Querdenker-Demo in Stuttgart – Welle machen

Kontext Ausgabe 489 (Auszug)

Von Minh Schredle  12.08.2020

Es gibt durchaus gute Gründe, mit der derzeitigen Corona-Politik uneins zu sein. Was auf der Querdenker-Demo in Stuttgart verbreitet wird, sind keine. Der Initiator spricht eine Einladung an Donald Trump aus. Ein esoterischer Polizist verneint die Existenz der Verfassung, und ein Oberleutnant a.D. stellt dem Militär die Gewissensfrage.

Michael Ballweg strahlt wie ein Honigkuchenpferd. Die Galionsfigur der Stuttgarter Querdenker hat einmal durchgezählt und kommt auf 53 Menschen, die bei seiner Demo mitmachen, „das ist auch die offizielle Zahl für die Presse“. Kleiner Scherz.

Tatsächlich haben sich am vergangenen Samstag um die 2000 Personen zum Corona-Protest im Schlossgarten der Landeshauptstadt eingefunden, angesichts der drückenden Temperaturen größtenteils dicht gedrängt um die heißbegehrten Schattenflächen.

Ballweg spielt auf die Berichterstattung zum Berliner „Tag der Freiheit“ an, bei dem er eine Woche zuvor mitmischte,  und über den viele Medien Teilnehmerzahlen verbreiteten, die ihm zu niedrig vorkommen. Der „Demokratische Widerstand“, das Blatt, das auf Querdenker-Demos gratis verteilt wird, berichtet hingegen, die „größte Demonstration Deutschlands im 21. Jahrhundert am 1. August 2020 rief Erinnerungen an den Mauerfall wach“, bei diesem historischen Ereignis „versammelten sich nach Polizeiangaben vom Sonnabend 1,3 Millionen Menschen in der Bundeshauptstadt gegen das Corona-Regime“. Rückfrage bei der Berliner Polizei: Diese Angabe stamme nicht von ihr, sie bleibt bei ihrer Schätzung von circa 20.000 Teilnehmenden in der Spitze.

„Von Monat zu Monat lernt man mehr von der DDR“, leitet Ballweg seine Rede in Stuttgart ein. „Die dreiste Kleinrechnung der Teilnehmerzahlen der Demo vom 1. August durch die Berliner Polizei entspricht in etwa dem Geschwätz von der Zusammenrottung einiger weniger Rowdys, mit der die DDR-Medien anfangs die Demonstrationen im Herbst 1989 kleinrechneten.“ Der Querdenken-Initator, der im November Stuttgarts nächster Oberbürgermeister werden möchte, zitiert damit Arnold Vaatz, den stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsfraktion im Bundestag, der diese historischen Parallelen in einem Gastbeitrag für das rechtspopulistische Onlineportal „Tichys Einblick“ zog.

„Lieber ein Spinner sein“

Insgesamt fällt es schwer, sich ein Szenario auszumalen, bei dem ein vergleichbares Personenspektrum zusammenfinden könnte. Ein paar sind mit Friedens- und Regenbogenflaggen unterwegs, ein anderer hält ein Schild hoch: „Mainstream-Media = wieder Holokaustkomplizen“. Da sind ältere Damen, die einen Impfzwang ablehnen; Jesus-Fans und Mönche; Menschen, die sich mehr Spiritualität in der Politik wünschen; Menschen, die sich in der veröffentlichten Meinung mehr abweichende Standpunkte unter Experten erhoffen; der Querdenken-Pressesprecher Stephan Bergmann, der im Netz vor einer „Vermischung der Rassen“ warnte, weil das den Intelligenzquotienten der weißen Bevölkerung gefährde, dies dann leugnete, aber vom „Tagesspiegel“ widerlegt wurde; ein Punk mit Anti-AfD-Shirt geht nicht mehr einkaufen und zum Fußball und fährt nicht mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln, weil er dann eine Maske tragen müsste; Hippies; Leute, die anfingen, sich für Politik zu interessieren, als sie nicht mehr feiern gehen durften. Es ist kaum möglich, unter den gemeinsam Demonstrierenden eine Art Konsens auszumachen, abgesehen vielleicht von dem Verlangen: Gebt uns unser altes Leben zurück!

