Belarus – Das Volk hat die Bühne betreten


Das Volk hat die Bühne betreten!

Artur Klinaŭ über den Aufbruch der Gesellschaft in Belarus

In Belarus sind nach den Präsidentschaftswahlen die Menschen im ganzen Land auf die Straßen gegangen, um gegen die dreiste Fälschung zu protestieren. Das Regime reagierte mit äußerster Gewalt. Doch je mehr Menschen verhaftet und verprügelt wurden, desto schneller schwoll die Protestwelle an. Es zeigen sich immer mehr Risse im Staatsapparat. Der Schriftsteller Artur Klinaŭ über Ursachen, Verlauf und Folgen der Revolution.

Osteuropa: Herr Klinaŭ, ihre Tochter gehört zu den mehreren Tausenden Menschen, die das Lukašenka-Regime in den vergangenen Tagen verhaften ließ.

Artur Klinau: Ja, sie wurde bereits vier Tage vor dem eigentlichen Wahltag verhaftet. Sie war Wahlbeobachterin in einem Wahllokal in Minsk. Die Stimmabgabe war ja bereits mehrere Tage vor dem Wahlsonntag möglich. Die Wahlkommissionen hatten Vorgaben, wie hoch die Wahlbeteiligung auszufallen hat. Die Zahl der tatsächlich vorzeitig abgegebenen Stimmen betrug nur einen Bruchteil davon. Da waren unabhängige Beobachter natürlich extrem unerwünscht. Meine Tochter wurde unter einem frei erfundenen Vorwand verhaftetet. Sie habe mit Schimpfwörtern um sich geschmissen, die Arbeit der Wahlkommission behindert, Anordnungen nicht ausgeführt und sich der Miliz widersetzt. Kurzum: das übliche Paket. Drei Tage wussten wir nicht, wo sie ist, erst am Samstag vor der Wahl wurde uns mitgeteilt, dass sie verhaftet wurde. Am gleichen Tag fand der Prozess statt: 14 Tage Haft. Danach dauerte es wieder zwei Tage, bis uns mitgeteilt wurde, wohin sie gebracht worden ist. Sie befindet sich in einem Gefängnis in Žodzina östlich von Minsk.‘
Dass es keine Informationen gibt, hat auch damit zu tun, dass in den letzten Tagen so viele Menschen willkürlich verhaftet wurden, dass die Organe selbst nicht mehr damit zu Rande kommen und oft nicht wissen, wen sie wohin gebracht haben.

Osteuropa: Wer geht auf die Straßen?

Klinau: In früheren Jahren protestierte eine aktive Minderheit, heute ist es das ganze Volk. Die Menschen kommen aus allen Schichten der Gesellschaft. „Drei Prozent für Sascha“ [Aljaksandr Lukašenka] das war natürlich ein Wahlkampfspruch. Unabhängige Umfragen, die trotz der Schließung des letzten unabhängigen soziologischen Instituts im Jahr 2016 durchgeführt wurden, gaben ihm ungefähr 30 Prozent. Aber jetzt, nachdem er die friedlichen Demonstrationen mit Gewalt hat auflösen lassen, steht wirklich kaum noch jemand hinter ihm, vielleicht tatsächlich jene drei Prozent… Das sind nur noch jene, die viel zu verlieren haben. Beamte und Geschäftsleute, die in seinem System aufgestiegen und zu viel Geld gekommen sind, dazu die Mitglieder der Gewaltapparate, Richter und andere Leute, die sich an den Unterdrückung der Gesellschaft und der Manipulation beteiligt haben.

Osteuropa: Wer sind die Männer in Schwarz, mit Helmen, Schildern und Knüppeln, die in den vergangenen Tagen auf die friedlichen Demonstranten eingeschlagen haben?

