Umgang mit rechten Strömungen – „Die Kirchen müssen rote Linien ziehen“

Quelle: Deutschlandfunk vom 15.6.2020

Umgang mit rechten Strömungen – „Die Kirchen müssen rote Linien ziehen“

Wie reagieren Kirchen auf rechtsextreme Strömungen? Das hat die Otto-Brenner Stiftung untersucht. Mitautor Wolfgang Schroeder sagte dazu im Dlf: Zwar gebe es eine religiöse Rechte in Deutschland, sie sei jedoch in den Kirchen randständig. Für den Umgang der Kirchen mit der AfD gebe es kein Patentrezept.

„Es existieren sehr konservative kirchliche Milieus, die eine Affinität für rechtspopulistische Positionen aufweisen.“ Dieser Satz steht in einer Studie, die die Otto-Brenner-Stiftung, die Wissenschaftsstiftung der IG-Metall dieser Tage veröffentlicht hat. Die Forscher wollten herausfinden, wie Akteure der Zivilgesellschaft auf den zunehmenden Einfluss von Rechtspopulisten reagieren.

„Bedrängte Zivilgesellschaft von rechts“ heißt der Titel. Und in einem Kapitel geht es um Religion und Kirchen – um die Frage also, welche Rolle Rechtspopulisten und rechte Einstellungen in den Kirchen spielen, wie stark etwa die AfD dort vertreten ist und wie kirchliche Funktionäre damit umgehen. Ermöglichen sie eine Debatte, eine Diskussion? Auch mit Vertretern des rechten Milieus? Oder grenzen sie ab und aus?

Über die Ergebnisse sprach der Deutschlandfunk mit dem Projektleiter und Studienmitautor Wolfgang Schroeder. Er ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Kassel und Fellow am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, kurz WZB.

Dittrich: Herr Schroeder, rechte Parteien und Rechtspopulisten bezeichnen sich selbst häufig als „Retter des christlichen Abendlandes“. Welche inhaltlichen Verbindungslinien gibt es denn Ihrer Studie zufolge zwischen den großen Kirchen in Deutschland und den Rechtspopulisten?

Schroeder: Ja, das sind eine ganze Reihe, die man da aufzählen kann. Beginnen wir mal mit dem Anti-Islamismus, der eine ganz wichtige Rolle spielt. Die christlichen Kirchen gehen traditionell davon aus, dass sie das Monopol des Göttlichen und der Wahrheit für sich in Anspruch nehmen können. Und da ist natürlich kein Platz für den Islam.

Dann die Vorstellung, dass im Zentrum der Gesellschaft Ehe, Familie steht, dass die Abtreibung eine Handlung wider Gottes ist, dass die Gleichstellung sich nicht mit den göttlichen Vorstellungen vom Miteinander der Geschlechter vereinbaren lässt.

Und, ganz weit zurückliegend, auch der Antisemitismus. Das sind also historische Traditionslinien, die – das muss man auch deutlich betonen – gegenwärtig in den Kirchen eher eine Minderheitsposition beanspruchen können, die aber durchaus von einem Teil der konservativen Christen in den beiden großen Kirchen für sich beansprucht werden.

„Das sind randständige Positionen“

Dittrich: Sie haben jetzt gerade schon gesagt: konservative Christen. Können Sie mal die Gruppen oder die Strömungen innerhalb der Kirchen beschreiben, die sich eher zu politischen Einstellungen der neuen Rechten hingezogen fühlen?

Schroeder: Na ja, wenn man das organisatorisch betrachten will, ist das die Evangelische Allianz in Deutschland, sind das Opus-Dei-Leute auf katholischer Seite, die Piusbruderschaft. Und das Ganze ist vielfältig flankiert von Netzwerken, die im Internet aktiv sind wie „kath.net“ oder „idea“.

Und insofern ist das durchaus eine bunte Landschaft, die in diese Richtung operiert. Aber, wie gesagt, das sind randständige Positionen in den beiden Kirchen mit einer gewissen Öffentlichkeitswirkung. Und die kommt immer dann zustande, wenn es um große Ereignisse geht, die auch die Gesellschaft interessieren, wie beispielsweise die Kirchentage.

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Dittrich: Sie sagen das jetzt zu den christlichen Kirchen. Haben Sie sich auch andere Religionsgemeinschaften angeschaut?

