Als Beitrag zur Abbildung der kontroversen Diskussion der Corona-Maßnahmen zitieren wir hier auszugsweise den Beitrag von Christof Kuhbandner.
Christof Kuhbandner ist Psychologieprofessor und Lehrstuhlinhaber an der Fakultät für Humanwissenschaft der Universität Regensburg. Seine Überlegungen sind aktuell bei einer Fachzeitschrift eingereicht und bereits als nicht begutachteter Vorabdruck erschienen. Dieser Artikel erschien bereits in Stephan Schleims Blog Menschen-Bilder.
TELEPOLIS 25. April 2020 Christof Kuhbandner
Von der fehlenden wissenschaftlichen Begründung der Corona-Maßnahmen
Warum die These von der epidemischen Ausbreitung des Coronavirus auf einem statistischen Trugschluss beruht
Praktisch weltweit erleben wir eine bisher nie dagewesene Situation: Um eine offenbar drohende Epidemie zu bekämpfen, werden weltweit drastische Maßnahmen ergriffen. So wurden beispielsweise in Deutschland so viele Grundrechte so flächendeckend und umfassend eingeschränkt, wie es bisher in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nie vorgekommen ist.
Beraten wird die Politik dabei von zahlreichen virologischen Experten. Man könnte also meinen, dass die Notwendigkeit von dramatischen Eingriffen in unsere Grundrechte durch fundierte Wissenschaft gut begründet ist. Blickt man aber als ein in Forschungsmethoden und Statistik erfahrener Wissenschaftler auf die wissenschaftliche Basis dessen, womit die drastischen Maßnahmen gerechtfertigt werden, kommen Zweifel auf.
Praktisch alle der ergriffenen Maßnahmen werden damit begründet, dass dadurch ein Anstieg in den täglichen Neuinfektionen verhindert werden soll, um einer angeblichen exponentiellen Ausbreitung des Coronavirus entgegenzuwirken. So rechnete z.B. der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI) auf einer Pressekonferenz am 18. März – ausgehend vom damals beobachteten Anstieg in den Neuinfektionen – hoch, dass es in Deutschland in zwei bis drei Monaten bis zu 10 Millionen Infizierte geben würde, wenn man es nicht schaffen würde, die Kontakte unter den Menschen wirksam und über einige Wochen nachhaltig zu reduzieren.
Ähnlich formuliert es die Leopoldina – die Nationale Akademie der Wissenschaften – in ihrer zweiten Stellungnahme: „Obwohl der Anstieg der registrierten Neuinfektionen mit SARS-Cov-2 in Deutschland sich seit einigen Tagen verlangsamt, müssen die am 22.03.2020 beschlossenen, bundesweit gültigen politischen Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung weiterhin Bestand haben.“ Und der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sagte im ZDF Heute Journal am 19. April: „Wenn wir es geschafft haben, gemeinsam auch die Zahl der Neuinfektion so runterzubringen Richtung 3.000 bis 4.000 am Tag, dann muss es uns auch gelingen dort zu bleiben, nur dann können wir schrittweise zurück in eine neue Normalität.“
Der tatsächliche Zeitpunkt des Rückgangs in den täglichen Neuinfektionen
Angesichts der Tatsache, dass alle ergriffenen Maßnahmen mit der steigenden Zahl an täglichen Neuinfektionen begründet werden, wollen wir diese Zahlen einmal genauer betrachten. Dazu wollen wir uns zunächst die typische Graphik zum Anstieg in den Neuinfektionen ansehen, wie sie zum Beispiel seit langem im Dashboard des RKI dargestellt wird (Stand: 23. April):
Was man zunächst festhalten kann: Die Zahlen sinken offenbar mindestens seit dem 3. April. Aber nun gilt es genauer hinzusehen. Eine erste Frage ist: Was ist eigentlich genau mit dem Datum in der obigen Graphik gemeint? Bei dieser Graphik im Dashboard des RKI entspricht das Datum dem sogenannten Meldedatum – also dem Zeitpunkt, wann der Fall dem Gesundheitsamt bekannt geworden ist.