Klinau: Die meisten kommen aus der Provinz. Wenn sie zu den Sondereinheiten der Miliz oder den Spezialtruppen des Innenministeriums gehen, dann ermöglicht dies ihnen einen sozialen Aufstieg. Überzeugungen spielen keine Rolle. Das System Lukašenka hatte keine Ideologie, von der man überzeugt sein konnte. Es ging ausschließlich um materielle Interessen: Hohe Löhne, Vergünstigungen, staatliche Wohnungen in Minsk, früh in die Rente. Die Repressionsapparate sind eine private Söldnertruppe Lukašenkas.

Osteuropa: Hat die Protestbewegung noch Repräsentanten?

Klinau: Bislang gibt es niemanden. Svjatlana Tichanoŭskaja hätte das Gesicht der Proteste werden können, aber sie hatte Angst, die Verantwortung für die Menschen zu übernehmen, die auf die Straßen gehen. Rein menschlich gesehen kann man das verstehen. Wer sich an die Spitze einer Revolution stellt, wird für ihre Folgen verantwortlich gemacht. Für eine Politikerin war ihre Flucht nach Litauen jedoch ein schwacher Zug. Er hat bestätigt, dass sie nur eine Übergangskandidatin war, die nicht zum Regieren angetreten ist, sondern nur um Neuwahlen zu ermöglichen, bei denen dann jene antreten können, deren Kandidatur das Regime verhindert hat.

Osteuropa: Aber sie wurde offensichtlich gezwungen…

Klinau: Natürlich wurde massiver Druck auf sie ausgeübt. Sie haben sie einfach gebrochen. Gleichwohl hat sich bestätigt, dass sie nur eine Übergangskandidatin war. Nachdem die Behörden sie beseitigt hatten und auch die Teams ihrer beiden Unterstützerinnen sich praktisch aufgelöst hatten, gingen die Proteste trotzdem weiter und schwollen immer mehr an. Die Leute hatten nicht so sehr für Tichanoŭskaja als viel mehr gegen Lukašenka gestimmt. Das Bild der Jeanne d’Arc von Minsk und der Mutter Heimat hat jedoch starke Kratzer bekommen. Ganz unabhängig davon: Siegt die Revolution des Volks auf den Straßen, muss es ohnehin Neuwahlen geben, die nach demokratischen Prinzipien ablaufen. Es wird nicht mehr möglich sein, den Beweis zu erbringen, dass Tichanoŭskaja gewonnen hat.

Osteuropa: Was unterscheidet die Situation heute von jener im Jahr 2010 und was ist unverändert?

