Quelle: Süddeutsche Zeitung
10. Januar 2021, 13:07
Uhr
Von Max
Muth
Parler-Rauswurf:Ein Rückzugsort für Trump-Fans wird
unerreichbar
Die App „Parler“ ist Hort für Rechte, Trump-Anhänger und
QAnon-Gläubige. Nach Trumps Sperre bei Twitter und Facebook galt die Plattform
als logischer Rückzugsort für den Noch-Präsidenten. Daraus wird wohl nichts.
Es sind aufregende Tage für die vergleichsweise junge App Parler. Nach dem Rauswurf
des US-Präsidenten bei den Social-Media-Platzhirschen Facebook, Twitter und
Instagram verzeichnete die 2018 gegründete Plattform ein schnelles Wachstum.
Zahlreiche konservative und rechte Influencer tummeln sich dort seit Längerem,
zu den reichweitenstärksten Accounts zählen der republikanische Senator und
Trump-Unterstützer Ted Cruz sowie der Fox-News-Moderator Sean Hannity.
Die Plattform funktioniert ganz ähnlich wie Twitter, mit zwei
entscheidenden Unterschieden. Nutzer, die sich gegenseitig folgen, sehen die
Updates, genannt „Parlays“, der abonnierten Nutzer. Bei Parler
entscheidet jedoch kein Algorithmus, was die Nutzer prominent zu sehen
bekommen. Sie sehen alle Posts der von ihnen abonnierten Kanäle in umgekehrt
chronologischer Reihenfolge, die neuesten zuerst. Anders als Facebook und
Twitter sammelt Parler auch nicht Unmengen an Daten der Nutzer, um ihnen
personalisierte Werbung anzuzeigen.
Die Plattform beruft sich auf die US-Verfassung
Der Gründer John Matze bezeichnet Parler als neutrale Plattform für die Meinungsfreiheit;
im Unterschied zu Facebook und Twitter dürfe man bei Parler alles schreiben,
was die US-Verfassung erlaube. Und das ist ziemlich viel. Antisemitismus, wilde
Verschwörungstheorien wie QAnon und rechtsextreme Verfechter von angeblich
„weißer Überlegenheit“ wie die Proud Boys – das alles hat auf Parler
ein Zuhause.
Nicht weil er das gut finde, sagt Matze, sondern weil es eben erlaubt sei.
Die Moderation von Inhalten übernehmen vor allem Freiwillige. Wie das Wall Street Journal im November 2020 berichtete., wird die Plattform unter
anderem von der Tochter des rechtskonservativen Investors Robert Mercer,
Rebekah Mercer, finanziert. In einem Post auf der Plattform begründete sie ihr
Investment als eine Antwort auf die „zunehmende Tyrannei“ der
mächtigen Tech-Konzerne.
Für viele gewöhnliche Trump-Fans gab es dennoch noch keinen Grund, Twitter
oder Facebook, diesen „Tech-Tyrannen“, den Rücken zu kehren – bis
jetzt. Denn jetzt haben die etablierten Social-Media Plattformen gezeigt, dass
sie Trumps Eskapaden nicht weiter dulden wollen, und ihn bis auf Weiteres gesperrt.
Für Trump-Fans offenbar Anlass genug, sich nach einer neuen Heimat umzusehen.
In den App-Charts stand Parler am Samstag folgerichtig auf Rang eins.
Nummer eins in den Charts, aber bald unerreichbar
Doch die Freude währte nicht lang. Bereits am Freitag hatte Google angekündigt, dass Parler ab sofort
nicht mehr im Play Store heruntergeladen werden könne, am Samstag zog Apple nach. Als Grund nannte
Google, dass Parler die auf der Plattform geteilten Aufrufe zur Gewalt nicht
konsequent entferne. Das verstoße gegen die Standards, die im Play Store gelten
würden. Ähnlich argumentierte auch Apple. Der Rauswurf aus den App-Stores
bedeutet jedoch nicht, dass die App nicht mehr genutzt werden kann. Wer Parler
schon auf seinem Telefon hat, kann es normal weiter nutzen.
Ein größeres Problem für Parler ist die Ankündigung Amazons, von
Sonntagnacht an kein Webhosting mehr für Parler über seine Cloud-Plattform AWS
anzubieten. In einem Brief, über den zuerst das Portal Buzzfeed berichtet hatte,
begründete AWS die Entscheidung mit wiederholt auf Parler geposteten Aufrufen
zu Gewalt. AWS habe 98 solcher Aufrufe gefunden. „Wir können keinem Kunden
unsere Services anbieten, der nicht in der Lage ist, Inhalte, die zu Gewalt
aufrufen, zu finden und zu entfernen“, schreibt AWS in dem Brief. In einem
Post auf Parler kündigt dessen Chef Matze bereits schwerwiegende Folgen durch
den Rauswurf bei AWS an. Es sei möglich, dass Parler bis zu einer Woche lang
nicht funktioniere, schreibt er.
Der Chef: „Wir waren zu schnell zu
erfolgreich.“
Der Parler-Gründer wirft Google, Apple und Amazon Heuchelei vor. Mit
dem „koordinierten“ Bann für seine App wollten die Tech-Konzerne
seiner Ansicht nach einen missliebigen Konkurrenten loswerden. Die Sorge um den
sozialen Frieden in den USA sei nur vorgeschoben. „Wir waren zu schnell zu
erfolgreich“, schreibt Matze.
Der Vorwurf, dass Apple und Google mit zweierlei Maß messen, ist dabei
nicht völlig aus der Luft gegriffen. Zwar gibt es bei Parler noch deutlich
weniger Moderation von Inhalten als bei der Konkurrenz. Doch auch auf Twitter
findet man problemlos Aufrufe zu Gewalt, auch in Facebook-Gruppen organisierten
sich Trump-Anhänger für ihren Sturm aufs Kapitol. Und Donald Trump durfte
sowohl auf Facebook als auch auf Twitter fast vier Jahre lang Lügen verbreiten,
ohne dass die Plattformen dagegen ernsthaft etwas unternahmen.
Auf Parler hat Trump
bislang gar keinen eigenen Account. In den vergangenen Tagen war immer wieder
spekuliert worden, ob der Noch-Präsident nach seinem Rauswurf bei den anderen
sozialen Medien nun Parler zu seinem neuen Megafon machen würde. Angesichts der
aktuellen Probleme der App dürfte dieser Plan jedoch erst einmal auf
Eis liegen.