Blätter für deutsche und internationale Politik – Ausgabe Juli 2022
Zeitenwende wohin?
Die moralische Empörungsspirale als Sackgasse
Seit geraumer Zeit ist bekannt, dass sich die Gesellschaften des Gegenwartskapitalismus in einem tiefgreifenden Umbruch befinden. Die Spezifik der historischen Situation besteht im Aufeinandertreffen säkularer Umbrüche mit einer Serie externer Schocks. Während etwa die Globalisierung, die Digitalisierung sowie der Klimawandel zu den großen Umbrüchen gehören, lassen sich die Covid-19-Pandemie, massive Lieferkettenprobleme sowie der Ukraine-Krieg als unvorhergesehene äußere Schockereignisse fassen. Aus dieser Gleichzeitigkeit gehen Probleme hervor, die an Tiefe und Komplexität ihresgleichen suchen.
Das hat Folgen für die Politik. Strukturell überfordert steht sie vor Problempanoramen, in denen unterschiedliche Logiken wirken, die kaum zu managen sind. Dabei wächst das Risiko in dem Maße, in dem sich die Problemdeutungen von ökonomischen Gewinn- und politischen Machtinteressen entfernen.
Die Folge sind suboptimale Problemlösungen, die den Konflikten befristet ihre Brisanz nehmen, aber oftmals weit entfernt von einer abschließenden Lösung sind. Die so erzwungenen „Muddling-Through“-Politiken erscheinen als Handlungsunfähigkeit und subjektives Versagen der handelnden Akteure und nagen an der Legitimation demokratischer Entscheidungsprozeduren.[1]
Um Ansehensverlust zu vermeiden, bietet es sich an, kommunikativ die Komplexität der Problemlagen zu reduzieren und eine einzelne Ursache als die alles Entscheidende hervorzuheben, die dann mit moralisch unterlegter Entschlossenheit und inszenierter Schlagkraft angepackt werden kann. So entsteht der Eindruck von normativer Verlässlichkeit und politischer Handlungsfähigkeit. Das schafft Vertrauen und dient dem Image als zupackendem Entscheider, was sich letztlich an der Wahlurne auszahlt. Die durch die Digitalisierung beschleunigten Medien, denen komplexe Problemanalysen ohnehin ein Graus sind, assistieren dabei gerne.
Mehr Zeit in Anspruch nehmende Versuche der Politik, durch sachgerechte Analysen zu sachgerechten Politiken vorzustoßen, werden als Unentschlossenheit, Führungsschwäche und mangelnde Tatkraft abgewertet. Auch das hat Konsequenzen bei der jeweiligen nächsten Wahl.
Der Ukraine-Krieg als Exempel
Die Positionierung der deutschen Politik gegenüber dem Ukraine-Krieg kann als Beispiel einer solchen Konstellation herangezogen werden.
Der ganze Beitrag, hier als pdf (Fettschreibung; Gelbfärbung H.D.): Hans_Jürgen Urban Zeitenwende wohin Blätter 07_2022 (002)