Klinau: Eine Sache ist genau gleich, und eine komplett anders. Die Gemeinsamkeit: Bei den Wahlen damals war der wichtigste Akteur er Kreml, und das ist heute genauso. 2010 haben die Minsker Holzsoldaten die Inszenierung, die sich der schlaue Urfin im Kreml für sie zurechtgelegt hat, so perfekt umgesetzt, dass Lukašenka einige Jahre mit dem Rücken zur Wand stand. Die EU hat Sanktionen verhängt, die vorsichtigen Schritte in Richtung Demokratie wurden zurückgenommen und so weiter. Der nächste Schritt wäre die Aufgabe der Eigenstaatlichkeit gewesen. Doch mit dem Krieg in der Ukraine veränderte sich die Lage und Lukašenka konnte sich dem Würgegriff des Kreml etwas entziehen.
Bei diesen Wahlen wollte der Kreml Lukašenka endgültig unter seine volle Kontrolle bringen. Sehr vieles spricht dafür, dass der Kreml genauer: mit dem Kreml verbundene Strukturen den Wahlkampf der Gegner Lukašenkas verdeckt finanziert haben. Der Westen hat sich von der Opposition eher fern gehalten und ihren Wahlkampf nicht unterstützt.
Und doch war es der professionellste Wahlkampf, der jemals in Belarus geführt wurde. Es war zu spüren, dass viel Geld dahinter steht und dass professionelle Polittechnologen ihn organisiert haben. Dies deutet neben vielen anderen Hinweisen darauf hin, dass derjenige, der von diesem Wahlkampf profitieren sollte, der Kreml war. Es ging nicht darum, Lukašenka zu stürzen, sondern darum, das Szenario von 2010 zu wiederholen: den Staat zu Gewalt zu provozieren, damit die EU den Dialog mit Belarus abbricht und Sanktionen verhängt, kurzum: Lukašenka erneut in die Ecke zu treiben. Das ist es, was Putin braucht: einen schwachen, nachgiebigen Lukašenka, der bereit ist, Belarus mehr oder weniger offenkundig dem Kreml in die Hand zu legen.
Was jedoch dann passiert ist, macht den zentralen Unterschied zu 2010 aus. Eigentlich lief alles nach Plan. Die Marionetten aus Belarus haben den Plan sogar übererfüllt. Doch plötzlich nehmen die Ereignisse einen Verlauf, der nicht im Drehbuch vorgesehen war. Eine dritte Person betritt die Bühne: das belarussische Volk. Ein Volk, das wegen der Ereignisse der vergangenen sechs Monate wütend ist: Erst Lukašenkas Umgang mit der Pandemie und der wirtschaftliche Niedergang. Dann die fatalen Fehler des Regimes bei den Wahlen. Die Behauptung, 41 Prozent der Wahlberechtigten hätten ihre Stimme vorzeitig abgegeben und Lukašenka habe 80 Prozent erhalten das war einfach zu dreist. Und dann die nie dagewesene Gewalt gegen die Demonstranten in den Tagen danach. All dies löste eine Explosion aus. Die Dinge entwickelten sich anders, als der Kreml es geplant hatte. Jetzt hängt alles davon ab, ob die belarussische Gesellschaft genug Mut und Kraft hat, ihre Interessen durchzusetzen.

Osteuropa: Wie hatte sich die Lage für Schriftsteller, Künstler und Musiker in der vergangenen fünf Jahren entwickelt?

Klinau: Politisch gesehen gab es mehr Freiheit. Wirtschaftlich hat die unabhängige belarussische Kulturszene in den letzten fünf Jahren Tag für Tag ums Überleben gekämpft. Die internationale Öffentlichkeit hatte Belarus vergessen und viele Stiftungen haben das Land verlassen. Unabhängige Kultur ist ohne finanzielle Unterstützung nicht möglich. Und in einem autoritären Land kommt diese nicht vom Staat. Daher sind sehr viele Projekte aufgegeben worden, Künstler haben aufgegeben und sich eine Brotarbeit gesucht.
Eine positive Entwicklung gab es allerdings: Erstmals haben sich private Mäzene vorgewagt. Dort, wo privates Kapital hingeflossen ist, hat sich viel entwickelt in den vergangenen Jahren. Der wichtigste Mäzen war übrigens Viktor Babaryko, der dann zu den Präsidentschaftswahlen antreten wollte und verhaftet wurde. Die Belgazprombank, der er vorstand, hat so wichtige Projekte wie das Theaterfestival Te-art, die Kulturfabrik OK-16, die Galerie Herbstsalon und die Sammlung Pariser Schule unterstützt.
Für Schriftsteller aber blieb die Lage absolut prekär. Die Auflagen von Büchern in belarussischer Sprache sind zwar etwas gestiegen, aber finanzielle Auswirkungen hatte das keine.

Osteuropa: Gibt es Hoffnung, dass Lukašenka die Unterstützung der Gewaltapparate verlieren könnte?

Klinau: Genau das passiert gerade. Das Regime zeigt überall Risse. Selbst wenn die Revolution nicht sofort siegt, wird die Gesellschaft nicht mehr in die frühere Apathie zurückkehren. Der Umbruch wird sehr bald kommen!

