Am 25. Juli 2018 wäre er 77 Jahre geworden – am 25. Juli 2021 hätte er seinen 80igsten Geburtstag gefeiert. Doch in Mississippi fiel er 1955 einem grausigen Lynchmord zum Opfer. Emmett Till war erst 14, ein argloser, schwarzer Teenager. Die Bilder seiner Leiche waren die ersten, die das Leid der Afroamerikaner weltweit dokumentierten.
„Was in jenem Sommer 1955 geschah, bleibt umstritten. Emmett, der mit seiner alleinerziehenden Mutter Mamie Till in Chicago lebte, war zu Besuch bei seinem Onkel in Money, einem Dorf in Mississippi. Er war ein lebenslustiger Junge, zog sich gern gut an, vor allem liebte er feine Hüte und Anzüge. Eines Abends ging Emmett mit seinen Cousins in einen Lebensmittelladen des Weißen Roy Bryant und seiner Gattin Carolyn, um Bonbons zu kaufen. Emmett soll beim Anblick der attraktiven Frau bewundernd gepfiffen haben – ein Verstoß gegen den ungeschriebenen Rassenkodex, der in den Südstaaten damals noch herrschte. Carolyn Bryant behauptete später außerdem, Emmett habe sie begrapscht.
Einige Tage darauf, am 28. August, verschleppten Roy Bryant, sein Halbbruder J.W. Milam und weitere Männer – angeblich schwarze Arbeiter – frühmorgens den Jungen, dessen Onkel und Tante das vergeblich zu verhindern versuchten. Die Täter folterten Emmett Till, schossen ihm eine Kugel in den Kopf, beschwerten seinen Körper mit Metall und Stacheldraht und warfen ihn, wohl schwerst verletzt und noch lebend, in einen Fluss.
Die Leiche trieb nach drei Tagen an. Zu erkennen war Emmett nicht mehr. Seine verzweifelte Mutter bestand bei der Beerdigung auf einen offenen Sarg und lud Pressefotografen ein: „Jeder soll wissen, was mit Emmett geschehen ist.“
Der Prozess gegen Bryant und Milam war eine Sensation. Aus dem ganzen Land reisten Reporter, Politiker und Schaulustige nach Mississippi. Trotz der Beweislast sprachen die Geschworenen – allesamt weiße Männer – die Angeklagten frei. Bryant und Milam gaben die Tat kurz darauf zwar in einem Interview zu, blieben aber wegen des in den USA geltenden Verbots doppelter Strafverfolgung unbehelligt.
Die Fotos der entstellten Leiche und der skandalöse Freispruch lösten eine Welle des Entsetzens aus. Die Rassentrennung mit täglicher Diskriminierung bis zu brutalen Misshandlungen prägte in den Fünfzigerjahren das Leben der Schwarzen vor allem in den Südstaaten. Emmetts wundes Antlitz wurde erst zum Symbol der rassistischen Unterdrückung – und dann zum Symbol des Widerstands dagegen.
Im September 1955 kamen seine Mörder in Mississippi straflos davon; im November wurden sie auch noch von der Anklage der Entführung, die sie selbst zugegeben hatten, freigesprochen. Am 1. Dezember dann weigerte sich die Bürgerrechtlerin Rosa Parks in Alabama, ihren Bussitzplatz für Weiße freizumachen – sie wurde verhaftet, verlor Job und Heim. Die Wut der Schwarzen wuchs und speiste das Erstarken der US-Bürgerrechtsbewegung. Viel später, im Jahr 2007, endeten erneute Ermittlungen zum Mordfall Emmett Till ergebnislos. Doch kürzlich erklärte das Justizministerium, aufgrund „neuer Informationen“ habe es die Sache „wieder aufgenommen“. Allerdings versteckte es die knappe Ankündigung in einem 32-seitigen Routinebericht an den Kongress, ohne weitere Angaben.
Die mysteriösen „neuen Informationen“ könnten von einer zentralen Person des Falls stammen – Bryants Frau Carolyn.
Als inzwischen 72-Jährige räumte sie schon 2008 in einem Interview mit dem Historiker Timothy Tyson ein, ihre Vorwürfe gegen Emmett weitgehend erfunden zu haben. „Nichts, was dieser Junge getan hat, rechtfertigt das, was ihm zugestoßen ist“, zitierte Tyson sie in seinem Buch „The Blood of Emmett Till“, veröffentlicht im vergangenen Jahr. Tyson selbst bezweifelt jedoch, dass Bryants späte Reue die Hauptursache für die neuen Ermittlungen ist. „Keiner dachte je, dass sie die Wahrheit sagte, und schon damals wollten sie nicht gegen sie vorgehen“, sagte er auf CNN. Vielmehr hält er es für einen PR-Trick, mit der die Regierung von ihrer nach Tysons Ansicht rassistischen Politik ablenken wolle, etwa in den Kontroversen über die Einwanderung und die Bürgerrechte.“
2004: The Murder of Emmett Till (1.759.143 Aufrufe, 08.06.2020)
KILLING OF EMMETT TILL (2020) – a film by Denn Pietro (115.592 Aufrufe – 22.11.2020)
Vor fünf Jahren wurde in Washington D.C. das erste nationale Museum für afroamerikanische Geschichte eröffnet. Es dokumentiert Leid, Erfolge und Alltag schwarzer Menschen – auf schier überwältigende Weise. (Quelle SPIEGEL vom 24.9.2016). Hier ist auch der Lynchmord an Emmett Till dokumentiert.
„Fast hundert Jahre lang wurde über das Museum gestritten. Es wurde geplant, verworfen, seine Finanzierung diskutiert; als das Projekt 2003 nach zähem Kampf endlich auf den Weg gebracht wurde, suchten Historiker 40.000 Exponate überall in Amerika in Kleinarbeit zusammen, knapp ein Zehntel der Schätze wird ausgestellt.
Sklaverei, Rassentrennung, Bürgerbewegung sind in den beiden unterirdischen Plateaus des Gebäudes thematisiert, die Exponate so bedrückend, dass ein Psychologenteam bereitsteht, damit Besucher das Gesehene bei Bedarf mithilfe der Fachleute verarbeiten können.
Eisenblöcke sind ausgestellt, die auf den Sklavenschiffen das Gewicht der menschlichen Fracht ausbalancierten. Eisenketten werden gezeigt, für so kleine Gliedmaßen, dass sie offensichtlich Kindern angelegt wurden. Werbezettel für Sklavenauktionen sind zu sehen, „laufend im Angebot: Neger aller Art“.
Ku-Klux-Klan-Masken mit leeren Augenhöhlen starren den Betrachter an, auch der Sarg von Emmett Till gehört zu den Exponaten: Der 14-Jährige wurde 1955 in Mississippi gelyncht, weil er angeblich einer Weißen nahekam.
Der Hauptautor der amerikanischen Verfassung, Thomas Jefferson, den die US-Geschichtsschreibung als Vater der Freiheit feiert, wird im NMAAHC auf sehr elegante Weise dechiffriert: Hinter der Statue des Staatsmanns sind an einer Wand die Namen seiner mehr als 600 Sklaven aufgeführt, „Amy“ und „Sukey“ und „Stephen“ und so viele andere mehr.