Der Weg in die Trump-Diktatur
Robert Kagan (1958) gilt als einer der Vordenker der amerikanischen Neokonservativen. Er war u.a. als Berater von Ronald Reagan im US-Außenministerium tätig. Ende November 2023 hat er einen Text in der Washington Post veröffentlicht, der international Aufsehen erregt hat. In diesem Weckruf weist er darauf hin, dass der nächste US-Präsident aller Voraussicht nach Donald Trump heißen wird.
Wir fassen den Beitrag, der in den Blättern für deutsche und internationale Politik, Ausgabe 1/2024 in deutscher Erstveröffentlichung publiziert wurde, hier in Auszügen zusammen.
Kagan prognostiziert: „In wenigen Wochen wird Donald Trump die Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten der Republikaner gesichert haben…Wenn dies eintritt, wird es zu einer schnellen Verschiebung in der Machtdynamik kommen. …Bis jetzt haben sich Republikaner und Konservative relativ frei gefühlt, Anti-Trump-Ansichten zu äußern…Geldgeber, die Trump geschmacklos finden, konnten ihre Spenden an Konkurrenten verteilen… All das wird enden, sobald Trump am Super Tuesday gewinnt …“
Dieser Prozess habe schon begonnen: „In unserem System sind Stimmen die Währung der Macht – und das Geld folgt ihnen. Da seine Nominierung unausweichlich wird, springen die Geldgeber von anderen Kandidaten in Richtung Trump. Die jüngste Entscheidung des politischen Netzwerks des Milliardärs Charles Koch, die republikanische Hoffnungsträgerin Nikki Haley zu unterstützen, wird wohl kaum ausreichen, diesen Trend zu stoppen.“
Das werde sich auf die republikanische Partei auswirken: „Die meisten führenden Kandidaten haben bereits zugesichert, Trump zu unterstützen, wenn er Präsidentschaftskandidat wird…. Schon heute ist es für Republikaner gefährlich, sich negativ über Trump zu äußern…“
Trump werde aber nicht nur die Partei dominieren: „Wird die Meinungsredaktion des Wall Street Journal, die sich ziemlich deutlichen gegen Trump positioniert, dies weiterhin tun, wenn er der Kandidat ist …Selbst heute können die Medien kaum widerstehen, jede von Trumps Aussagen und Handlungen zu dokumentieren.“
Trump werde also mit Rückenwind in den Hauptwahlkampf eintreten, „ausgestattet mit wachsenden politischen und finanziellen Ressourcen und unterstützt von einer zunehmend geeinten Partei“.
Kagan fragt, ob man das von Biden auch sagen könne.
Er antwortet auf die selbst gestellte Frage: „Schon heute kämpft Präsident Biden mit einem zweistelligen Rückgang der Zustimmung unter schwarzen Amerikanern und jüngeren Wählern. …Sollte der demokratische Senator Joe Manchin …tatsächlich für eine Drittpartei um die Präsidentschaft kandidieren, wäre das für Biden möglicherweise verheerend. …Die demokratische Wählerkoalition bleibt vermutlich gespalten. … Biden genießt nicht die üblichen Vorteile eines Amtsinhabers – auch Trump ist Amtsinhaber. Biden kann also nicht die Behauptung aufstellen, die Wahl seines Gegners sei ein Sprung ins Ungewisse.“
Nur wenige Republikaner betrachten – so Kagan – die Präsidentschaft Trumps als Misserfolg. Auch die Amtsträger, die während seiner Regentschaft seine gefährlichen Impulse blockiert oder vor der Öffentlichkeit versteckt hätten, würden sich selten öffentlich wahrnehmbar gegen ihn aussprechen.
Zugleich genieße er den üblichen Vorteil dessen, der nicht im Amt ist: „Wie jeder Amtsinhaber muss Biden alle Probleme der Welt wie ein Mühlstein um seinen Hals tragen.“
Sofern es strukturelle Vorteile bei der kommenden Wahl geben würde, begünstigten sie Trump: „Und das ist schon so, ohne dass wir auf das Problem zu sprechen kommen, das Biden gar nicht lösen kann: sein Alter.“
Weniger als ein Jahr vor der Wahl herrsche landesweit eine überparteiliche Abscheu gegenüber dem politischen System im Allgemeinen: „Nur selten in der US-Geschichte war die der Demokratie innewohnende Unordnung so unübersehbar. … Heute mögen die Republikaner für Washingtons Dysfunktionalitäten verantwortlich sein. … Aber Trump profitiert von der Dysfunktionalität, weil er derjenige ist, der einfache Antworten anbietet: sich. …Trump tritt gegen das System an. Biden ist die lebende Verkörperung des Systems.“
Zu Trumps sich ausweitenden juristischen Schlachtfeldern führt Kagan aus, Trump hätte diesen Wahlkampf sicher lieber geführt, ohne sich die meiste Zeit gegen Versuche zu erwehren, ihn ins Gefängnis zu stecken.
Dennoch werde Trump im Gerichtssaal zeigen, über welche ungewöhnliche Macht er im politischen System der USA verfüge: „Die Gerichte und der Rechtsstaat werden Trump nicht einhegen. Im Gegenteil. Er wird die Gerichtsverhandlungen nutzen, um seine Macht zu demonstrieren. Deshalb will er, dass sie im Fernsehen übertragen werden. Trumps Macht rührt aus seiner Gefolgschaft, nicht aus den Institutionen der US-Demokratie. Seine ihm ergebenen Wähler lieben ihn, eben weil er Linien überschreitet.“
Im nächsten Schritt fragt Kagan, ob es überhaupt noch jemand geben würde, der Trumps Macht begrenzen und seinen Aufstieg bremsen könne.
Zur Möglichkeit, dass die „Richter den mutmaßlichen Kandidaten Trump wegen Missachtung des Gerichts ins Gefängnis stecken“ schreibt Kagan:
„Sobald klar ist, dass sie das nicht tun werden, verschiebt sich die Machtbalance im Gerichtssaal und im ganzen Land wieder zugunsten von Trump …Trump dafür anzuklagen, dass er versucht hat, die Regierung ist stürzen ist so, als ob man Caesar für das Überschreiten des Rubikon angeklagt hätte… Wie Caesar verfügt Trump über eine Macht, die über die Gesetze und Institutionen des Staates hinausgeht, basierend auf der unerschütterlichen persönlichen Loyalität seiner Armee von Anhängern.“
Kagan fragt „Kann Trump die Wahl gewinnen“ und er antwortet: „Wenn nicht etwas Radikales und Unvorhergesehenes passiert…, kann er die Wahl gewinnen.“
Falls er die Wahl tatsächlich gewinnen würde – so Kagan – würde er sofort „zur mächtigsten Person, die dieses Amt jemals bekleidet hat. Er verfügt dann nicht nur über die beeindruckende Macht der US-Exekutive …, sondern ihm werden auch die wenigsten Schranken gewiesen werden, die ein Präsident jemals zu gewärtigen hatte, weniger noch als in seiner ersten Amtszeit.“
Zur begrenzenden Macht der Justiz prognostiziert Kagan: „Ein Rechtssystem, das Trump als Privatperson nicht kontrollieren konnte, wird ihn nicht besser kontrollieren, wenn er US-Präsident ist und seinen eigenen Justizminister und Generalstaatsanwalt sowie alle anderen ranghohen Beamten des Justizministeriums ernennen kann…“
Zur begrenzenden Macht des Kongresses sagt Kagan: „Präsidenten können heute eine Menge ohne Zustimmung des Kongresses erreichen…Die eine Kontrollfunktion“ gegenüber einem skrupellosen Präsidenten ist „das Impeachment“. Das habe sich aber de facto bereits als „undurchführbar“ erwiesen…“.
Eine weitere traditionelle Macht zu Begrenzung des Präsidenten sei der gewaltige Apparat der Bundesbehörden. Auch von der Wirkung dieser Begrenzung verspricht sich Kagan nicht viel.
Ein weiterer Faktor, der den Präsidenten beschränken kann ist sein Wunsch, wiedergewählt zu werden. Falls Trump eine dritte Amtsperiode anstreben würde, stünde ihm der 22. Verfassungszusatz entgegen, der die Amtszeiten von Präsidenten auf zwei begrenzt. Kagan meint: „Warum sollte für einen Mann wie Trump oder seine treuen Anhänger dieser Verfassungszusatz unverletzlicher sein als irgendein anderer Teil der Verfassung?“
Im nächsten Schritt spricht Kagan über Trumps Rachelüste und die Gefahr eines neuen McCarthyismus.
Einen Eindruck von seinem großen Rachedurst hat Trump in einer Rede am „Tag der Veteranen“ vermittelt, als er versprach: „die Kommunisten, Marxisten, Faschisten und linksradikalen Schläger auszurotten, die wie Ungeziefer in den Grenzen unseres Landes leben, die lügen, stehlen und Wahlbetrug begehen und die alles tun werden, um Amerika und den amerikanischen Traum zu zerstören.“
Trump habe bereits einige Namen derjenigen genannt, die er nach der Wahl aufs Korn nehmen werde: „Hohe Beamte seiner ersten Amtszeit …und andere, die sich nach der Wahl 2020 gegen ihn geäußert haben, Beamte beim FBI und bei der CIA, die an der Russland-Untersuchung beteiligt waren, Mitglieder des Untersuchungsausschusses zum 6. Januar 2021; Gegner aus der Demokratischen Partei …und Republikaner, die für sein Impeachment und seine Verurteilung gestimmt oder sich öffentlich dafür ausgesprochen hätten.“
Heute liege schon der Geruch eines neuen McCarthyismus in der Luft. MAGA-Republikaner würden felsenfest behaupten, Biden sei ein „Kommunist“, seine Wahl sei eine „kommunistische Machtübernahme“ gewesen und seine Regierung ein „kommunistisches Regime“. Die republikanische Abgeordnete Marjorie Taylor Greene habe zu Bidens Amtseinführung getweetet: „Das kommunistische China hat seinen Präsidenten China Joe“.
Die weiteren Überschriften im Aufsatz von Robert Kagan lauten:
- Wer wird für die Verfolgten einstehen?
- Soldaten und Gouverneure werden uns nicht retten?
- Viele verpassten Gelegenheiten, Trump einzuhegen.
Der Aufsatz kann gelesen werden z.B. in Druckausgabe oder der Digitalausgabe der Blätter für deutsche und internationale Politik, Ausgabe 1/2024 https://www.blaetter.de/ausgabe/2024/januar