Artur Klinaǔ, Schriftsteller, Künstler, Herausgeber des Magazins für zeitgenössische Kunst pARTisan. Er lebt in Minsk und im Künstlerdorf Kaptaruny. Auf deutsch sind von ihm erschienen: „Minsk. Sonnenstadt der Träume“ und „Schalom“.

Gespräch und Übersetzung: Volker Weichsel

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Querdenker-Demo in Stuttgart – Welle machen

Kontext Ausgabe 489 (Auszug)

Von Minh Schredle  12.08.2020

Es gibt durchaus gute Gründe, mit der derzeitigen Corona-Politik uneins zu sein. Was auf der Querdenker-Demo in Stuttgart verbreitet wird, sind keine. Der Initiator spricht eine Einladung an Donald Trump aus. Ein esoterischer Polizist verneint die Existenz der Verfassung, und ein Oberleutnant a.D. stellt dem Militär die Gewissensfrage.

Michael Ballweg strahlt wie ein Honigkuchenpferd. Die Galionsfigur der Stuttgarter Querdenker hat einmal durchgezählt und kommt auf 53 Menschen, die bei seiner Demo mitmachen, „das ist auch die offizielle Zahl für die Presse“. Kleiner Scherz.

Tatsächlich haben sich am vergangenen Samstag um die 2000 Personen zum Corona-Protest im Schlossgarten der Landeshauptstadt eingefunden, angesichts der drückenden Temperaturen größtenteils dicht gedrängt um die heißbegehrten Schattenflächen.

Ballweg spielt auf die Berichterstattung zum Berliner „Tag der Freiheit“ an, bei dem er eine Woche zuvor mitmischte,  und über den viele Medien Teilnehmerzahlen verbreiteten, die ihm zu niedrig vorkommen. Der „Demokratische Widerstand“, das Blatt, das auf Querdenker-Demos gratis verteilt wird, berichtet hingegen, die „größte Demonstration Deutschlands im 21. Jahrhundert am 1. August 2020 rief Erinnerungen an den Mauerfall wach“, bei diesem historischen Ereignis „versammelten sich nach Polizeiangaben vom Sonnabend 1,3 Millionen Menschen in der Bundeshauptstadt gegen das Corona-Regime“. Rückfrage bei der Berliner Polizei: Diese Angabe stamme nicht von ihr, sie bleibt bei ihrer Schätzung von circa 20.000 Teilnehmenden in der Spitze.

„Von Monat zu Monat lernt man mehr von der DDR“, leitet Ballweg seine Rede in Stuttgart ein. „Die dreiste Kleinrechnung der Teilnehmerzahlen der Demo vom 1. August durch die Berliner Polizei entspricht in etwa dem Geschwätz von der Zusammenrottung einiger weniger Rowdys, mit der die DDR-Medien anfangs die Demonstrationen im Herbst 1989 kleinrechneten.“ Der Querdenken-Initator, der im November Stuttgarts nächster Oberbürgermeister werden möchte, zitiert damit Arnold Vaatz, den stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsfraktion im Bundestag, der diese historischen Parallelen in einem Gastbeitrag für das rechtspopulistische Onlineportal „Tichys Einblick“ zog.

„Lieber ein Spinner sein“

Insgesamt fällt es schwer, sich ein Szenario auszumalen, bei dem ein vergleichbares Personenspektrum zusammenfinden könnte. Ein paar sind mit Friedens- und Regenbogenflaggen unterwegs, ein anderer hält ein Schild hoch: „Mainstream-Media = wieder Holokaustkomplizen“. Da sind ältere Damen, die einen Impfzwang ablehnen; Jesus-Fans und Mönche; Menschen, die sich mehr Spiritualität in der Politik wünschen; Menschen, die sich in der veröffentlichten Meinung mehr abweichende Standpunkte unter Experten erhoffen; der Querdenken-Pressesprecher Stephan Bergmann, der im Netz vor einer „Vermischung der Rassen“ warnte, weil das den Intelligenzquotienten der weißen Bevölkerung gefährde, dies dann leugnete, aber vom „Tagesspiegel“ widerlegt wurde; ein Punk mit Anti-AfD-Shirt geht nicht mehr einkaufen und zum Fußball und fährt nicht mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln, weil er dann eine Maske tragen müsste; Hippies; Leute, die anfingen, sich für Politik zu interessieren, als sie nicht mehr feiern gehen durften. Es ist kaum möglich, unter den gemeinsam Demonstrierenden eine Art Konsens auszumachen, abgesehen vielleicht von dem Verlangen: Gebt uns unser altes Leben zurück!

