Prantls Blick: Demonstrationen in bizarren Zeiten

Quelle: Süddeutsche Zeitung online

Von Heribert Prantl  17. Mai 2020

Prantls Blick:Demonstrationen in bizarren Zeiten

 Verschwörungstheorien sind keine Theorien, sondern Idiotien. Und die Grundrechte sind das Beste, was wir haben. Warum man sie nicht den Extremisten überlassen darf.

In der Corona-Krise haben mir Leute gesagt und geschrieben: „Übertreiben Sie es nicht mit Ihrem dauernden Rumreiten auf Demokratie und Grundrechten, lieber Prantl!“ Ich habe geantwortet: „Kann man es als Demokrat mit der Demokratie übertreiben?“ Ein guter Bekannter meinte zu den Grundrechtseinschränkungen, dass einst mein Oberpfälzer Landsmann Hermann Höcherl als Bundesinnenminister im Kabinett von Konrad Adenauer schon recht gehabt habe mit seinem Satz, dass seine Beamten „nicht den ganzen Tag mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen“ könnten. „Ob sie es unterm Arm tragen“, habe ich geantwortet, „ist mir gleich. Aber im Kopf und im Herzen müssen die Politiker und ihre Beamten das Grundgesetz haben, wenn es darum geht, Kontaktsperren und Betriebsschließungen vorzuschreiben, durchzusetzen und wieder aufzuheben.“ Und: Auch aus berechtigter Sorge darf man nicht ein wenig, also „etwas außerhalb der Legalität“ handeln, wie Höcherl seinerzeit die Rechtsbrüche in der Spiegel-Affäre zu beschwichtigen versuchte. „Die nächste Bundestagswahl ist doch erst“, so meinte da ein Freund zu meinen Sorgen über eine schrumpfende Demokratie, „im Herbst 2021. Und bis dahin ist längst ein Anti-Covid-19-Impfstoff gefunden, bis dahin ist die Corona-Krise, selbst wenn sie ganz lange dauert, Vergangenheit.“

 Demokratie ist mehr als eine Urne

Wer so redet, der hält die Demokratie für eine Kiste: 90 Zentimeter hoch und 35 Zentimeter breit; oben hat diese Demokratie einen Deckel mit Schlitz – und alle paar Jahre, in Deutschland immer an einem Sonntag, kommen viele Leute zu diesen Kisten. Die Kisten heißen „Urnen“. Das ist eigentlich ein merkwürdiger Name, denn die Demokratie wird ja an diesen Wahltagen nicht verbrannt und beerdigt. Im Gegenteil: Sie wird neu geboren, sie muss dann genährt werden, gefördert, ausgebildet, sonst stirbt sie. Sie braucht den Gebrauch und die Anwendung. Sie muss bewegt werden, sonst geht es ihr wie einem bettlägerigen Patienten: Die Gelenke werden steif, die Muskeln schlapp, und wenn der Patient nicht mobilisiert wird, kommt er nicht wieder auf die Beine.

Videokonferenzen – keine wirklichen Begegnungen

Demokratie ist sehr viel mehr als eine Wahl. Eine richtige Demokratie findet an jedem Tag statt, sie findet statt im mühsamen Begründen, Streiten und Aushandeln – wenn, ja wenn nicht gerade Corona und also das Sich-Versammeln schwer ist, das Demonstrieren auch.

„Teams“ und „Zoom“ und Videokonferenzen werden im Moment gefeiert. „Endlich!“ sagen viele, „endlich kommen die Leute darauf, dass man Verhandlungen auch via Bildschirm führen kann.“ Aber je länger das währt, umso mehr wird auch spürbar, dass diese Art der Diskussion kein Ersatz ist, sondern ein Behelf. Videokonferenzen sind keine wirkliche Begegnung.

Dazu gehört das Nebengespräch mit dem Nachbarn, die Verständigung über Blicke und Gesten, das informelle Gespräch in der Pause. Demokratie stellt nicht soziale Distanz her, Demokratie will soziale Distanz überwinden. Der neunmalkluge Einwand, dass man den Lockdown nicht Social Distancing, sondern Physical Distancing nennen sollte, ist ebenfalls ein Behelf – es ist der wohlmeinende Versuch, den sozialen Verlust begrifflich zu verharmlosen. Eine Demokratie leidet an Ausgangsbeschränkungen, an Kontakt- und Versammlungsverboten, so notwendig solche Verbote kurzfristig auch sein mögen. Der Satz „Not kennt kein Gebot“ ist ein Satz, der nicht zu einer Demokratie und nicht zu einem Rechtsstaat passt. Auch die Not kennt Gebote: Sie sind in den Grundrechten formuliert.

Verschwörungstheorien sind keine Theorien, sondern Idiotien

Heute, in Corona-Zeiten, treiben leider Heuchler mit dem Wort „Grundrechte“ Schindluder. Es beschwören auch solche Leute die Grundrechte, die diese Grundrechte sonst verlachen und verhöhnen. Rechtsextremisten tun so, als müssten sie, ausgerechnet sie, jetzt die Grundrechte schützen. Flankiert werden sie dabei von allerlei Spintisierern, die mit dem Etikett „Verschwörungstheoretiker“ beklebt werden, obwohl es sich bei ihren Anschauungen gerade nicht um Theorien handelt, nicht um Thesen, die aus denkenden Anschauungen gewonnen werden, sondern um Phantasmen, die im undurchsichtigen Nebel von Vorurteilen, Lügen, Halbwahrheiten, Ängsten und Ressentiments entstehen. Sie alle versuchen, ihre Idiotien dadurch zu adeln, dass sie sich als Verteidiger der Verfassung tarnen.

Je verrückter, desto mehr Klicks

Aber das Grundgesetz ist kein Kostümverleih, ein Grundrecht ist kein Tarnanzug. Ein Grundrecht wie das der Versammlungsfreiheit kann sich nicht wehren. Auch nicht dagegen, dass Leute mit absonderlichsten Ideen, wie Attila Hildmann, ein veganer Koch, der auf Facebook in die Welt schreit: „Die Olympia Eröffnungszeremonie 2012 war ein Corona Ritual!“, in den Hitlisten des Internets ganz oben stehen. Diese Leute behaupten, dass die Strahlen des neuen 5G-Handy-Netzes für Covid-19 verantwortlich seien. Oder dass Bill Gates das Coronavirus in die Welt gesetzt und die WHO gekauft habe, um sich dann mit dem Impfstoff zu bereichern. Je verrückter, desto mehr Klicks. Man darf allerdings vermuten, dass ein Teil der Aufrufe solcher Seiten nicht von Anhängern stammt, sondern von Neugierigen, die im großen Hype um die Verschwörungsidiotien auch mal schauen wollen, was so an Verrücktheiten und Scheußlichkeiten im Angebot ist – so wie die Leute Anfang des 20. Jahrhunderts in die Freakshows der Jahrmärkte strömten, um „die erstaunlichsten Ungeheuer aller Zeiten“ zu sehen.

Man kann den Kopf schütteln, bis er abfällt

Gerade über die sogenannten Verschwörungstheoretiker kann man sich jetzt herrlich aufregen, sie medial aufblasen. „Ist es nicht schrecklich? Ja, es ist schrecklich“, kann man sich empören und seine eigene Aufgeklärtheit beweisen und ein gutes Gewissen haben, weil man selbst nicht auf Grundrechts-Demos geht. Man kann sein ganzes Repertoire an Ironie über die Idiotie abspielen, man kann das Spintisieren analysieren und sich distanzieren, man kann die Verschwörungsphantasmen zum x-ten Mal als den Versuch demaskieren, einfache Lösungen zu finden und solche beeindruckenden Wörter wie „Komplexitätsreduktion“ anbringen. Man kann über die kursierenden Hirngespinste über Bill Gates den Kopf schütteln, bis er abfällt. Aber: Man sollte bei aller Empörung darüber nicht ganz vergessen, was wahrlich ein Grund zur Empörung angesichts einer Pandemie sein könnte. Wahr ist nämlich, dass die WHO ohne einen Mäzen wie Bill Gates finanziell am Ende wäre, weil die Staaten zu wenig Beiträge zahlen und die USA die Zahlungen völlig gestoppt haben. Letzteres ist wirklich ein Grund zum Demonstrieren.