Man trifft hier auf einen ersten spannenden Punkt: Es sollte ja eigentlich um die Zahl der Neuinfektionen pro Tag gehen, also um den Zeitpunkt, wann sich eine Person mit dem Coronavirus infiziert hat. Aber zu dem Zeitpunkt, wenn ein Fall dem Gesundheitsamt bekannt wird, hat sich die Person ja nicht neu infiziert. Laut RKI vergehen zwischen dem Zeitpunkt der Ansteckung – also dem eigentlichen Zeitpunkt der Neuinfektion – und der Ausprägung von ersten Symptomen im Schnitt 5-6 Tage. Da Menschen nicht sofort schon bei den ersten Symptomen zum Arzt gehen, vergehen dann nochmals oft mehrere Tage bis ein Arzt aufgesucht wird, der dann gegebenenfalls einen Test macht, dessen Ergebnis dann oft erst ein oder manchmal sogar zwei Tage später vorliegt. Die obige Graphik hinkt also dem wahren Zeitpunkt der Neuinfektion deutlich hinterher.
Genau aus diesem Grund gibt es im Dashboard des RKI seit ein paar Tagen eine weitere Graphik. Dort wird die Anzahl an Neuinfektionen pro Tag nach dem Datum des Erkrankungsbeginns gezeigt – also dem Tag, an dem erste Krankheitssymptome ausgebildet wurden. Der Erkrankungsbeginn ist aktuell von 94.078 der 145.664 labordiagnostisch bestätigten Fälle bekannt. Für den zeitlichen Verlauf der Neuinfektionen ergibt sich dann das folgende Bild (die blauen Balken zeigen den Verlauf der Neuinfektionen festgemacht am Erkrankungsbeginn):
Ein Rückgang in den täglichen Neuinfektionen findet sich also in Wirklichkeit bereits weitaus früher. Um den genauen Zeitpunkt zu bestimmen, kann man noch die gelben Balken einbeziehen. Die gelben Balken entsprechen den Fällen, bei denen der Erkrankungsbeginn nicht bekannt ist. Diese sind deswegen nach wie vor am Meldedatum festgemacht.
Um deren Erkrankungsbeginn zu schätzen, kann man diesen Fällen – basierend auf den Fällen, bei denen man den Erkrankungsbeginn weiß – das wahrscheinlichste Erkrankungsdatum zuordnen (Fachbegriff: „Imputation“). In den täglichen Lageberichten vom RKI wird das so gemacht, um den wahren Verlauf der Neuinfektionen besser abschätzen zu können. Dann sieht die Graphik folgendermaßen aus (die Höhe der grauen Balken zeigt den mit Hilfe der Imputation geschätzten wahren Verlauf, festgemacht am Erkrankungsbeginn, Lagebericht vom 22.4.):
Demnach sinkt die Anzahl der täglichen Neuinfektionen in Wirklichkeit schon mindestens seit dem 19. März. Allerdings muss man sich klarmachen, dass das Datum in dieser Graphik ja dem Zeitpunkt der Ausbildung von ersten Krankheitssymptomen entspricht. Wie bereits beschrieben, liegen aber zwischen dem Zeitpunkt der Ansteckung – dem Zeitpunkt der wirklichen Neuinfektion – und dem Zeitpunkt der Symptomausbildung noch einmal 5-6 Tage. Die obige Verlaufskurve muss also noch einmal um 5-6 Tage zeitlich zurückgeschoben werden, und damit sinken die Neuinfektionen in Wirklichkeit bereits schon mindestens seit dem 13.-14. März.
Fazit
Am Ende der genaueren Betrachtung der Zahlen zum Verlauf der Coronavirusinfektionen lässt sich damit folgendes festhalten:
- Die berichteten Zahlen zu den Neuinfektionen überschätzen die wahre Ausbreitung des Coronavirus sehr dramatisch. Der beobachtete rasante Anstieg in den Neuinfektionen geht fast ausschließlich auf die Tatsache zurück, dass die Anzahl der Tests mit der Zeit rasant gestiegen ist. Es gab also zumindest laut den berichteten Zahlen in Wirklichkeit nie eine exponentielle Ausbreitung des Coronavirus.
