Grünen-Außenpolitiker Trittin sagt für den Herbst Druck des Westens auf Kiew voraus, den Krieg mit Verhandlungen zu beenden

Quelle: „Auf der Seite der Diplomatie“ (III) – GERMAN-FOREIGN-POLICY.com

14.3.2023

Grünen-Außenpolitiker Trittin sagt für den Herbst Druck des Westens auf Kiew voraus, den Krieg mit Verhandlungen zu beenden

BERLIN/BEIJING/BRASÍLIA/RIAD (Eigener Bericht) – Der Grünen-Außenpolitiker Jürgen Trittin sagt für den Herbst starken Druck des Westens auf die Ukraine voraus, den Krieg mit Russland in Verhandlungen zu beenden. Entsprechende „Signale“ habe es unlängst aus der US-Administration gegeben, berichtet Trittin. Ursache sei ein Stimmungsumschwung in der US-Bevölkerung, der die weitere Unterstützung für die Ukraine im bevorstehenden US-Präsidentschaftswahlkampf nicht ratsam erscheinen lasse. Während sich damit abzeichnet, dass Kiew einen Kurswechsel vollziehen muss, intensivieren mehrere Staaten außerhalb des transatlantischen Westens den Einsatz für einen Waffenstillstand. So setzt Brasilien seine Bemühungen um Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine fort. Wie der Außenminister Saudi-Arabiens, Prinz Faisal bin Farhan al Saud, nach Besuchen in Kiew und in Moskau mitteilt, treibt auch Riad entsprechende Aktivitäten voran. Laut Berichten wird in Kürze Chinas Präsident Xi Jinping zu Gesprächen in Russland erwartet; demnach will er anschließend mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sprechen. Anders als der Westen begrüßt Selenskyj die Verhandlungsinitiativen schon jetzt.

„Frieden bringen“

Brasiliens Regierung unter Präsident Luiz Inácio Lula da Silva treibt ihre Bemühungen um eine Verhandlungslösung im Ukraine-Krieg gezielt voran. Der brasilianische Außenminister Mauro Vieira etwa traf am 1. März am Rande des Treffens mit seinen G20-Amtskollegen mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow zusammen; dabei besprachen beide nicht nur Schritte zum Ausbau der bilateralen Zusammenarbeit [1], sondern auch die Lage im Ukraine-Konflikt. Brasilien dringe auf einen Waffenstillstand, spreche sich aber gleichzeitig weiter gegen die westlichen Russland-Sanktionen aus, hieß es anschließend.[2] Einen Tag später, am 2. März, führten Lula und sein ukrainischer Amtskollege Wolodymyr Selenskyj ein Onlinegespräch, in dem Lula explizit feststellte, Brasilien wünsche „mit anderen Ländern zu sprechen und an jeglicher Initiative teilzunehmen, um Frieden und Dialog zu schaffen“.[3] Selenskyj wiederum erklärte, man habe „die Bedeutung der Verteidigung des Prinzips der Souveränität und der territorialen Integrität von Staaten hervorgehoben“, aber auch über „diplomatische Anstrengungen“ gesprochen, „der Ukraine und der Welt wieder Frieden zu bringen“. Selenskyj bestätigte seine Einladung an Lula, nach Kiew zu fahren und persönlich die Verhandlungen weiterzuführen.

