Auszüge aus einer Rezension von Thomas Assheuer
DIE ZEIT Nr. 44/2019, 23. Oktober 2019
Das Kapital im 21. Jahrhundert“: Der neue Adel
Ein Dokumentarfilm über „Das Kapital im 21. Jahrhundert“
„Vor den Geschäften haben sich lange Schlangen gebildet, doch die Regale und Truhen sind leer, es gibt nur Gammelfleisch. Eine ältere Frau riecht kurz dran, es ist ungenießbar. Niemand empört sich, ein stumpfes, stummes Erdulden liegt über den Gesichtern. Erst auf der Straße verschafft sich die Wut Luft. Gute genährte Polizisten verprügeln harmlose Bürger, Staatsdiener jagen „Staatsfeinde“.
Die Bilder, mit denen dieser Dokumentarfilm beginnt, stammen nicht aus der Zeit der Großen Depression 1929, sie stammen aus den letzten Tagen eines ungenannten Landes im realen Sozialismus, der die Hungernden satt und den Kapitalismus überwinden wollte. „Das kommunistische Versprechen“, sagt der französische Ökonom Thomas Piketty, „hatte sich als totaler Betrug erwiesen.“
Vor sechs Jahren löste Piketty mit seiner Studie über Das Kapital im 21. Jahrhundert viel Wirbel aus; nun macht ihn der neuseeländische Regisseur Justin Pemberton zur Hauptperson in seinem gleichnamigen Film.
Eskortiert wird Piketty von Wirtschaftswissenschaftlern, die wie Flügeladjutanten seine Position absichern und ohne kritische Gegenregung eloquent ergänzen (ZEIT Nr. 43/19). Die Ausgangsthese ist schlagend und schlicht: Große Siege schaden dem Sieger, denn sie machen ihn glauben, der Weltgeist persönlich habe ihm auf die Sprünge geholfen. Ganz ähnlich war es 1989. Der Westen fühlte sich als Testsieger im Systemvergleich und glaubte, nun dürfe er all jene Ketten beseitigen, die „Gleichheitsfantatiker“ einst dem Markt angelegt hatten. Wenn die kommunistische Alternative total falsch war, könne ein entfesselter Kapitalismus nur total richtig sein.“
Besprechung in der Süddeutschen Zeitung: „Kapitalismus to go.“