Auf der Rednerbühne sorgt die einfache Nennung der Vokabeln „Friede“, „Freiheit“ und vor allem „die Wahrheit“ mit Erfolgsgarantie für euphorischen Beifall. „Merkel“, „Spahn“, „Lauterbach“, „Bill Gates“ und „die Presse“ sichern dem Auftritt hingegen ausgiebige Pfeifkonzerte, angeekelte Buh-Rufe und bisweilen eigenartige Grunzlaute.

Für große mediale Resonanz hat der Auftritt des Satirikers Florian Schroeder gesorgt, der ausprobieren wollte, wie viel Meinungsfreiheit die Stuttgarter Querdenker aushalten. Die Gelegenheit, von der Bühne aus zu sprechen, nutzte er, um dem Publikum klarzumachen, dass er Corona für eine reale und gefährliche Krankheit hält und das Maskentragen als sinnvolle Gegenmaßnahme anerkennt (aus dem Publikum kontert einer: „Buh! Bist du für die Diktatur?!“). In einem Beitrag für die NDR-Satiresendung „Extra 3“ erläutert der Kabarettist, wie es dazu kam, dass er von den Querdenkern eingeladen worden ist. Offenbar haben die Aneinanderreihung einiger Standardphrasen aus dem Coronagegner-Wortschatz und eine positive Bezugnahme auf  Wolfgang Wodarg ausgereicht, die kritischen Köpfe davon zu überzeugen, auf der selben Seite zu stehen.

Während Schroeders Rede bereits viral gegangen ist, lohnt sich auch ein Blick auf die anderen Bühnenbeiträge vom vergangenen Samstag. Da ist etwa Thomas Bauer, Oberleutnant a.D., der 600 Kilometer angereist ist, um zu berichten, dass ihm „Mitte März vieles deutlich und klar geworden ist“, nämlich: „Hier stimmt was nicht“. Die Herleitung: „Wenn jede Zelle in meinem Körper und jede Synapse in meinem Hirn Alarm ruft, dann kann und muss was nicht stimmen.“ Deswegen präsentiert er nun ein, wie er selbst sagt, „verstörendes“ Gedankenspiel, und zwar die „Aufgabe: Stellen Sie sich vor, Sie wären Bundeskanzler und wollten Deutschland und seine Bevölkerung entgegen ihrem geleisteten Eid schaden und zerstören, ohne kriegerische Auseinandersetzung.“

Deutschlands Untergang: ein 14-Punkte-Plan

Bauer hat sich in diesem Zusammenhang einen 14-Punkte-Plan überlegt, von der mutwilligen Vernichtung der Autoindustrie über die gewollte Destabilisierung der Inneren Sicherheit bis hin zur „massenhaften Zuwanderung von schlecht bis gar nicht ausgebildeten Fachkräften, die die Sozialkassen und den Mittelstand, der die ganze Party finanziert, weiter belasten“. Dann formt er in seiner Rolle als Diktator-Kanzler noch die Medien so um, dass „jeder, der Kritik übt und nicht mir huldigt, gebrandmarkt wird: Nazi, Verschwörungstheoretiker, Aluhut-Träger, Covidleugner!“ – an dieser Stelle ist der Applaus am lautesten. Wahlen mit unpassenden Ergebnissen macht der fiktive Autokrat kurzerhand rückgängig, aber weil es „den Mittelstand ja immer noch gibt“, reicht es ihm jetzt: „Also flieg ich selber nach China und potzblitz: Mitarbeiter einer Firma, die ich besuche, kommen nach Deutschland zurück mit einem Virus, (…), und durch geschickte Medienmanipulation kann ich jetzt endlich Reiche noch reicher machen (…), den Rest kann ich in der Tat unterjochen.“ Nachdem er sich sein Szenario in den düstersten Tönen ausgemalt hat, stellt Bauer fest, dass das ja quasi unserer gegenwärtigen Realität entspräche.