- Die berichteten Zahlen zu den Neuinfektionen verbergen die Tatsache, dass die Anzahl der Neuinfektionen bereits seit in etwa Anfang bis Mitte März sinkt.
- Die Anzahl der Todesfälle sinkt ebenfalls bereits seit Anfang April, was durch die irreführende übliche Darstellung der pro Tag neu hinzugekommenen Todesfälle verborgen wird. Zudem spiegelt der Verlauf der Todeskurve womöglich nur den Verlauf der durch die Testanzahl dramatisch nach oben verzerrte Kurve der Neuinfektionen wider.
An dieser Stelle wollen wir noch einmal zum Anfang des Beitrags zurückzukehren und uns in Erinnerung rufen, dass alle der ergriffenen drastischen Maßnahmen damit begründet werden, dass dadurch ein rasantes Ansteigen der Anzahl der Neuinfektionen verhindert werden soll.
Nach der genaueren methodischen Betrachtung dieser Zahlen wird sehr klar, dass keine der ergriffenen Maßnahmen wirklich wissenschaftlich begründet werden kann:
Zum einen hat in Wirklichkeit die Anzahl der Neuinfektionen nie rasant zugenommen, zum anderen ist die Anzahl der Neuinfektionen bereits seit in etwa Anfang bis Mitte März rückläufig – das wurde nur dadurch verdeckt, dass die Anzahl der Coronavirus-Tests über die Zeit hinweg so stark zugenommen hat und der zeitliche Abstand zwischen tatsächlichem Infektionszeitpunkt und Testzeitpunk zu wenig beachtet wurde. Insbesondere kann auch keine der ergriffenen Maßnahmen den Rückgang erklären, weil die erste Maßnahme (Absage großer Veranstaltungen mit über 1.000 Teilnehmern) erst am 9. März erfolgte.
Ebenso wenig zeichnet sich in Deutschland eine Überlastung der Intensivstationen oder eine höhere Anzahl an Sterbefällen im Vergleich zu den Vorjahren ab, so dass auch damit keine der Maßnahmen gerechtfertigt werden kann.
Es erscheint aus dieser Perspektive heraus fragwürdig, wenn Virologen wie Christian Drosten von der Charité aktuell in den Medien die Angst vor einer zweiten Infektionswelle schüren, weil er davon ausgeht, dass bei einer Rücknahme der Maßnahmen sich das Coronavirus wieder exponentiell verbreiten könnte.
Solche Aussagen sind womöglich irreführend, gegeben, dass der angebliche exponentielle Anstieg in den Neuinfektionen bei der angeblichen ersten Infektionswelle nur ein künstlicher Effekt der Tatsache war, dass man die Anzahl der Tests so stark erhöht hat.
Es erscheint als eine der höchsten Pflichten eines jeden Wissenschaftlers, diese Punkte endlich in der Öffentlichkeit richtigzustellen, um Menschen ihre wahrscheinlich unnötigen großen Ängste zu nehmen und die extremen negativen Nebenwirkungen der wahrscheinlich unnötigerweise ergriffenen drastischen Eingriffe in unsere Grundrechte zu beseitigen.
Eine Abschlussbemerkung
Abschließend möchte ich noch darstellen, warum ich mit einem solchen Beitrag an die Öffentlichkeit gehe. Als Leiter eines Lehrstuhls für Psychologie weiß man um die möglichen extremen Nebenwirkungen der ergriffenen drastischen Maßnahmen. Ich möchte das kurz anhand eines einzigen Beispiels illustrieren:
Es gibt große Studien dazu, wie viele zusätzliche Suizide die Weltfinanzkrise von 2008-2010 – welche von der drohenden Wirtschaftskrise laut Fachexperten um Welten übertroffen werden wird – mit sich gebracht hat: Allein in den USA, Canada und Europa (andere ärmere Länder nicht mitgerechnet, die von unserer Kaufkraft abhängen und womöglich entsprechend ebenfalls leiden werden) waren das 10.000 zusätzliche Suizide in den Jahren 2008-2010. Wenn man sich klarmacht, dass hinter jedem Suizid viele weitere Menschen stehen, die ähnlich belastet sind aber keinen Suizid begehen, wird deutlich, wie viel Leid die getroffenen Maßnahmen mit sich bringen können.