Die plötzliche Grundrechtsliebe der Extremisten – und was der Grund dafür ist

Die berechtigte und die herbeigeredete Aufregung über die Verschwörungsphantasten überlagert die notwendige Diskussion über die Einschränkungen von Grundrechten; und die Diskussion über die Einschränkungen von Grundrechten leidet darunter, dass Grundrechtsmissachter wie die AfD auf einmal die Grundrechte in den höchsten Tönen loben. Noch einmal: Die AfD ist eine Partei, in der Grundrechte wenig gelten. Auf Versammlungen dieser Partei wird vor Begeisterung gejohlt, wenn Nazi-Verbrechen verharmlost, Juden verhöhnt, Muslime verachtet und Gemeinheiten über Flüchtlinge gesagt werden. Wenn sich ausgerechnet eine solche Partei, wenn ausgerechnet diese und andere Verfassungsverächter sich jetzt zu Verteidigern der Grundrechte aufwerfen, ist das fatal. Ein Grundgesetz, das solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr. Aber vielleicht kann man in der plötzlichen Grundrechtsliebe der Partei auch ein Indiz sehen für ihre berechtigte Angst vor Bedeutungsverlust, also eine Verfallserscheinung.

Warum viele gute Demokraten sich scheuen, auf die Straße zu gehen

Viele gute Demokraten sind jedenfalls zutiefst verunsichert, vielleicht genieren sie sich auch: Sie sehen, dass die Grundrechte leiden, wollen aber nicht auf die Straße gehen, wollen lieber Abstand halten, was ihnen nach ihrem eigenen Selbstbild aber gar nicht so gut steht. Ist da die Fixierung auf die Verschwörungsidioten womöglich auch eine Art Kompensation des eigenen Unbehagens über die restriktiven Anti-Corona-Maßnahmen und eine Kompensation der Gewissensbisse, weil man diese Maßnahmen einfach brav hinnimmt?

Warum man Mut und ein dickes Fell braucht

Man darf die Verfassung, man darf die Grundrechte, man darf die Versammlungs- und die Meinungsfreiheit nicht mit Gauland und Co. alleine lassen. Dazu braucht man, je größer die Empörung über die Verschwörungsschwafler wird, umso mehr Mut. Wer jetzt das Wort ergreift, braucht ein dickes Fell, weil er aushalten muss, als „auch so eine/r“ einsortiert und beschimpft zu werden. Man sollte, man darf bitte die Reden auf den Demos jetzt nicht Verschwörungsfreaks und Konsorten überlassen, die nur zu gern auf der Bühne stehen. Das ist mein Appell an die Organisatoren, das ist auch ein Appell an die, die sich jetzt bange machen lassen, das zu sagen, was zu sagen ist.

Warum Krach schlagen wichtig ist. Und welche Demonstrationen notwendig sind.

Ob mit oder ohne Demonstrationen: Die Parlamente und die Gerichte müssen intensiv über Grundrechtseinschränkungen und ihre Aufhebung in den Zeiten der Pandemie beraten und urteilen.

Diese Beratungen, diese Urteile müssen der Ausgangs- und Fixpunkt für breite Diskussionen in der Öffentlichkeit sein, an der sich auch die großen Verbände und Einrichtungen der Zivilgesellschaft beteiligen – also etwa die Gewerkschaften, die Wohlfahrtsverbände, die Religionsgemeinschaften. Wir brauchen Demonstrationen, vielleicht gar nicht so sehr solche, die allgemein „für die Grundrechte“ und fürs Demonstrieren demonstrieren. Wir brauchen Mahnwachen, wie sie etwa der katholische Pfarrer Peter Kossen vor der Firma Westfleisch in Coesfeld abgehalten hat. Das sind die Demonstrationen, die bitter notwendig sind: gegen Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie, die an Sklaverei grenzen. Hier lernt man, dass die Beachtung von Grundrechten (hier: die Einhaltung von guten Arbeitsbedingungen) dem Schutz vor Corona dient. Und man wird erinnert, dass all die Probleme, die die Menschen vor der Pandemie auf die Straße getrieben haben, durch das Virus nicht erledigt sind, sondern vielfach verschärft werden. Es braucht weiterhin Menschen, die ihretwegen öffentlich Krach schlagen.

Das Beste, was wir haben

Gewiss: Die Grundrechte gelten auch für Leute, die für anderes demonstrieren, sie gelten auch für Radikale und Extremisten, sie gelten auch für Leute, die Corona für eine Erfindung halten.

Das Grundgesetz schützt ja nicht nur gute und demokratisch wertvolle Meinungen. Es schützt auch das Abseitige und das Abstruse. Aber: Man darf die Grundrechte nicht mit den Verfechtern des Abstrusen alleine lassen. Die Grundrechte sind das Beste, was wir haben – sie sind die Grundordnung der Gesellschaft. Wir brauchen den Mut zu ihrer Verteidigung auch in bitteren und bizarren Zeiten.

Vor einem Jahr haben wir gefeiert und die Grundrechte gepriesen. Wir haben uns, zum siebzigsten Jubiläum des Grundgesetzes, an dessen Mütter und Väter erinnert – an wunderbare Demokraten wie Elisabeth Selbert und Carlo Schmid, an Widerstandskämpfer gegen Hitler wie Hermann Louis Brill und Jakob Kaiser. Als sie die Grundrechte formuliert haben, lag Deutschland in Trümmern, in Schutt und Elend. Der Katalog mit den Grundrechten entstand in einer Welt voller Unsicherheit. Hunderttausende „displaced persons“ zogen damals durchs Land, ansteckende Krankheiten grassierten. Die Grundrechte sollten Sicherheit geben in einer Welt der Unsicherheit. Es war und ist nicht gut, wenn nun, 71 Jahre später, in der Corona-Krise, die Aussetzung dieser Grundrechte Sicherheit geben soll.

Eigenverantwortung stärken, nicht denunzieren

Eine gute Zukunft haben wir nur dann, wenn uns eine bürgerschaftliche Demokratie gelingt – auch in Corona-Zeiten. Das ist eine Demokratie, die die Verantwortung für die Demokratie und Gesellschaft nicht bei den Parlamenten, bei der Regierung, der Verwaltung oder bei den Virologen abgibt, so notwendig deren Sachverstand auch ist. Eine gute Demokratie muss auch an die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger glauben, sie muss diese Eigenverantwortung stärken und nicht denunzieren; eine gute Demokratie traut der Vernunft ihrer Bürger.

Studie zu Aerosol-Viruswolken: dicke Luft im Restaurant

SPIEGEL online – 15.05.2020

Von Susanne Götze

Covid 19-belastete Tröpfchen machen geschlossene Räume zu Infektionsherden

Studie zu Aerosol-Viruswolken: dicke Luft im Restaurant

Durch winzige Schwebeteilchen stecken sich in geschlossenen Räumen mehr Menschen mit Covid-19 an als bislang angenommen, vermuten US-Forscher. Das könnte auch Folgen für Restaurants und Cafés haben.

Nach mehr als zwei Monaten Alltag in der Coronavirus-Pandemie haben sich die Regeln langsam eingeschliffen: Mit Abstand halten, Händewaschen und Desinfizieren kann verhindert werden, dass schnell viele Menschen an Covid-19 erkranken. Doch das ist möglicherweise nur die halbe Wahrheit.

Erste Anzeichen dafür, dass die Virusverbreitung komplexer ist, gab es schon seit Anfang März. Damals trafen sich in der Kleinstadt Mount Vernon nördlich von Seattle 61 Chormitglieder in einer Kirche. Aus der harmlosen Chorprobe wurde dann ein „Superspreader-Ereignis“. So nennen Virologen den Vorgang, wenn eine mit dem Virus infizierte Person überproportional viele Mitmenschen ansteckt. Obwohl Desinfektionsmittel bereitstanden und alle auf die Abstandsregeln achteten, steckte ein einziger Chorsänger mit Covid-19-Symptomen ganze 52 seiner Mitsänger an. Drei mussten ins Krankenhaus, zwei starben.

Einen ähnlichen Fall gab es in der Berliner Domkantorei, als sich ebenfalls rund 80 Menschen zum Chorsingen trafen und danach über 30 Mitglieder positiv auf das Virus getestet wurden. Von der Domverwaltung hieß es später: Die lange Verweildauer in einem Raum habe „es offensichtlich unerheblich gemacht, wie weit man voneinander weg sitzt“. Das legen nun auch neueste wissenschaftliche Erkenntnisse nahe.

Weil alle Hygieneregeln bei den Chorproben befolgt wurden, könnte die Ursache für diese „Superspreader“-Ereignisse in der Luft liegen. Dabei geht es um winzige Schwebeteilchen, die für das bloße Auge unsichtbar sind. Die sogenannten Aerosole sind ständig in unserer Luft. Durch Niesen, Husten oder Sprechen fliegen sie als Mikrotröpfen in die Umwelt. Haften sich Bakterien oder Viren an die Partikel, heißen sie Bioaerosole.