In den Wiederaufbau investieren

Berichten zufolge nahmen Lula und Selenskyj bei ihrem Onlinegespräch auch schon erste weiter reichende Schritte in den Blick. Wie der stellvertretende Leiter des ukrainischen Präsidentenbüros, Igor Schowka, erklärt, sei die „sehr wichtige Rolle“, die Lateinamerika spielen könne, in Kiew lange unterschätzt worden. Jetzt sei man gewillt, dem Subkontinent mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Die Beziehungen zwischen der Ukraine und Brasilien etwa, heißt es mit Bezug auf das Videotelefonat der beiden Präsidenten, könnten „nicht nur auf politischer, sondern auch auf ökonomischer Ebene erneuert werden“.[4] So sei etwa denkbar, dass Brasilien nach dem Krieg in den Wiederaufbau der Ukraine investiere. Auch könnten die rund eine halbe Million Brasilianer, deren Vorfahren seit dem Ende des 19. Jahrhunderts aus der heutigen Ukraine eingewandert seien, womöglich eingebunden werden.[5] Kiew und Brasília hatten bereits vor dem russischen Überfall über die Stärkung ihrer Wirtschaftsbeziehungen verhandelt, so nicht zuletzt über etwaige Investitionen brasilianischer Unternehmer in der Ukraine.[6] Freilich führten ihre damaligen Gespräche nicht zu einem wirklichen Erfolg.

„Ein vernünftiges Land“

Konkrete Schritte im Hinblick auf eine Verhandlungslösung leitet nun offenkundig auch China ein. Beijing hatte bereits am 24. Februar, am Jahrestag des russischen Überfalls, einen Zwölf-Punkte-Plan „zur politischen Beilegung der Ukraine-Krise“ vorgelegt.[7] Jetzt wird berichtet, Präsident Xi Jinping werde sehr bald nach Moskau reisen, um dort Verhandlungen zu führen – womöglich schon in der kommenden Woche. Die russische Regierung hat den chinesischen Zwölf-Punkte-Plan im Kern klar begrüßt. Xi habe vor, so wird weiter berichtet, nach seinem Besuch in der russischen Hauptstadt auch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu sprechen.[8] Im Unterschied zu Xis persönlichem Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin sei freilich von einem Onlinegespräch auszugehen, heißt es. Wie im Fall Brasiliens ist auch für die Volksrepublik eine substanzielle Beteiligung am Wiederaufbau der Ukraine grundsätzlich denkbar. China war vor dem Krieg der größte Handelspartner der Ukraine und hatte außerdem – insbesondere im Rahmen der Neuen Seidenstraße (Belt and Road Initiative, BRI) – in die ukrainische Infrastruktur investiert.[9] Präsidentenberater Schowka bestätigt, in Kiew gelte die Volksrepublik im Hinblick auf künftige Verhandlungen als „ein vernünftiges Land“.[10]

Saudi-Arabien als Vermittler

In die Vermittlungsbemühungen schaltet sich zunehmend auch Saudi-Arabien ein. Riad, das – wie Brasilien und China – bereits vor dem Krieg prinzipiell gute Beziehungen zu Russland wie auch zur Ukraine unterhielt, konnte schon im Herbst dazu beitragen, den Austausch von Gefangenen zwischen beiden Seiten zu ermöglichen. Am 26. Februar reiste Außenminister Prinz Faisal bin Farhan al Saud zu Gesprächen mit seinem ukrainischen Amtskollegen Dmytro Kuleba nach Kiew. Anschließend sagte er der Ukraine ein Hilfspaket im Wert von 400 Millionen US-Dollar zu. Zudem hieß es, man wolle die Geschäftsbeziehungen auf lange Sicht intensivieren.[11] Am 9. März traf Prinz Faisal dann zu Gesprächen mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow in Moskau ein. Dort bekräftigte er, er wolle sich im Namen seines Landes an den Versuchen beteiligen, eine politische Lösung zur Beendigung des Krieges zu finden.[12] Saudi-Arabien hat sich von Anfang an trotz massiven Drucks aus dem Westen geweigert, sich im Ukraine-Krieg auf eine Seite zu schlagen. Insbesondere hat Riad es strikt vermieden, seine Erdölförderung auszuweiten, um den weltweiten Boykott russischen Öls zumindest theoretisch zu ermöglichen.