Auf der Rednerbühne sorgt die einfache Nennung der Vokabeln „Friede“, „Freiheit“ und vor allem „die Wahrheit“ mit Erfolgsgarantie für euphorischen Beifall. „Merkel“, „Spahn“, „Lauterbach“, „Bill Gates“ und „die Presse“ sichern dem Auftritt hingegen ausgiebige Pfeifkonzerte, angeekelte Buh-Rufe und bisweilen eigenartige Grunzlaute.

Für große mediale Resonanz hat der Auftritt des Satirikers Florian Schroeder gesorgt, der ausprobieren wollte, wie viel Meinungsfreiheit die Stuttgarter Querdenker aushalten. Die Gelegenheit, von der Bühne aus zu sprechen, nutzte er, um dem Publikum klarzumachen, dass er Corona für eine reale und gefährliche Krankheit hält und das Maskentragen als sinnvolle Gegenmaßnahme anerkennt (aus dem Publikum kontert einer: „Buh! Bist du für die Diktatur?!“). In einem Beitrag für die NDR-Satiresendung „Extra 3“ erläutert der Kabarettist, wie es dazu kam, dass er von den Querdenkern eingeladen worden ist. Offenbar haben die Aneinanderreihung einiger Standardphrasen aus dem Coronagegner-Wortschatz und eine positive Bezugnahme auf  Wolfgang Wodarg ausgereicht, die kritischen Köpfe davon zu überzeugen, auf der selben Seite zu stehen.

Während Schroeders Rede bereits viral gegangen ist, lohnt sich auch ein Blick auf die anderen Bühnenbeiträge vom vergangenen Samstag. Da ist etwa Thomas Bauer, Oberleutnant a.D., der 600 Kilometer angereist ist, um zu berichten, dass ihm „Mitte März vieles deutlich und klar geworden ist“, nämlich: „Hier stimmt was nicht“. Die Herleitung: „Wenn jede Zelle in meinem Körper und jede Synapse in meinem Hirn Alarm ruft, dann kann und muss was nicht stimmen.“ Deswegen präsentiert er nun ein, wie er selbst sagt, „verstörendes“ Gedankenspiel, und zwar die „Aufgabe: Stellen Sie sich vor, Sie wären Bundeskanzler und wollten Deutschland und seine Bevölkerung entgegen ihrem geleisteten Eid schaden und zerstören, ohne kriegerische Auseinandersetzung.“

Deutschlands Untergang: ein 14-Punkte-Plan

Bauer hat sich in diesem Zusammenhang einen 14-Punkte-Plan überlegt, von der mutwilligen Vernichtung der Autoindustrie über die gewollte Destabilisierung der Inneren Sicherheit bis hin zur „massenhaften Zuwanderung von schlecht bis gar nicht ausgebildeten Fachkräften, die die Sozialkassen und den Mittelstand, der die ganze Party finanziert, weiter belasten“. Dann formt er in seiner Rolle als Diktator-Kanzler noch die Medien so um, dass „jeder, der Kritik übt und nicht mir huldigt, gebrandmarkt wird: Nazi, Verschwörungstheoretiker, Aluhut-Träger, Covidleugner!“ – an dieser Stelle ist der Applaus am lautesten. Wahlen mit unpassenden Ergebnissen macht der fiktive Autokrat kurzerhand rückgängig, aber weil es „den Mittelstand ja immer noch gibt“, reicht es ihm jetzt: „Also flieg ich selber nach China und potzblitz: Mitarbeiter einer Firma, die ich besuche, kommen nach Deutschland zurück mit einem Virus, (…), und durch geschickte Medienmanipulation kann ich jetzt endlich Reiche noch reicher machen (…), den Rest kann ich in der Tat unterjochen.“ Nachdem er sich sein Szenario in den düstersten Tönen ausgemalt hat, stellt Bauer fest, dass das ja quasi unserer gegenwärtigen Realität entspräche.

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