Wie groß die Ansteckungsgefahr durch virenbelastete Teilchen ist, wollten US-Forscher vom National Institute of Diabetes and Digestive and Kidney Diseases (NIDDK) mit einer Studie herausfinden. Dafür maßen sie, wie viele Aerosole durch normales Sprechen ausgestoßen werden und wie lange die Tröpfchen in der Luft bleiben, bevor sie zu Boden fallen. Die Schwebedauer ist dabei entscheidend für das Risiko, andere Menschen im selben Raum anzustecken. Dafür mussten die Testpersonen in einem geschlossenen Raum 25 Sekunden lang laut den Satz „Stay healthy!“ („Bleib gesund!“) wiederholen. Ausgesucht wurde der Satz wegen des spuckafinen „th“ im Englischen. Um die Tröpfchen messbar zu machen, projizierte das Forscherteam einen Laser in den Raum.

Das Ergebnis kann man nun im Fachmagazin der US-amerikanischen Nationalen Akademie der Wissenschaften („PNAS“) nachlesen: Unter diesen Laborbedingungen produziert ein Sprecher in jeder Minute mehr als tausend virusbelastete Tröpfchen. Diese verweilen dann in einem geschlossenen Raum durchschnittlich zwölf Minuten lang in der Luft. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Viren an die Mikroteilchen binden, variiert je nach Größe des Aerosols. Je kleiner die Schwebeteilchen, desto geringer auch die Viruslast.

Demnach ist laut den US-Forschern ein Beleg erbracht, dass nicht nur Husten und Niesen, sondern auch Sprechen eine ansteckende Aerosolwolke produzieren kann. Eine Ansteckung wird umso wahrscheinlicher, je kleiner ein Raum und je länger die Sprechaktivität ist. Dabei ist zweitrangig, ob es genügend Abstand gibt oder nicht. Sogar einfaches Atmen könnte potenziell infektiöse Aerosole freisetzen, erklärte Donald Milton, US-Aerobiologe für Infektionskrankheiten in einem Statement der Nationalen Akademie der Wissenschaften.

Den Kaffee lieber auf dem Terrassenplatz

Dieser Infektionsweg ist an sich nicht neu: Er ist bereits für andere Erreger belegt, darunter Masern, Tuberkulose, Influenza – und auch für Sars-CoV-1, das von 2002 bis 2003 grassierende Coronavirus.

Stimmt die Aerosol-Theorie, dürften sich Infizierte und Risikogruppen auch in geschlossenen Räumen wie Supermärkten, Bussen und Bahnen nicht gemeinsam aufhalten, kommentierte US-Epidemologe Michael Osterholm vom US-Instituts Center for Infectious Disease Research and Policy entsprechende Berichte bereits im April.

Das sieht auch der deutsche Virologe Christian Drosten so. Er schätzt, dass fast die Hälfte der Virusübertragungen auf Aerosole zurückzuführen sind, die andere Hälfte durch großere Tröpfchen und nur rund zehn Prozent durch Schmier- oder Kontaktinfektionen. Diese virenbelasteten Schwebeteilchen könnten sogar einige Stunden infektiös bleiben, erklärte der Leiter der Virologie der Berliner Charité in seinem NDR-Podcast vom 12. Mai.

Drosten hält deshalb das Händewaschen oder Desinfizieren für übertrieben. Wichtiger sei, dass sich die Menschen unter freiem Himmel treffen und nicht in geschlossenen Räumen, wo die Aerosole nicht abziehen oder weggeweht werden könnten.

„Die bisherigen Untersuchungen weisen darauf hin, dass Sars-CoV-2-Viren über Aerosole auch im gesellschaftlichen Umgang übertragen werden können“, bestätigt mittlerweile auch das Robert Koch-Institut in seinem Steckbrief. Das stütze sich auf Untersuchungen, die darstellen, wie sich von Menschen abgegebene Partikel in Räumen verteilen und zu „aerogenen Übertragungen“ führen. Über die Risiken im Alltag und die Folgen für die aktuellen Lockerungsregeln will sich das RKI aber auf Nachfrage nicht äußern.

Wie stark Innenräume mit Coronaviren belastet sind, testet derzeit auch ein Labor in Kalifornien. Die Forscher des Lawrence Berkeley National Laboratory, eine Einrichtung des US-Energieministeriums, simulieren den Tröpfchen- und Aerosolaustausch zwischen den Räumen.

Dafür nutzen sie einen Gebäudesimulator, den Architekten oder Behörden normalerweise für das Testen von technologischen Neuheiten nutzen. Die Wissenschaftler wollen herausfinden, wie hoch das Risiko einer Ansteckung in Büros oder auch in Restaurants ist. Getestet wird auch, wie sich die belastete Atemluft durch Belüftungsanlagen, Heizungs- oder Klimaanlagen verteilt.

Masken: Besser als nichts

Ob Masken wirklich einen sicheren Schutz gegen das Verbreiten virenbelasteter Mikropartikel bieten, ist weiter umstritten. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erkärte, dass selbst gemachte „Community-Masken“ eher eine physische Barriere seien und eine Schutzfunktion vor größeren Tröpfchen sowie den Kontakt zwischen Gesicht und kontaminierten Händen verhinderten.

Auch das Robert Koch-Institut (RKI) empfiehlt mittlerweile das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung im öffentlichen Raum. Die selbst gemachten Masken filtern laut RKI aber vermutlich weniger Tröpfchen als der mehrlagige medizinische Mund-Nasen-Schutz. Das Tragen einer Maske könne „den Infektionsdruck und Ausbreitungsgeschwindigkeit in der Bevölkerung reduzieren“.

Untersuchungen von Feinstaubmasken zeigen, dass gerade einfache Baumwollmasken relativ grobmaschig sind. Zwar werden größere Tropfen abgehalten, aber Aerosole, die eine Größe von einem Tausendstel Millimeter haben, gelangen sehr wahrscheinlich beim Sprechen durch die Maske ins Freie. Beim Restaurantbesuch oder beim Kaffeetrinken muss die Maske ohnehin irgendwann ab. Werden dann noch die neuesten Corona-Witze erzählt und kräftig gelacht, haben die Viren freie Bahn.

StadtMobil Kirchheim ermöglicht Autokino-Besuch

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CarSharing  – sich Autos mit anderen teilen – bietet eine kostengünstige und flexible Möglichkeit mobil zu sein.

In Kirchheim ermöglicht die Agendagruppe StadtMobil e.V. Menschen, die kein Auto besitzen, den Besuch des Autokinos. Der Verein stellt ihnen ein rotes StadtMobil Auto auf dem Gelände zur Verfügung.

Bitte klären Sie im Vorfeld ab, ob das Fahrzeug verfügbar ist, per E-Mail (verein@stadtmobil-ev.de) oder telefonisch unter 0711 94 54 36 36.

Sie benötigen lediglich eine Kinokarte, es ist nicht notwendig StadtMobil-Kunde zu sein. Das Auto wird dann für Sie reserviert und der Schlüssel an der Kasse hinterlegt.

Für alle Kund*innen von StadtMobil stehen weitere Fahrzeuge direkt am Eingang des Kinos und können wie üblich gebucht werden.

Bei Besuch eines Autokinos im Juni schenkt der Verein allen StadtMobil-Kund*innen eine Zeitkostengutschrift von 5 Euro.

Wir wünschen Ihnen einen schönen Kinoabend.

Programm vom vom 18.5.20 bis 23.5.20 hier

Die Neue Rechte als Herausforderung für die Demokratie

Die Neue Rechte als Herausforderung für die Demokratie.

„Die autoritäre Revolte“ – Vortrag von Volker Weiß . Aufzeichnung vom Fachtag an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) am 11.10.2018

Den Fachtag eröffnet der Historiker Volker Weiß, der in seiner Publikation „Die autoritäre Revolte“ einen Überblick über die Akteure, Ideen, Begriffe und die Geschichte neuer rechter Bewegungen gibt. Ein zentrales Thema der Veranstaltung ist die Neue Rechte in Sachsen-Anhalt und ihre Bedeutung für die rechtsextremistische Szene.“

„Die autoritäre Revolte“: kurze ZEIT-Rezension des Buchs von Volker Weiß „Die autoritäre Revolte“.


Neue  Rechte in Sachsen-Anhalt und ihre Bedeutung für die nationale Szene  2/5 | Vortrag von David Begrich, Arbeitsstelle Rechtsextremismus bei Miteinander e.V.