„Schwierige Entscheidungen“

Unterdessen mehren sich die Anzeichen, der Westen könne sich im Ukraine-Krieg zum Einlenken genötigt sehen. Kürzlich hieß es etwa mit Blick auf einen Stimmungsumschwung in der US-Bevölkerung – die Zustimmung für Waffenlieferungen und für die Finanzierung der Ukraine sinkt –, die Biden-Administration bereite mit Blick auf den bevorstehenden Wahlkampf eine Verringerung ihrer Unterstützungsleistungen für Kiew vor und orientiere daher perspektivisch auf Friedensverhandlungen. Auch in Westeuropa, hieß es weiter, deute sich ein Kurswechsel an; so hätten Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Kanzler Olaf Scholz dem ukrainischen Präsidenten bei dessen Besuch in Paris am Abend des 8. Februar erklärt, er müsse „beginnen, Friedensgespräche mit Moskau in Betracht zu ziehen“. Es gelte, „schwierige Entscheidungen“ zu treffen.[13]

„Bestenfalls die halbe Wahrheit“

Ende vergangener Woche hat der außenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Jürgen Trittin, öffentlich nachgelegt. Die auch in Berlin populäre „Versicherung …, allein Kiew werde über den Zeitpunkt von Verhandlungen mit Moskau entscheiden“, sei „bestenfalls die halbe Wahrheit“, konstatiert Trittin in einem Zeitungsbeitrag; schließlich sei die Ukraine abhängig von westlicher Unterstützung und müsse sich westlichen Forderungen daher im Zweifelsfall beugen. Die USA hätten bereits klare „Signale“ gegeben, sie würden im Herbst „den Druck erhöhen, die Kampfhandlungen zu beenden“. Darauf müsse sich auch Deutschland einstellen. Das werde aber nicht „das Ende der Hilfe für die Ukraine bedeuten“. Trittin konstatiert: „Die Ukraine braucht belastbare Sicherheitsgarantien. Solche Garantien und das Heranführen der Ukraine an die EU werden die Europäer und vor allem die Deutschen bezahlen müssen.“ Das sei, urteilt Trittin mit Blick auf die US-Präsidentenwahl Ende 2024, völlig unabhängig davon, „wer demnächst im Weißen Haus sitzt“.[14]

Mehr zum Thema: „Auf der Seite der Diplomatie“ und „Auf der Seite der Diplomatie“ (II).

[1] Lavrov, Brazilian FM reaffirm countries’ intention to strengthen relations – statement. tass.com 01.03.2023.

[2] Igor Gielow: Rússia diz entender condenação do Brasil à guerra e enviará chanceler. folha.uol.com.br 01.03.2023.

[3] Guilherme Mazui, Pedro Henrique Gomes, Ricardo Abreu: Em conversa por video, Lula reafirma proposta do ‘clube da paz’, e Zelensky convida o brasileiro para visitor a Ucrânia. g1.globo.com 02.03.2023.

[4] José Pedro Frazão: Ucrânia disposta a negociar com Rússia após retirada de Moscovo. rfi.fr 10.03.2023.

[5] Bibiana Dionísio: Comunidade ucraniana comemora 120 anos de imigração para o Brasil. g1.globo.com 22.05.2011.

[6] President of Ukraine discussed the possibility of increasing trade between the countries with the President of Brazil. president.gov.ua 22.10.2019.

[7] S. dazu Auf der Seite des Krieges.

[8] Keith Zhai: China’s Xi to Speak to Zelensky, Meet Next Week With Putin. wsj.com 13.03.2023.

[9] Valbona Zeneli, Nataliia Haluhan: Why China is Setting its Sights on Ukraine. thediplomat.com 04.10.2019.

[10] José Pedro Frazão: Ucrânia disposta a negociar com Rússia após retirada de Moscovo. rfi.fr 10.03.2023.

[11] Saudi Arabia’s Prince Faisal meets Ukraine’s President Zelenskyy in Kyiv. thenationalnews.com 26.02.2023.

[12] Ismaeel Naar: Saudi Arabia pledges to mediate in Russia-Ukraine war during Moscow visit. thenationalnews.com 09.03.2023.

[13] S. dazu „Untragbare Opfer”.

[14] Jürgen Trittin: Die Ukraine braucht belastbare Sicherheitsgarantien – und die werden vor allem die Deutschen bezahlen müssen. handelsblatt.com 10.03.2023. https://www.handelsblatt.com/meinung/gastbeitraege/gastkommentar-global-challenges-die-ukraine-braucht-belastbare-sicherheitsgarantien-und-die-werden-vor-allem-die-deutschen-bezahlen-muessen/29024850.html

Weiter Waffen liefern oder Frieden jetzt? Beide Seiten müssen fünf entscheidende Fragen beantworten

Quelle: Tagesspiegel Weiter Waffen liefern oder Frieden jetzt? : Beide Seiten müssen fünf entscheidende Fragen beantworten (tagesspiegel.de)

Kommentar von Malte Lehming – 16.02.2023,

Weiter Waffen liefern oder Frieden jetzt? Beide Seiten müssen fünf entscheidende Fragen beantworten

„Manifest für Frieden“, Habermas-Essay: Die Debatte über die richtige Ukraine-Politik droht in einer Sackgasse zu enden. Die Kontrahenten haben sich eingemauert. Das muss sich ändern.

Deutschland streitet. Das darf sein in einer Demokratie. Es muss auch sein, denn das Thema hat es verdient – Krieg und Frieden, Waffenlieferungen und Verhandlungen. Der Ton ist gereizt, wen wundert’s? Auch antiliberale Reflexe brechen sich Bahn. Zeitungen werden kritisiert, weil sie missliebige Positionen abdrucken. TV-Sender, weil in Talkshows missliebige Personen zu Wort kommen.

Gelegentlich scheint es: Nicht das bessere Argument soll sich durchsetzen, sondern die durchsetzungsstärkste Lobby. Aber es wäre absurd, im Namen der liberalen Demokratie die Ukraine zu unterstützen, Dissens zu Hause aber unterbinden zu wollen, weil er angeblich dem Gegner nützt. Das erinnert an den sogenannten Flüchtlingsherbst 2015, als sich die „Refugees-welcome“-Fraktion lustig machte über den „besorgten Bürger“. Es erinnert auch an divergierende Ansichten über den Sinn von Anti-Corona-Maßnahmen. Impfungen, Masken, Quarantäne. Plötzlich lebten die Montagsdemonstrationen wieder auf. Wo endet die Freiheit des Einzelnen? Um diese Frage kreiste die Kontroverse.

Jürgen Habermas plädiert für baldige Verhandlungen

Nun also der Krieg in der Ukraine und die deutsche Antwort darauf. Der Jahrestag des russischen Überfalls naht. Manifeste und Offene Briefe werden verfasst. Jürgen Habermas plädiert für baldige Verhandlungen. Prompt wird ihm Verrat an den Ukrainern vorgeworfen. Eine Verständigung der beiden Lager scheint kaum möglich. Felsenfest sind alle Beteiligten davon überzeugt, für das moralisch Richtige einzutreten. Russland ist der Aggressor und gleichzeitig eine atomare Supermacht. Daraus entsteht zum einen die Pflicht, das Opfer in seinen Verteidigungsbemühungen nach Kräften zu unterstützen. Zum anderen nährt es die Angst, dass der Aggressor Nuklearwaffen einsetzt.Das führt in ein Dilemma, das sich durch objektive Kriterien nicht auflösen lässt. Was wiegt schwerer – die Angst vor russischem Imperialismus und russischer Brutalität oder die Angst vor einer Eskalation des Krieges? In die Antwort fließen persönliche Erfahrungen ebenso mit ein wie Charaktereigenschaften.