Hier ist wichtig zu erwähnen, dass solche Suizidraten in Reaktion auf wirtschaftliche Krisen kein Automatismus sind und man hier Gegenmaßnahmen ergreifen kann. Aber wenn man die Vergangenheit als Heuristik nimmt, was womöglich in Zukunft passieren könnte – denn auch damals hat man ja versucht Gegenmaßnahmen zu ergreifen – ist mit äußerst drastischen Nebenwirkungen zu rechnen. Und das war nur ein Beispiel für die möglichen Nebenwirkungen.
Wenn man dann als ein in Forschungsmethoden sehr erfahrener Wissenschaftler bemerkt, dass womöglich die den ergriffenen Maßnahmen zugrundeliegende wissenschaftliche Basis Probleme aufweist, sucht man normalerweise nicht den Weg in die Öffentlichkeit. Stattdessen versucht man Kontakt mit den entsprechenden Fachexperten aufzunehmen, um auf diese möglichen Probleme hinzuweisen.
Seit Anfang April habe ich mehreren Virologen mehrmals Emails geschrieben, ohne bis heute eine Antwort auf meine Fragen erhalten zu haben, was bei der aktuellen Arbeitsbelastung dieser Personen auch absolut verstehbar ist. In einer solchen Situation bleibt einem aber dann nur der Weg an die Öffentlichkeit.
Das Problem ist, dass man dann oft sehr schnell als „Verschwörungstheoretiker“ abgetan wird, was manche dazu verleitet, nicht die Öffentlichkeit zu suchen. Hier ist es allerdings einfach so: Alle berichteten Analysen basieren auf den offiziellen Zahlen, und jede Person kann das einfach selber nachprüfen und die Dinge entsprechend für sich durchdenken.
Noch ein abschließender Satz: Es geht hier in keinster Weise darum, das Leid betroffener Menschen zu verharmlosen. Hier muss es das höchste Ziel einer jeden Gesellschaft sein, diesen Menschen bestmöglich zu helfen. Es geht hier darum, das von vielen angenommene Szenario einer epidemischen Ausbreitung des Coronavirus mit mehreren Millionen von Infizierten zu hinterfragen. Denn sollte dieses Szenario in Wirklichkeit gar nicht drohen, würden viele Menschen ohne wirklichen Grund so große Ängste erleben, und man würde ohne wirklichen Grund Maßnahmen ergreifen, deren womöglich dramatische negative Nebenwirkungen noch gar nicht abgeschätzt werden können.
Hinweis: Einzene Teile des Textes wurden verändert, hinzugefügt wurde die Abschlussbemerkung.
Quellen:
– Daten zu den Neuinfektionen und Todesfällen in Deutschland: NPGEO Corona Hub 2020 (Robert Koch Institute)
– Daten zur Testanzahl in Deutschland: Robert Koch-Institut: Erfassung der SARS-CoV-2-Testzahlen in Deutschland (Update vom 15.4.2020): Epidemiologisches Bulletin 2020;16:10
– Daten zu den Neuinfektionen in Italien: European Center for Disease Prevention and Control (ECDC).
– Daten zur Testanzahl in Italien: Ministero della Salute, Daten werden auf Github bereitgestellt.
– Daten zu den USA: National Center of Health Statistics
– Richtlinien vom Robert Koch-Institut zur Durchführung von Coronavirus-Tests
– Influenza-Wochenberichte vom Robert Koch-Institut
– Täglicher Lagebericht zum Coronavirus vom Robert Koch-Institut
– Alle der für die Analysen verwendeten Datensätze können beim Autor per E-Mail angefordert werden.
Christof Kuhbandner ist Psychologieprofessor und Lehrstuhlinhaber an der Fakultät für Humanwissenschaft der Universität Regensburg. Seine Überlegungen sind aktuell bei einer Fachzeitschrift eingereicht und bereits als nicht begutachteter Vorabdruck erschienen. Dieser Artikel erschien bereits in Stephan Schleims Blog Menschen-Bilder.