Die Neue Rechte als Herausforderung an die politische Bildung. Vortag von Prof. Dr. Andreas Petrik, Lehrstuhl Didaktik der Sozialkunde/Politische Bildung an der MLU


Neue Rechte 4/5 | Das Institut für Staatspolitik Schnellroda.  Workshop, David Begrich.


Die Neue Rechte 5/5. Podiumsdiskussion mit Antonie Rietzschel, Süddeutsche Zeitung David Begrich, Miteinander e. V. Andreas Speit, Journalist, Sozialwissenschaftler David Jahr, Institut für Politikdidaktik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Valentin Hacken, Bündnis Halle gegen Rechts Mamad Mohamad, Geschäftsführer LAMSA e. V.

Zoom und Microsoft im Corona-Aufschwung: Digital unabhängig werden

Quelle: TAZ  17.5.20 – Autor: Christian Füller

Digitales Lernen in Corona-Zeiten  – Microsoft erobert die Schulen

Bayerns Schulen können bald „Teams“ von Microsoft für Videokonferenzen nutzen. Datenschützern und der Open-Source-Community gefällt das nicht.

BERLIN taz | Es ist der zweite Coup für Microsoft binnen weniger Wochen. Bayerns Kultusminister Michael Piazolo hat das Videokonferenzsystem „Microsoft Teams“ für seine Schulen frei gegeben. Das verhilft dem Software- und Cloud-Giganten aus den USA wohl zum Durchbruch im deutschen Bildungssystem. Zu Beginn der Schulschließungen Mitte März hatte bereits das baden-württembergische Kultusministerium Microsofts Text- und Cloud-Programm Office 365 an Schulen zugelassen. Damit sind die beiden großen Südländer im Begriff, von der Open-Source-Software Moodle auf Produkte des Billion-Dollar-Unternehmens umzuschwenken.

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Quelle: taz 28.4.2020  Tilman Baumgärtel

Zoom und Microsoft im Corona-Aufschwung: Digital unabhängig werden

Angebote von Zoom und Microsoft boomen gerade. Für die Bildung sind vor allem Open-Source-Anwendungen besser.

Zwei Gewinner der Coronakrise stehen schon jetzt fest: Microsoft wegen seiner Software Teams, und Zoom wegen seines gleichnamigen Videokonferenzdiensts. Beiden gemeinsam ist, dass diese Dienste bis zu Beginn der Coronakrise nur wenigen bekannt gewesen waren.

Ebenfalls gemeinsam ist ihnen, dass man seither mit einem dieser Programme Bekanntschaft gemacht haben dürfte, wenn man im Homeoffice arbeitet oder als Schüler Tele-Learning macht. Innerhalb einer Woche stieg Mitte März die Zahl der täglich aktiven Nutzer von Teams weltweit um mehr als 12 Millionen auf 44 Millionen Nutzer. Die Zeit, die das Angebot täglich genutzt wird, hat innerhalb des letzten Monats um 200 Prozent zugenommen. Zoom hatte Ende letzten Jahres 10 Millionen Nutzer, nun sind es 200 Millionen.

Eine weitere Gemeinsamkeit: Es gibt berechtigte Zweifel, ob die Daten ihrer Nutzer bei ihnen in guten Händen sind. Das deutsche Außenministerium hat seinen Mitarbeitern kürzlich verboten, für Dienstgeschäfte Zoom einzusetzen, weil der Service möglicherweise nicht der europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) entspricht.

Microsoft betont zwar gerne, dass es sich an die europäische Datenschutz-Bestimmungen hält. Doch bei einer Untersuchung in den Niederlanden kam 2018 heraus, dass die Unternehmensversion von Microsoft Office in großem Stil personenbezogene Daten ihrer Nutzer speicherte, ohne sie darüber zu informieren. Mit diesen Informationen konnten Personen- und Verhaltensprofile erstellt werden. Auch wenn das Unternehmen seither Änderungen vorgenommen hat, um hohe Geldstrafen zu vermeiden, existiert in der Unternehmensversion des Programms nach wie vor das Modul „MyAnalytics“, das Aktivitäten wie E-Mail-Verkehr, Chats und Anrufe analysiert.

Schon 2018 kam eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung zu dem Schluss: Das Office-Modul „Workplace Analytics“ ziehe „aus den Daten Informationen zu Quellen von Zeitverlust heraus, trägt Stressindikatoren zusammen, macht Aussagen zur Stimmung und dem Engagement der Belegschaft.“

Das Kollaborationsprogramm Teams, mit dem Schulkinder in den letzten Wochen möglicherweise online ihre Hausaufgaben gestellt bekommen haben, ist Teil von Microsoft Office. Das Unternehmen bietet Schulträgern eine kostenlose Lizenz von Office 365 Education in der Vertragsvariante A1 an, obwohl zum Beispiel der hessische Datenschutzbeauftragte das Programm nur unter Vorbehalt an Schulen in seinem Bundesland erlaubt.

Der Staat hat die Entwicklung digitaler Technologien dem Markt überlassen, ähnlich wie das Gesundheitssystem

Das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) warnte vor diesen Lockvogel-Angeboten, die Schüler an die Produkte von Microsoft gewöhnen sollen. Das Einhalten von Datenschutzbestimmungen sei dabei „kaum bis gar nicht zu garantieren“, die Daten deutscher Schüler könnten auf amerikanischen Servern landen, heißt es.

Stattdessen fordert FIfF, dass die deutschen Schulen eine eigene Infrastruktur auf der Basis von Open-Source-Software entwickeln sollten. Open-Source-Programme unterscheiden sich von den Angeboten von Unternehmen wie Microsoft dadurch, dass ihr Code öffentlich ist und von Dritten eingesehen, geändert und genutzt werden kann. Dadurch sind sie wesentlich transparenter als kommerzielle Angebote, bei denen – wie im Fall von Office und Teams – nicht immer klar ist, wie sie mit den Daten ihrer Nutzer umgehen und die entsprechende Prüfung „außerordentlich komplex und aufwendig“ sei, wie der hessische Datenschutzbeauftragte betont.

Im Mai 2019 wurde der Digitalpakt Schule verabschiedet, mit dem der Bund bis 2024 fünf Milliarden Euro für den flächendeckenden Aufbau moderner digitaler Infrastrukturen an Deutschlands Schulen bereitstellt. Das Geld ist zum Teil für die Anschaffung von Computern, Servern, Routern und WLAN gedacht, zum Teil aber auch für die Entwicklung von Lern- und Kommunikationsplattformen.

Ausdrücklich werden hier „gemeinsame Server- und Dienstlösungen“ angestrebt, wobei „prioritär Open-Source-Angebote“ heranzuziehen seien. An diesem Ziel muss unbedingt festgehalten werden. Es kann nicht sein, dass als ein Ergebnis der Coronakrise nun proprie­täre Programme wie Zoom oder Teams zum De-facto-Standard werden, weil Lehrer und Schüler mit ihnen umzugehen gelernt haben.

Dass es möglich ist, solche Lerninfrastrukturen in eigener Regie aufzubauen, zeigen die Hochschulen in einigen Bundesländern. An der Hochschule Mainz, an der ich unterrichte, können die Professoren mit Seafile auf eine eigene Cloud und mit Mattermost auf ein internes Chatsystem zugreifen. Beide sind Open-Source-Software und laufen auf den Servern der Hochschule, nicht auf Computern in den USA. Vorlesungen können bei Panopto, einer Art Hochschul-YouTube aufgezeichnet werden, als Lernplattform gibt es OLAT, ein Open-Source-Angebot der Universität Zürich, bei dem man online Lernmaterialien veröffentlichen kann, und für Online-Seminare das freie Konferenzsystem Big Blue Button.

Plötzlich scheint die Teilnahme an Telekonferenzen zum Teil der Daseinsfürsorge geworden zu sein

Mit diesen Diensten kann man auch unter den gegenwärtigen Bedingungen online unterrichten. Wenn die deutschen Schulen zügig mit solchen Diensten ausgestattet werden, kann verhindert werden, dass ausgerechnet Microsoft als lachender Dritter aus der Coronakrise hervorgeht. Viel zu lange hat der Staat die Entwicklung digitaler Technologien in ähnlicher Weise dem Markt überlassen wie das Gesundheitssystem. Aber plötzlich scheint die Teilnahme an Telekonferenzen zum Teil der Daseinsfürsorge geworden zu sein – vor einigen Wochen wäre das noch ein absurder Gedanke gewesen. Diese Erkenntnis muss zu verstärkten Anstrengungen beim Aufbau einer eigenen digitalen Lerninfrastruktur führen, die jene „digitale Souveränität“ sicherstellt, die Innenminister Seehofer versprochen hat.