Abrüstungsoffensive

Quelle: IPG-Journal, Newsletter, 10.11.2021

Abrüstungsoffensive

Defensive Atomwaffendoktrin, menschliche Kontrolle bei autonomen Waffensystemen, weniger Rüstungsexporte: Impulse für die neue Bundesregierung.

In ihrem Sondierungspapier stellen die potenziellen Regierungsparteien zu Recht fest: „Wir brauchen eine abrüstungspolitische Offensive“. Vier Jahre Trump haben ihre Spuren bei der Rüstungskontrolle hinterlassen. Aber auch unter Präsident Biden ist nicht alles rosig. Vor dem Hintergrund fortgesetzter chinesischer und russischer Aufrüstung müssen neue politische Impulse her, um die internationale Sicherheitsarchitektur zu stärken.

In der aufgeheizten innenpolitischen Debatte hingegen wird Sicherheitspolitik allzu oft auf bessere Abschreckung, die Beschaffung neuer Waffensysteme und zusätzliche Rüstungsexporte reduziert.Die vermutlichen Koalitionäre wollen dagegen auch durch mehr Abrüstung sowie durch Rüstungs- und Rüstungsexportkontrolle die Sicherheit Deutschlands und Europas stärken. Die gute Nachricht ist: Eine neue Bundesregierung kann dies auch. Deutschland kann auch bei politisch besonders kontroversen Themen wie der nuklearen Teilhabe, der Verhinderung des militärischen Missbrauchs von Informationstechnologien und der Kontrolle von Rüstungsexporten politisch gestalten. Eine neue Regierung sollte diese Handlungsspielräume selbstbewusst nutzen.

Weit oben auf der Prioritätenliste steht dabei die Rolle von Atomwaffen in der deutschen Sicherheitspolitik. Das Verteidigungsministerium fordert eine schnelle Beschaffung neuer atomwaffenfähiger Kampfflugzeuge, um die „Tornado“-Flotte zu ersetzen. Tatsächlich aber werden die „Tornados“ bereits umfassend modernisiert, sodass sie bis mindestens 2030 einsatzbereit bleiben. Die Notwendigkeit einer raschen Entscheidung in der nächsten Legislaturperiode besteht also nicht. Die damit gewonnene Zeit sollte die Bundesregierung nutzen, um zu versuchen, mit Russland zu einer Vereinbarung über eine Reduzierung von Atomwaffen in Europa zu kommen – und gleichzeitig den zentraleuropäischen Verbündeten militärischen Beistand gegen mögliche Bedrohungen aus dem Osten zu leisten.

Damit würde Berlin die Biden-Administration aktiv unterstützen. Das Weiße Haus versucht gegenwärtig, mit Russland ein umfassendes nukleares Rüstungskontrollabkommen auszuhandeln, das alle Atomwaffen erfasst – von den in Europa stationierten russischen Kurzstreckenwaffen bis zu den amerikanischen Langstreckenraketen. Außerdem ist es ein generelles Anliegen des US-Präsidenten, die Rolle von Atomwaffen zu verringern und diese nur noch zur Abschreckung eines Nuklearangriffs einzusetzen – gegenwärtig sollen Atomwaffen auch rein konventionelle Aggressionen verhindern. Die aktive Unterstützung einer solchen neuen Doktrin durch die nächste Bundesregierung wäre nicht nur ein Beitrag zu transatlantischer Geschlossenheit, sondern auch ein positiver Impuls für die im Januar 2022 stattfindende Überprüfungskonferenz des nuklearen Nichtverbreitungsvertrags.

Ein zweites Feld ist der Umgang mit unbemannten Waffensystemen – seien sie ferngesteuert oder autonom. Deutschland kann sich für eine internationale Regulierung der Nutzung und Verbreitung von unbemannten Waffensystemen, insbesondere bewaffneten Drohnen, einsetzen. Sollte eine neue Bundesregierung der Bewaffnung der bereits geleasten Drohne „Heron TP“ zustimmen, muss ihr klar sein, dass sie damit letztlich die Entwicklung zu schnelleren, autonomeren Waffensystemen begünstigt. Ein Beispiel für diesen Trend ist das noch zu entwickelnde deutsch-französisch-spanische Kampfflugzeugsystem „Future Combat Air System“, zu dem auch bewaffnungsfähige Drohnen mit autonomen Fähigkeiten gehören sollen.

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