werden sollten.

Die Debatte über Vergesellschaftung und Wirtschaftsdemokratie nimmt absehbar an Fahrt auf und wird dabei sehr konkret werden. Sich als Gewerkschaft von Bundesregierung und Autoindustrie frei zu machen und eigene wirtschafts- und industriepolitische Forderungen aufzustellen, könnte Glaubwürdigkeit bringen und neue Perspektiven für gesellschaftliche Bündnisse eröffnen.

Dennoch gilt in der Summe: Pandemie und Wirtschaftskrise schwächen die gewerkschaftlichen Machtressourcen. Ob die Gewerkschaften ohne massiven Machtverlust durch die Krise kommen, wird stark davon abhängen, ob sie ihr politisches Mandat offensiv für große Weichenstellungen und kleinere kollektive Auseinandersetzungen zu nutzen verstehen und sich nicht in die Neuauflage eines Krisenkorporatismus einbinden lassen.

Dazu müssen sie neue Formen kollektiven Handelns in der Kontaktsperre entwickeln, um ihre Organisationsmacht weiterhin in Stellung bringen zu können. Dort wo der Shutdown Handlungsperspektiven akut einschränkt, müssen Beschäftigte auf die kommenden Auseinandersetzungen vorbereitet werden.

Deshalb dürfen es die Gewerkschaften nicht bei der Parole «#Stayathome #Wirkämpfenfürdich» belassen. Dies gilt auch beim 1. Mai. Es ist ein gutes Zeichen, dass viele Menschen an der Videoaktion des DGB zum 1. Mai teilnehmen. Noch besser ist allerdings, dass einige kreative Gewerkschafter*innen öffentlichkeitswirksame Aktionen ausprobieren, bei denen Ansteckungsschutz und Präsenz der Gewerkschaft auf der Straße gleichermaßen gewährleistet werden.

 * Fanny Zeise ist Referentin Gewerkschaftliche Erneuerung beim Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung