Quelle: Manager Magazin, 23.4.22
Russische Oligarchen in Aufruhr Ein Mutiger, ein Rücktritt und zwei Todesfälle
Angesichts des Ukraine-Krieges kommt Bewegung in Russlands Superreichen-Szene: Stahlmagnat Wladimir Lissin äußert ungewöhnlich heftige Kritik am Kreml, der Gründer des Ölkonzerns Lukoil tritt zurück – und zwei Oligarchen werden tot aufgefunden.
Der große Aufschrei von Russlands Wirtschaftsführern gegen den Krieg in der Ukraine bleibt bislang aus, doch kritische Stimmen werden durchaus immer wieder mal laut. Weil Moskau gegen seine Gegner im eigenen Land hart vorgeht, äußerten sich die meisten Unternehmer oder Topmanager bislang allerdings eher zurückhaltend.
Umso bemerkenswerter ist, was Wladimir Lissin (65) jetzt von sich gegeben hat. Der Mehrheitseigner des Stahlkonzerns NLMK, mit einem Vermögen von rund 23,2 Milliarden US-Dollar laut „Forbes“ gegenwärtig zweitreichster Russe nach Norilsk-Nickel-Eigner Wladimir Potanin (61, Privatvermögen: 24,5 Milliarden US-Dollar), geht mit der Aggression seines Landes gegen die Ukraine so hart ins Gericht, wie vor ihm kaum ein anderer russischer Wirtschaftskopf seines Kalibers. Einem Bericht der „FAZ“ zufolge sprach Lissin gegenüber der russischen Zeitung „Kommersant“ von einer „humanitären Katastrophe“ und zeigte auch Verständnis für die Sanktionen des Westens. Damit bewegt sich Lissin gefährlich nahe an einem Straftatbestand. Denn das Aufrufen zu Strafmaßnahmen gegen Russland steht dort seit Kurzem unter Strafe.
Lissins Kritik erscheint umso erstaunlicher, weil sich der Stahlmagnat, soweit bekannt, bis zuletzt in Russland aufhielt. Der Multimilliardär gehört zwar nicht zu jenen Oligarchen, die vom Westen mit Sanktionen belegt wurden. Doch auch zu den Strafmaßnahmen gegen seinesgleichen äußerte er sich gegenüber „Kommersant“.
Solche Sanktionen gegen Russlands Wirtschaftslenker führten einerseits zu einer „Kaskade negativer Folgen“ für zehn-, vielleicht sogar hunderttausende Mitarbeiter, so Lissin. Andererseits sei es beschämend, sich angesichts einer „humanitären Katastrophe“ über persönliche Probleme zu beschweren. Sanktionen könnten zwar ungerecht erscheinen, aber es sei klar, dass der Westen mit allen möglichen Mitteln versuchen werde, das „Sterben von Menschen und die Zerstörung von Städten“ zu stoppen, sagte Lissin.
Derart offene Kritik vonseiten eines führenden Vertreters der russischen Wirtschaft am Angriffskrieg Wladimir Putins (69) in der Ukraine ist selten, aber nicht einmalig.
Erst vor wenigen Tagen hatte der russische Milliardär Oleg Tinkow (54) mit einem deutlichen Post auf der Plattform Instagram für Schlagzeilen gesorgt.
Tinkow warf der russischen Armee vor, „Massaker“ in der Ukraine zu verüben, und forderte ein Ende des „irrsinnigen Krieges“ gegen das Nachbarland. Der Gründer der Internetbank Tinkoff hielt sich dabei mit deutlichen Worten nicht zurück: Die russischen Generäle hätten inzwischen erkannt, „dass sie eine Scheißarmee haben“, schrieb er. „Und wie sollte die Armee auch gut sein, wenn der ganze Rest des Landes beschissen ist und beschmutzt ist von Vetternwirtschaft, Speichelleckerei und Unterwürfigkeit?“
Er selbst sehe „keinen einzigen Profiteur dieses irrsinnigen Krieges“, der nur dazu führe, dass „unschuldige Menschen und Soldaten sterben“.