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Friedliche Revolution 1989 – 4. November 1989 – Kundgebung am Alexanderplatz

Die Demonstration am 4. November ’89 auf dem Alexanderplatz mutete an wie ein Happening. Diesen Charakter unterstrichen auch die unzähligen phantasievollen Transparente und Plakate der Teilnehmer.

„Die Fülle der Transparente, die hier zu sehen sind, ist wirklich erschlagend. Ich finde es sehr gut, wenn wir diese Transparente sammeln und einer Art neuen Kunstausstellung zur Verfügung stellen“, rief der Bühnenbildner Henning Schaller, der die Kundgebung auf dem Berliner Alexanderplatz moderierte, am Schluss in die Menge.

In der Tat war es beeindruckend, wie viele Transparente, Plakate oder Fahnen von den Demonstranten während der Kundgebung in die Höhe gereckt wurden, samt und sonders in mühevoller Heimarbeit hergestellt. Es waren sowohl ernsthafte Forderungen zu lesen, aber auch humorvolle, hintergründige, zuweilen gar skurrile. „Radwege auch in Ostberlin“, stand auf einem, auf einem anderen „Stasi in die Volkswirtschaft“, auf einem nächsten „Gegen Monopolsozialismus. Für demokratischen Sozialismus“. Auf einem Plakat war der neue SED-Chef Egon Krenz mit riesigen Zähnen abgebildet, darunter stand geschrieben: „Großmutter, warum hast du so große Zähne?“

Die Staatssicherheit versucht Einfluss zu nehmen

Im Vorfeld der Großkundgebung hatte die Staatssicherheit in alter Manier versucht, Einfluss auf die Plakate und Losungen zu nehmen. In einem „streng geheimen“ Informationspapier „über die für den 4. November 1989 in der Hauptstadt der DDR, Berlin, initiierte Demonstration von Kunst- und Kulturschaffenden“ heißt es beispielsweise: „Die Leitung des Verbandes Bildender Künstler soll Einfluss darauf nehmen, dass die beabsichtigte Anfertigung von mitzuführenden Losungen und Transparenten durch Angehörige des Verbandes kontrolliert und damit möglichen Provokationen vorgebeugt wird.“ Einige Losungen wurden der Staatssicherheit vom „Verband Bildender Künstler“ tatsächlich auch vorgelegt und – wenn auch zuweilen zähneknirschend – genehmigt. Die aufmüpfigste der genehmigten Forderungen lautete: „Rehabilitierung von Opfern stalinistischer Schauprozesse in der DDR“.

Keine Festnahme in Sichtweite von Kameras

Dass sie am Ende aber wohl keinerlei Einfluss auf die Transparente und Losungen der Demonstranten haben würde, deren Zahl bereits im Vorfeld auf mehr als eine halbe Million geschätzt wurde, dass ahnte auch die Staatssicherheit. Und ihre Vermutung erwies sich als durchaus realistisch. Festnahmen sollte es, so beschloss die Einsatzleitung, jedoch auch bei offensichtlichen „Provokationen“ keine geben, jedenfalls nicht in Sichtweite von Fotoapparaten und Kameras. Aber nicht einmal dazu kam es, wie die Veranstalter der Kundgebung verlautbarten.

Deutsche Einheit ist kein Thema

Bei aller Unterschiedlichkeit der Symbole, Losungen und Slogans auf den Plakaten – in einer trafen sich die Forderungen sämtlicher Teilnehmer: Die SED soll den Staat herausrücken, den sie ohnehin an den Rand des Abgrunds manövriert hatte. Was jedoch nicht als Bestandteil der Willensbekundungen auf den Plakaten und Spruchbändern der Demonstranten zu lesen war, nur wenige Wochen später aber allerorten zum Forderungskatalog von Demonstranten gehörte, war die Frage nach der deutschen Einheit. Diese stellte sich am 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz überhaupt nicht.

Sozialismus und Demokratie

An diesem Tag ging es nicht um die Abschaffung des Sozialismus oder gar das Hinwegfegen eines ganzen Landes, sondern vielmehr um die späte Verwirklichung der Ideale des Prager Frühlings: es ging um einen demokratischen Sozialismus, um einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“. „Der Sozialismus – nicht der Stalinsche, der richtige -, den wir endlich erbauen wollen zu unserem Nutzen und zum Nutzen von ganz Deutschland, dieser Sozialismus ist nicht denkbar ohne Demokratie“, sagte der Schriftsteller Stefan Heym in seiner begeistert aufgenommenen Ansprache. „Demokratie aber heißt Herrschaft des Volkes.“

Größte DDR-Demo 04.11.1989 Alexanderplatz Berlin, DDR

ca. 800.000 Teilnehmer bei der angemeldeten Demonstration

Hasskrieger – der neue globale Rechtsextremismus

„Christchurch, El Paso, Halle, Hanau – an diesen und anderen Orten haben 2019 und 2020 rechtsextremistische Terrorakte mit zahlreichen Todesopfern stattgefunden. Ein Blick auf die Taten und das Umfeld der Terroristen verdeutlicht, dass der digitale Raum in der medialen Lebenswelt der Täter, aber auch für die von ihnen erwünschte Resonanz eine zentrale Rolle spielt.

Auf Imageboards wie 8chan oder anderen der Öffentlichkeit kaum bekannten Foren werden Morde angekündigt und die Täter gefeiert, in sozialen Netzwerken die Taten bisweilen live gestreamt. Diese menschenverachtende Kommunikation innerhalb extrem rechter Subkulturen stellt jedoch kein isoliertes Phänomen dar, sondern erweist sich als anschlussfähig an Strategien einer größeren digitalen Parallelöffentlichkeit, wie sie zahlreiche Akteure aus dem rechtsextremen Spektrum verfolgen und in der ebenso Verschwörungstheorien, Fake News und Hetze verbreitet werden.

Karolin Schwarz blickt in die verstörende Welt rechtsextremer Onlinekommunikation und beschreibt Entwicklungen, Strategien, Erscheinungsformen, aber auch mögliche Gegenstrategien.“


Hasskrieger – der neue globale Rechtsextremismus. Bundeszentrale für Politische Bildung. Autorin: Karolin Schwarz, Seiten: 224, Erscheinungsdatum: 07.08.2020, Erscheinungsort: Bonn, Bestellnummer: 10545

Florian Schröder am 8. August bei der „Corona“-Demo von „Querdenken 711“: Wahrheit – Freiheit – Satire

Florian Schröder bei der „Corona“-Demo von „Querdenken 711“ am Samstag, 8. 8.2020: „Nach meinem Soloprogramm im NDR haben mich die Querdenker 711 eingeladen. Ich bin hingegangen und habe in Stuttgart gesprochen. Über das Grundgesetz, Meinungsfreiheit und den Unterschied zwischen Freiheit und Verantwortungslosigkeit.“
Das Video seines Auftritts wurde seit dem 8.8.2020 (Stand 11.8.2020) 584.709 mal aufgerufen.
Florian Schröder gebraucht den Begriff der Dialektik und bezieht sich dabei auf Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Dazu gibt es interessante Gespräche, z.B.: