Russland und Biden – in banger Erwartung
Der bekannte Moskauer Politologe Andrej Kortunow skizzierte für die Fachzeitschrift Le Courrier de Russie zum bevorstehenden Jahreswechsel die 14 wichtigsten Aufgaben der russischen Außenpolitik für 2021. Trotz zahlreicher internationaler Brennpunkte mit russischer Beteiligung – etwa Syrien oder Karabach – hatten gleich die vier ersten Themen, die er nannte, alle direkt mit dem amerikanisch-russischen Verhältnis zu tun.
Das zeigt die zentrale Bedeutung, die das Verhältnis zu den USA nach wie vor für Moskau hat. Und es ist jetzt, am Ende der Amtszeit von Trump, spannungsgeladen wie fast noch nie – anfängliche Hoffnungen auf eine Verbesserung des bilateralen Verhältnisses nach dessen Wahl haben sich in keiner Weise erfüllt.
Russische Beobachter hatten eher den Eindruck, dass die Trump-Administration, um sich innenpolitisch gegen Angriffe einer Beeinflussung aus Moskau zu wehren, absichtlich einen Konfrontationskurs fuhr, zum Beispiel bei den Themen Kündigung von Abrüstungsverträgen, Sanktionen wegen Nordstream 2 oder Waffenlieferungen an die Ukraine.
„Russlandoptimismus“ bei der Tagesschau
Nun wird Trump bald von Biden abgelöst und sogar die Tagesschau nahm das zum Anlass, bei besagtem Herrn Kortunow, dem als Chef des Rates für Auswärtige Angelegenheiten in der russischen Hauptstadt viel Einfluss nachgesagt wird, nachzuhören, was man sich nun in Bezug auf die US-Russlandpolitik erwartet. Das Ergebnis klingt nach einigen Zitaten aus dem Gespräch bei der ARD recht positiv. Die USA werde für Russland vorhersehbarer, heißt es, jetzt seien im Weißen Haus wieder Profis an der Macht.
Alles andere hätte doch sehr überrascht. Es wäre der erste Bericht der Tagesschau gewesen, der, egal zu welchem politischen Aspekt des Wechsels von Trump auf Biden, nicht ausschließlich Positives geschildert hätte.
Tatsächlich aber löste Trumps Sprunghaftigkeit und mangelndes außenpolitisches Wissen in Moskau häufig große Besorgnis aus, gerade bei von ihm selbst initiierten militärischen Husarenstücken wie der Ermordung des iranischen Generals Soleimani vor knapp einem Jahr.
Doch nur weil Trump geht, kehrt in Moskau nicht Optimismus ein. Das zeigte sich sehr deutlich bei der aktuellen Jahrespressekonferenz von Präsident Putin. Die Worte des Herrn aus dem Kreml auf eine Frage zur Zukunft des Verhältnisses zum Westen klangen dagegen sorgenvoll. Er sprach von drohendem Wettrüsten, der unsicheren Zukunft des START-Abkommens, hohen Militärbudgets und von neuen russischen Waffen als Antwort.
Die Bedenken russischer Experten
Bei den maßgeblichen Moskauer Experten herrscht in Bezug auf Biden, anders als von der Tagesschau suggeriert, ebenfalls mitnichten Optimismus. Vielmehr glaubt eine ganze Reihe von Fachleuten, dass es für die generelle US-Politik Russland gegenüber gar nicht so wichtig ist, welches Gesicht und welcher Charakter an der Spitze im Weißen Haus der US-Regierungsmaschinerie vorsteht.
Innerhalb der US-Politik gebe es ein parteiübergreifenden Konsens, der Russland als Feind wahrnehme, der in allen Regionen der Welt bekämpft werden müsse, meint zu diesem Thema der außenpolitische Experte Dmitri Suslow gegenüber der Zeitung lenta.ru in einem Interview. Gerade im postsowjetischen Raum würden deswegen betont antirussische Regierungen unterstützt und das schon konsequent seit den 90er Jahren, egal wer Präsident sei.
Sein Kollege Iwan Timofeev, wie Kortunow vom Russischen Rat für Auswärtige Angelegenheiten, stimmt in der Sendung Russland.direct mit Suslow überein: Damit sich im Verhältnis der beiden Staaten etwas ändere, bräuchte es einen Antrieb für Bewegung, aber da sei keiner. Es gäbe keine Themen für den russisch-amerikanischen Dialog, die die bestehende Situation grundsätzlich verändern würden.