Thesenpapier zur Pandemie durch SARS-CoV-2/Covid-19: Datenbasis verbessern – Prävention gezielt weiterentwickeln – Bürgerrechte wahren

Präambel

Der vorliegende Text stellt sich der Aufgabe, die epidemiologische Problemlage wissenschaftlich zu klären und aus der gegebenen Situation Empfehlungen für wirksame Präventionsmaßnahmen abzuleiten. Die Vorschläge zur Prävention werden in einen gesellschaftspolitischen Rahmen gestellt, der für die Autoren in einem unauflösbaren Zusammenhang mit den geschilderten Sachverhalten steht. Dem umfangreichen analytischen Teil wird eine kürzere Zusammenfassung vorangestellt, die eine schnelle Orientierung über die vertretenen Standpunkte ermöglichen soll. Wie für ein Thesenpapier nicht anders zu erwarten, werden die wichtigsten Ergebnisse zu drei Thesen mit entsprechenden Unterpunkten verdichtet, die wortgleich in der Zusammenfassung und am Ende der jeweiligen Kapitel zu finden sind.

Die Autoren bemühen sich um eine klare Benennung der Fakten und Probleme. Sie verbinden hiermit keine Kritik an den handelnden Personen, die in den zurückliegenden Wochen unter den Bedingungen einer – die Steigerung sei erlaubt – „noch unvollständigeren Information“ entscheiden mussten als dies heute der Fall ist. In jeder Beziehung sind die Ausführungen dieses Thesenpapiers als konstruktive Beiträge gedacht, die den Zweck verfolgen, die Entscheidungen der kommenden Wochen zu unterstützen.

Zusammenfassung

Die Bedrohung durch SARS-CoV-2/Covid-19 macht ein Zusammenwirken von Politik und Wissenschaft notwendig. Eine sinnvolle Beratung der politischen Entscheidungsträger muss mehrere wissenschaftliche Fachdisziplinen umfassen, wobei die diagnostischen Fächer (hier: Virologie), die klinischen Fächer (hier: Infektiologie, Intensivmedizin) und die Pflege ganz im Vordergrund stehen sollten.

Da eine Epidemie jedoch nie allein ein medizinisch-pflegerisches Problem darstellt, sondern immer auf die aktuelle Verfasstheit der gesamten Gesellschaft einwirkt und auch nur im Rahmen einer gesamtgesellschaftlichen Anstrengung zu bewältigen ist, erscheint zusätzlich eine Mitwirkung von Vertretern der Sozialwissenschaften, Public Health, Ethik, Ökonomie, Rechtswissenschaft und Politikwissenschaft unverzichtbar.

Entscheidend ist hierbei die Einsicht, dass notwendige Verhaltensveränderungen auf Ebene der Bevölkerung und in den Institutionen (denen bei Covid-19 besondere Bedeutung zukommt) nie allein durch eindimensionale Einzelinterventionen (z.B. gesetzliche Vorschriften), sondern nur durch Mehrfach- bzw. Mehrebeneninterventionen erreicht werden können, zu denen eben auch psychologische, soziale, ökonomische und politische Maßnahmen zählen. …

Autoren

  • Dr. med. Matthias Schrappe, Universität Köln, ehem. Stellv. Vorsitzender des Sachverständigenrates Gesundheit
  • Hedwig François-Kettner, Pflegemanagerin und Beraterin, ehem. Vorsitzende Aktionsbündnis Patientensicherheit, Berlin
  • med. Matthias Gruhl, Arzt für Öffentliches Gesundheitswesen Hamburg/Bremen
  • Franz Knieps, Jurist und Vorstand eines Krankenkassenverbands, Berlin
  • Dr. phil. Holger Pfaff, Universität Köln, Zentrum für Versorgungsforschung, ehem. Vorsitzender des Expertenbeirats des Innovationsfonds
  • Dr. rer.nat. Gerd Glaeske, Universität Bremen, SOCIUM Public Health, ehem. Mitglied im Sachverständigenrat Gesundheit

Thesenpapier Corona Prof. Dr. med. Schrappe et al

Endversion vom 5. April 2020

Corona-Krise: Ethik-Rat kritisiert Kommunikationsstrategie der Bundesregierung

Der Deutsche Ethikrat kritisiert die Kommunikation der Bundesregierung in Hinblick auf eine mögliche Lockerung der Maßnahmen in der Corona-Pandemie. „Was die Kommunikationsstrategie angeht, würde ich mir tatsächlich noch mehr Offenheit und Mut wünschen von der Bundesregierung, aber auch von den Landesregierungen, die Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen“, sagte der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock, am Dienstag dem „ARD-Mittagsmagazin“. Der Theologe forderte in diesem Zusammenhang, das Augenmaß zu berücksichtigen, „wo Menschen etwas nach normalem Menschenverstand Sinnvolles tun“, das diesseits der Ordnungswidrigkeit oder gar Strafe sei.

Grundsätzlich sei er mit den Maßnahmen der Politik in der Corona-Pandemie zufrieden, so der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats weiter. Er sehe alles als angemessen an, was im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung dazu beitrage, dass man unterhalb der Kapazitätsgrenzen bleibe. Gleichzeitig wünscht er sich einen offeneren Diskurs über die Maßnahmen in der Corona-Pandemie und eine mögliche Lockerung dieser. „Die Politik soll es begrüßen, wenn Bürgerinnen und Bürger selbst sich Gedanken darüber machen: Ist es angemessen? Wo sehe ich Probleme?“, so Dabrock.

Deutscher Ethikrat Ad-hoc-Empfehlung Corona-Krise 7.4.20

Deutscher Ethikrat Stellungnahme

Was Corona über Politik und Wirtschaft verrät | Sternstunde Philosophie | SRF Kultur

Aufgrund der Corona-Pandemie werden unsere Freiheiten empfindlich eingeschränkt. Vielerorts denkt man über Contact Tracing nach: das Erstellen von Bewegungsprofilen, um Infektionsketten zurückzuverfolgen. Darüber hinaus ist eine nationale Abschottung zu beobachten.

Und man fragt sich, wie lange diese Massnahmen mit Blick auf die ökonomischen Kosten verhältnismässig sind. Was bedeutet das alles für die Demokratie? Wieviel Freiheit darf uns der Staat nehmen – und welche politischen Kräfte profitieren von dieser Ausnahmesituation? Darüber spricht Barbara Bleisch mit der Ökonomin und Publizistin Karen Horn und dem Publizisten Roger de Weck“. (6. April 2020)

Gabor Steingart: Mourning Briefing – 6. April 2020

Die gute Nachricht heute Morgen lautet: Die deutsche Demokratie lebt. Nach Wochen der Schockstarre und der fast bedingungslosen Zustimmung zur Corona-Politik der Regierung rührt sich Widerstand.

Angesichts von Kontaktverbot, Versammlungsverbot, Demonstrationsverbot und einer extrem eingeschränkten Reisefreiheit in Deutschland kann sich dieser Widerstand nicht in körperlicher Präsenz und damit auch nicht in fernsehtauglichen Demonstrationszügen manifestieren. Aber die Stille vorm Bundeskanzleramt täuscht. Wer sich einen Sinn für die unterirdischen Energieströme der Gesellschaft bewahrt hat, der spürt die Vibration.

Auch ohne Organisationskomitee und schriftlich fixierte Protestplattform hat sich ein Widerstand formiert, der Medizinjuristen, Schriftsteller, Kulturschaffende, Wirtschaftsexperten und Publizisten unterschiedlichster Couleur in ihrem Zweifel an der Verhältnismäßigkeit dieser Politik vereint.

Warum so radikal? Warum alle? Wie lange noch? Wenn diese bislang unsichtbare Bewegung ein Logo besäße, wäre es das Fragezeichen:

Zu den wirkungsmächtigen Stimmen gehört die Schriftstellerin, Sozialdemokratin und brandenburgische Verfassungsrichterin Juli Zeh („Unterleuten“, „Neujahr“). Im Feuilleton der „Süddeutschen Zeitung“ entfaltet sie eine juristisch-politische Argumentationskette, die man auch als heftige Kritik an der schläfrigen Opposition im Berliner Reichstag begreifen kann:

Unsere Verfassung verlangt, dass bei Grundrechtseingriffen immer das mildest mögliche Mittel gewählt wird. … Ansonsten fehlt es an der Verhältnismäßigkeit, und eine Maßnahme ist dann unter Umständen verfassungswidrig.

Dabei hätte ein wissenschaftlich fundierter Diskurs aller medizinischer Fachrichtungen zum Beispiel mittels einer Ad-hoc-Kommission helfen können. Stattdessen hat man einzelne prominente Experten zu Beratern gemacht und zugelassen, dass eine eskalierende Medienberichterstattung die Öffentlichkeit und die Politik vor sich hertreibt. …“