Plakative Vorwürfe wie Appeasement und Bellizismus dienen vor allem der Abschottung der eigenen vor der gegnerischen Sichtweise. Doch soll die Debatte redlich geführt werden, müssen Antworten auf zentrale Einwände vorgebracht werden. Vielleicht hilft es, den Kontrahenten fünf Fragen zu stellen.

Fünf Fragen an die Adresse der Waffenlieferungsfraktion:

  1. Sie behaupten, der Westen habe Wladimir Putin zu lange zu wenig ernst genommen. Ob 2008 beim Einmarsch in Georgien oder 2014 bei der Annexion der Krim – Putin habe nie ein Hehl aus seinen neoimperialen Absichten gemacht. Er sollte daher unbedingt beim Wort genommen werden. Seine Drohung aber, im Krieg gegen die Ukraine „alle zur Verfügung stehenden Mittel“ einzusetzen, also auch Atomwaffen, sei nur ein Bluff. Ja, was denn nun? Wann muss Putin beim Wort genommen werden und wann nicht?
  2. Was sagen Sie, falls Putin tatsächlich eine taktische Atomwaffe einsetzt? „Damit konnte keiner rechnen“ oder „Ich habe mich leider geirrt“?
  3. Sie behaupten, dass die russische Armee durch den Krieg in der Ukraine sehr geschwächt wurde. Die Bodentruppen erhielten keine Unterstützung mehr durch die Luftwaffe. Die russischen Streitkräfte seien in einem desolaten Zustand. Die Hälfte der russischen Panzer sei zerstört. Sie warnen aber davor, dass Russland mit seinen Soldaten über die Ukraine hinaus gen Moldau, Baltikum, Georgien und Polen marschieren könnte. Ist das eine realistische Gefahr?
  4. Sie sagen, Russland müsse besiegt werden, damit Putins Neoimperialismus endgültig keine Chance hat, sich weiter Bahn zu brechen. Wer aber hindert Putin oder einen womöglich noch brutaleren Nachfolger daran, nach einer Niederlage Russlands wieder massiv aufzurüsten? Sanktionen wirken offenbar nur sehr eingeschränkt.
  5. Wann ist Ihre Forderung, Russland müsse besiegt werden, erfüllt? Schließt das die vollständige Rückeroberung aller besetzten Gebiete und der Krim mit ein? Viele Sicherheitsexperten halten es nicht für möglich, dieses Ziel in absehbarer Zeit zu erreichen. Soll denn ewig gekämpft und gestorben werden?

Fünf Fragen an die Adresse der Verhandlungsbereiten:

  1. Sie warnen vor einer Eskalation des Krieges, auch mit Blick auf das russische Atomwaffenarsenal. Aber wenn der Westen gar kein Risiko in Kauf nimmt und gar keinen Widerstand leistet, weil Russland nun mal Atomwaffen hat, dann hat Putin freie Hand, seine Soldaten, wo immer er will, morden, brandschatzen und vergewaltigen zu lassen. Möchten Sie ihn dazu ermuntern?
  2. Sie haben Angst vor einem Einsatz von Atomwaffen. Aber droht Putin nicht regelmäßig damit, ohne es zu tun? Schließlich wären die Konsequenzen für sein Land verheerend. Das Pentagon hat bereits eine Reihe von Optionen erarbeitet, wie die USA darauf reagieren würden. Wahrscheinlich käme es als erstes zu einem massiven konventionellen Schlag gegen die russische Schwarzmeerflotte. Die nukleare Abschreckung hat während des Kalten Krieges jahrzehntelang funktioniert. Warum nicht auch jetzt?
  3. Sie fordern Verhandlungen mit dem Ziel, den Status vom 23. Februar 2022 wieder herzustellen. Mit anderen Worten: Die Ukraine soll für einen Waffenstillstand auf ihr Recht auf territoriale Integrität verzichten. Dabei war ihr die Souveränität im Budapester Memorandum auch von Russland zugesichert worden. Wollen Sie, dass militärische Aggression belohnt wird?
  4. Sie appellieren an die Regierungen des Westens, die Ukraine zu Verhandlungen zu drängen. Das heißt, der Westen soll dem Opfer vorschreiben, sich nicht länger wehren zu dürfen. Andererseits verteidigt die Ukraine nicht nur ihr eigenes Land, sondern auch die europäische Friedensordnung. Wir lassen sie also erst für uns kämpfen und fordern sie dann auf, die Waffen niederzulegen und dem Aggressor Land und Leute zu überlassen. Ist das fair?
  5. Sie fordern einen für beide Seiten gesichtswahrenden Kompromiss. Kann es zwischen Vernichtungswilligen und jenen, die der Vernichtung ausgeliefert sind, einen Kompromiss geben? Wie hätte ein solcher Kompromiss vor 80 Jahren zwischen Nazi-Deutschland und dem europäischen Judentum ausgesehen? Oder zwischen Nazi-Deutschland und den Sinti und Roma?

