Tansania – Das Vermächtnis von Julius Nyerere

Julius Nyerere –  „Das Gewissen Afrikas“

Der Präsident von Tansania bezeichnete sich selbst als „Vater der Nation“. Für seine Landsleute war er „Mwalimu“, der Lehrer: Julius Kambarage Nyerere, der 21 Jahre lang regiert hat, wollte für sein Land einen eigenen afrikanischen Sozialismus, ein Vorhaben, mit dem er gründlich scheiterte. Er wurde „das Gewissen Südafrikas“ genannt.

Nach seinem Rückzug aus der aktiven Politik 1985 engagierte Nyerere sich als Vermittler in zahlreichen Krisen und Sprecher des südlichen Afrika. Als 26. Kind eines Häuptlings im damaligen Tanganjika wuchs Julius, der „Regengeist“, so sein Zweitname Kambarage auf Suaheli, in der Nähe des Viktoriasees auf. An sein exaktes Geburtsdatum konnte sich seine Mutter, die 18. von 22 Ehefrauen seines Vaters, später nicht mehr erinnern. In Biographien wird es mit 1. März 1922 angegeben.

Nach einem Lehramts-Studium in der ugandischen Hauptstadt Kampala, besuchte der Benediktiner-Schüler als erster Afrikaner der damaligen Kolonie Tanganjika eine britische Hochschule. In Edinburgh wurde er Magister in Geschichte und Wirtschaftswissenschaften.

Als Präsident der Unabhängigkeitspartei „Tanganyika African National Union“ (TANU) führte Nyerere die Kolonie 1961 in die Unabhängigkeit. Nyerere war ab Mai 1961 der erste Ministerpräsident des zunächst mit einem Autonomiestatut versehenen Landes und wurde nach Erlangung der vollständigen Unabhängigkeit 1962 zum Staatspräsidenten und Regierungschef der als Präsidialdemokratie verfassten „Republik Tanganjika“ gewählt.

„Lasst andere zum Mond fliegen, wir müssen arbeiten, um uns zu ernähren“, so die Devise, mit der er seine Idee von einem Sozialismus afrikanischen Wesens pries. 1967 gab er seinen sozialistischen Überzeugungen in der „Deklaration von Arusha“ politischen Inhalt. Nyerere verstaatlichte die Banken und andere Wirtschaftsunternehmen, forderte die Neugründung sozialistischer Dorfgemeinschaften (Ujamaa) und eine Reform des Schulwesens. Ab 1977 gewährte er dem südafrikanischen ANC für dessen Exilschule, dem Solomon Mahlangu Freedom College, politische Unterstützung und stellte bei Morogoro großzügig die dafür benötigten Landflächen und einige ehemalige Farmgebäude zur Verfügung. 30 Jahre lang predigte der Lehrer seinem Volk das Dogma des „Ujamaa“, des Gemeinsinns, eine sozialistische Agrarpolitik nach chinesischem Muster. Danach wurden bis 1975 rund neun Millionen Menschen in landwirtschaftlichen Kollektiven zusammengeführt.

Mit dem Ziel, den Staat aus eigener Kraft aufzubauen, vermittelte Nyerere den Tansaniern einerseits Selbstvertrauen und ein Nationalbewusstsein, wie es im postkolonialen Afrika selten existiert. Auf der anderen Seite scheiterte der Sozialist mit seinem Anspruch der Eigenverantwortung: Kein anderer afrikanischer Staat bekam mit über elf Milliarden Mark so viel Entwicklungshilfe wie Tansania. Auch die Idee eines Staates, der ohne Militär existieren kann, blieb Utopie. Nachdem der ugandische Staatschef Idi Amin 1978 sein Land angegriffen hatte, marschierten tansanische Streitkräfte im Nachbarland ein, zwangen Idi Amin zur Flucht und verhalfen Milton Obote damit zur Macht.

Nyerere, dessen Charisma im In- und Ausland vielfach bewundert wurde und der auf der Weltbühne stets für den fairen Dialog eintrat, hörte ungern Kritiker in den eigenen Reihen. Bis zum Ende der 70er Jahre saßen in Tansanias Gefängnissen mehr politische Gefangene als in denen Südafrikas.

Nachdem er bei Wahlen stets einziger Kandidat geblieben war, legte Präsident Nyerere 1985 freiwillig sein Amt nieder. Sein sozialistisches Wirtschaftsmodell war gescheitert, Weltbank und Internationaler Währungsfonds drehten den Geldhahn zu. Eine Vision überlebt den weltweit geachteten Staatsmann, der bis zum Schluss viele Fäden in Tansanias Politik zog: Es ist die Idee einer ostafrikanischen Föderation.

1983 wurde Nyerere mit dem Nansen-Flüchtlingspreis ausgezeichnet. Die UNESCO würdigte ihn 1992 mit der Verleihung des Simón-Bolívar-Preises als „großen Humanisten, dessen Werte mehrere Generationen beeinflusst haben“. 1995 war er erster Preisträger des Gandhi-Friedenspreises der Indischen Regierung.

Im September 2009 wurde Nyerere postum anlässlich einer Feierstunde im Präsidentenpalast von La Paz, Bolivien, im Namen der Generalversammlung der Vereinten Nationen der Titel „World Hero of Social Justice“ verliehen.

Die Volksrepublik China würdigte 2015 in einem Festakt an der Pädagogischen Universität Ostchina im Zusammenhang mit der Herausgabe einer bereits bei Oxford University Press verlegten Ausgabe der ausgewählten Werke von Nyerere die kontinuierlichen Beziehungen zwischen Tansania und China während seiner Regierungszeit und unter seinen Amtsnachfolgern. In Tansania sind zahlreiche Straßen, Plätze und andere öffentliche Gebäude/Einrichtungen nach Julius Nyerere benannt, darunter auch der bedeutendste Flughafen des Landes, der Julius Nyerere International Airport in Daressalam.

Quellen: Spiegel, 14.10.1999  und Wikipedia


The World Today with Tariq Ali – Tanzania: Nyerere’s Legacies7.268 Aufrufe – 15.02.2018

Tariq was in Tanzania recently, where he sat down with Professor Issa Shivji to discuss Tanzania’s first president Julius Nyerere, also known as ‘Mwalimu’ (Swahili for ’teacher’). Tanzania hasn’t suffered the same level of violence and political instability as its neighbors in the East Africa region and, as a result, doesn’t make as many international headlines – is this the legacy of Nyerere?