ZEIT online
Eine Analyse von Steffen Richter – 3. Oktober 2021
Wirtschaftspolitik in China: Mao ist zurück
Konzerne werden scharf reguliert, große Vermögen vernichtet, Unterhaltung eingeschränkt: Chinas Führung ändert das Wirtschaftsmodell. Das erinnert an vergangene Zeiten.
Chinas große Privatunternehmen geraten unter den Druck des Staates. Zuletzt besonders auffällig der mehr oder weniger insolvente Immobilienentwickler Evergrande. Als erstes traf es Chinas Tech-Gründerlegende Jack Ma: Der Alibaba-Milliardär verschwand vergangenes Jahr einfach von der Bildfläche, der Börsengang seines Fintech-Unternehmens Ant Group wurde kurzerhand kassiert, Alibaba musste eine Milliardenkartellstrafe zahlen. Und es ging es weiteren Techunternehmen wie dem Giganten Tencent an den Kragen.
Damit nicht genug, wurden wegen Missständen im Bildungswesen Chinas florierende Nachhilfeunternehmen praktisch verboten, ein beliebter Lieferdienst und ein Onlinedienstleister mussten eine Gewerkschaft gründen, das verbreitete Onlinegaming wurde offiziell verdammt und Minderjährigen das Spielen auf drei Stunden die Woche beschränkt. Schließlich war dann noch die Unterhaltungsindustrie dran: Prominente sollen sich künftig angemessener Sprache bedienen und keine Tattoos zeigen, Männer keine Ohrringe tragen, parallel verschwinden plötzlich Schauspieler und Influencerinnen aus den sozialen Medien.
Das sind die offensichtlichsten Beispiele dafür, wie Chinas Wirtschaftsleben von der politischen Führung gerade durchreguliert wird. Es geht häufig gegen Monopolbildung, schlechte Arbeitsbedingungen, exzessive Gehälter und Vermögen, gegen allgemein allzu mächtig und groß gewordene Privatunternehmen. Für die Regulierungen im Einzelnen gibt es oft gute Gründe, gleichzeitig werden damit Unternehmensgewinne und Markwerte vernichtet.
„Gemeinsamer Wohlstand“ als Pendant zum Kapitalismus
Der politischen Führung Chinas in Gestalt der seit 1949 autokratisch herrschenden Kommunistischen Partei ist es das offenbar wert. Seit geraumer Zeit müssen auch private Unternehmen KP-Vertreter in ihren Betrieben dulden. Die Maßnahmen gegen mehr oder weniger westliche Pop- und Fankulturen weisen darauf hin, dass die KP-Führung bestimmte Vorstellungen über Chinas Gesellschaft hat und der Unterhaltungssektor sich dem fügen soll. Aber über allem geht es ihr darum, der Wirtschaft mitzuteilen, wer der Chef im Haus ist: die Partei.
Damit das auch klar ist, hat ihr Chef Xi Jinping Mitte August den Eintritt in eine Phase des „gemeinsamen Wohlstands“ ausgerufen. Damit adressiert er primär die wachsende soziale Ungleichheit im Land. Er prangert „unangemessene Einkünfte“ an, ein Warnschuss an Chinas Milliardäre. Die Konzernchefs haben das verstanden, vor allem die Big-Tech-Bosse spenden jetzt Milliardenbeträge, um sich die Gunst der KP zu sichern.