Schroeder: Wir haben uns auch ein bisschen mit den jüdischen Communitys in Deutschland befasst, wo aber solche Strömungen wirklich nur auf einzelne Individuen sich beziehen können. Also die Anschlussfähigkeit an den Rechtspopulismus, so stark wie wir das aus den christlichen Kirchen kennen, ist das in den anderen Religionsgemeinschaften nicht der Fall; was einfach auch damit zusammenhängt, dass der Rechtspopulismus ja von der Struktur her gegen diese anderen Religionsgemeinschaften ausgerichtet ist.

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Dittrich: Und zusammenfassend würden Sie sagen, in den christlichen Kirchen, da gibt es so etwas wie eine „Religiöse Rechte“?

Schroeder: Das kann man auf jeden Fall sagen. Es gibt eine religiöse Rechte, die für sich beansprucht, das „wahre Christentum“ zu verkörpern, eine enge Vorstellung von Wahrheit, von Göttlichkeit, von einer Gesellschaft, die mit sich eins ist, weil sie homogen ist. Das ist ja auch einer der Nährböden des Rechtspopulismus, dass man die heterogene, plurale Gesellschaft und die plurale Demokratie ablehnt, weil sie eine „Gefahr für das Zusammenleben der Menschen“ bedeute.

Dittrich: Und wie einflussreich sind diese Gruppen innerhalb der Kirchen?

Schroeder: Also, sie haben wirklich nur einen randständigen Charakter, aber sie wirken dann auch wieder mit gewissen Positionen in die Mitte der kirchlichen Gemeinschaften hinein. Das konnte man sehr schön in der Flüchtlingsdebatte beobachten, wo die skeptische Haltung gegenüber einer zunehmenden Aufnahme von Migranten in Deutschland von diesen Strömungen des Rechtspopulismus in den Kirchen sehr stark verstärkt wurde; was dann auch insgesamt in den Kirchen für Debatten sorgte, die man zunächst mal mit den Kirchen nicht in Verbindung bringt.

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Haltung vs. Einigkeit

Dittrich: Die gesellschaftliche Bedeutung der Kirchen geht zurück – wie einflussreich sind sie denn Ihrer Einschätzung nach, wenn sie Stellungnahmen gegen Rechts veröffentlichen? Und wie groß ist dann auch die Debatte innerhalb der Kirche darüber?

Schroeder: Zunächst mal ist es ja die Aufgabe der Kirchen, als Träger von Werten, von Formen des fairen, des ethisch geglückten Zusammenlebens, dass sie solche Skepsis, dass sie solche Gefährdungen öffentlich machen und dafür werben, ein auf Nächstenliebe begründetes Zusammenleben der Menschen in unserer Gesellschaft zu ermöglichen.

Und gleichzeitig sind gewissen Deutungen dann so, dass bestimmte Gruppen sich angesprochen fühlen können, nicht mehr als Teil dieser Kirchen begriffen zu werden. Und das ist Teil dieser Auseinandersetzung mit den konservativen Teilen der Kirche, die dann auch eine starke Affinität zu AfD-Positionen haben.

„Kirchen müssen rote Linien ziehen“

Dittrich: In den vergangenen Jahren gab es innerhalb der Kirchen immer wieder Diskussionen darüber, wie etwa mit der AfD umzugehen ist. Zum Beispiel zur Frage, ob man Vertreter zu den Kirchentagen einlädt. Jetzt kam dieser Tage gerade die Meldung, dass zum ökumenischen Kirchentag im kommenden Jahr in Frankfurt keine Vertreter der AfD eingeladen werden. Wie beurteilen Sie diese Strategie?

Schroeder: Das ist genau das Dilemma, in dem die Kirchenführungen stecken: Auf der einen Seite setzen sie sich für Dialog, für Integration ein – auf der anderen Seite sind sie als Institutionen der Wertesicherung verpflichtet, rote Linien gegen Rassismus, gegen Antisemitismus und gegen pauschale Abwertung von Menschengruppen zu ziehen.

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Der Evangelische Kirchentag will die AfD nicht dabei haben, bayerische Bischöfe kritisieren die CSU. Politische Einmischung der Kirchen sei richtig, sagte der Historiker Andreas Rödder im Dlf.

Und das ist ein sehr mühsamer und einer Gratwanderung gleichkommender Prozess. Da gibt es auch in dem Sinn kein wirkliches Patentrezept – bis auf die immer wieder neu zu aktualisierende Haltung, dass man im Gespräch bleiben muss.

Aber Kirchen müssen rote Linien aufmachen, weil ansonsten wären sie natürlich unglaubwürdig als Anwalt von Werten und einem geglückten Zusammenleben in unserer Gesellschaft.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.