Deutschland streitet über den richtigen Weg zum Frieden. Es ist selber nicht Kriegspartei, liegt aber geografisch in einem möglichen Eskalationsraum. Ein Streit, in dem vornehmlich die eigenen Argumente repetiert werden, führt in die Sackgasse. Wer nicht bereit ist, sich mit den Argumenten der Gegenseite auseinanderzusetzen, bleibt in der Sackgasse.

Mehr zum Thema:

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Wie man sich auf Friedensgespräche in der Ukraine vorbereiten kann

Wie man sich auf Friedensgespräche in der Ukraine vorbereiten kannEinen Krieg zu beenden erfordert vorausschauendes Denken  Von Thomas R. Pickering
14. März 2023
Automatische, von Ralf Becker am 15. März korrigierte Übersetzung

Russlands brutaler Krieg in der Ukraine geht unvermindert weiter. Verschiedene
Militäraktionen wechseln sich ab mit dem Interesse an Friedensverhandlungen. Doch ein
klares Ende ist nicht in Sicht. Keine Seite hat eine realistische Erwartung eines
militärischen Sieges oder einer bedingungslosen Kapitulation.

Alle Konfliktparteien haben deutlich gemacht, dass sie es für Diplomatie für zu früh halten.
Aber irgendwann wird die Zeit für Verhandlungen kommen, und es ist wichtig, dass die
Vereinigten Staaten sorgfältig für diesen Tag planen. Andernfalls wird Washington zu
einem übereilten und schlecht durchdachten Ansatz zur Beendigung des Krieges
gezwungen – ein Fehler, den die Vereinigten Staaten in jedem ernsthaften Konflikt
begangen haben, in den sie seit 1945 involviert waren. Kein Krieg endet ohne politische
Konsequenzen. Entweder engagieren sich die Vereinigten Staaten, diese Konsequenzen
so zu gestalten, dass sie ihren Interessen dienen, oder andere werden die Konsequenzen
an ihrer Stelle gestalten.

Die Beendigung eines Krieges erfolgt in drei Phasen: Frühe Vorbereitungen,
Vorverhandlungen und Verhandlungen selbst. Die erste Phase umfasst die Lösung
interner Meinungsverschiedenheiten und die Öffnung der Kommunikation zwischen den
Parteien: Jede Partei klärt ihre eigenen Meinungsverschiedenheiten und überprüft die
Positionen und Einstellungen der anderen Parteien zur Festlegung von Prioritäten und
Strategien. Die zweite Phase besteht darin, die Grundlagen für offizielle Verhandlungen zu
schaffen, unter anderem indem festgelegt wird, wo und wann sie stattfinden und wer
teilnehmen wird. Die dritte Phase betrifft die direkten Gespräche, diese Phase verbinden
die meisten Menschen mit Diplomatie.

Jede Phase der Friedensschaffung beinhaltet Wahloptionen. Kein Prozess ist eine
eindeutige Vorlage für den weiteren Verlauf. Entscheidungen führen zu Weggabelungen,
die einige Möglichkeiten eröffnen und andere verschließen. Politische Umstände,
Hebelwirkung und sich verändernde militärische Realitäten beeinflussen die
Vorbereitungen. Wie Schlachtpläne mögen Friedenspläne den ersten Kontakt mit dem
Feind nicht überleben, aber die im Vorfeld der Verhandlungen gelegten Grundlagen
werden stets die Entscheidungsfindung und die Chancen auf ein günstiges Ergebnis
beeinflussen.

THOMAS R. PICKERING ist Senior Counselor bei der Albright Stonebridge Group.
Er ist seit mehr als vier Jahrzehnten als USDiplomat tätig, unter anderem als
Unterstaatssekretär für politische Angelegenheiten und Botschafter bei den Vereinten
Nationen.

Originaltext in Foreign Affairs

Ganzer Text (in deutscher Übersetzung): Wie man sich auf Friedensgespräche in der Ukraine vorbereiten kann Th. P. Pickering –  14.3.23 – in Foreign Affairs

Die Unbeugsamen – die Geschichte der Frauen der Bonner Republik

Die Unbeugsamen

„Die Unbeugsamen“ erzählt die Geschichte der Frauen der Bonner Republik, die Politik nicht allein den Männern überlassen wollten und mutig und selbstbewusst gegen Vorurteile ankämpften. Produktionsland und -jahr:Deutschland 2020

Der Dokumentarfilmer Torsten Körner zeigt durch Interviews und eindrucksvolles Archivmaterial namhafter Politikerinnen die Geschichte des bundesdeutschen Parlamentarismus konsequent aus ihrer Perspektive und macht so deutlich, wie viel sie verändert haben.

In zwölf Kapiteln, die ausschnitthaft Etappen der Nachkriegsgeschichte in Erinnerung rufen und teils um Persönlichkeiten, teils um markante Parlamentsdebatten kreisen, wird nachvollziehbar, dass Frauen sich ihre Beteiligung an den demokratischen Entscheidungsprozessen gegen erfolgsbesessene und amtstrunkene Männer erkämpfen mussten. Unerschrocken, ehrgeizig und mit unendlicher Geduld verfolgten sie ihren Weg und trotzten Vorurteilen und sexueller Diskriminierung.

Politikerinnen von damals wie Roswitha Verhülsdonk (CDU), Rita Süssmuth (CDU), Helga Schuchardt (FDP), Renate Schmidt (SPD), Ursula Männle (CSU), Ingrid Matthäus-Maier (FDP/SPD), Christa Nickels (Die Grünen) und andere mehr kommen heute zu Wort. Ihre Erinnerungen sind zugleich komisch und bitter, absurd und bisweilen erschreckend aktuell. Historische Aufnahmen zeigen außerdem politische Vorreiterinnen wie Aenne Brauksiepe (CDU), Hildegard Hamm-Brücher (FDP), Waltraud Schoppe und Petra Kelly (Die Grünen).

Verflochten mit zum Teil ungesehenen Funden aus dem Archiv ist dem Dokumentarfilmer und Journalisten Torsten Körner („Angela Merkel – Die Unerwartete“) eine emotional bewegende Chronik westdeutscher Politik von den 1950er-Jahren bis in die Zeit nach der Wiedervereinigung geglückt. Er beendet seinen Film mit dem Aufstieg Angela Merkels. Entstanden ist ein erkenntnisreiches Zeitdokument, das einen unüberhörbaren Beitrag zur nach wie vor aktuellen Gleichstellungsdiskussion leistet.

Herfried Münkler: „Waffenstillstandsverhandlungen sind immer denkbar, die Frage ist nur, mit welcher Aussicht auf Erfolg und unter welchen Bedingungen“