Die Programmatik der AfD

Bundeszentrale für Politische Bildung – Frank Decker 2.12.2022

Parteien in Deutschland

Die Programmatik der AfD

urde die AfD in ihrer Gründungsphase noch dem liberal-konservativen Spektrum zugeordnet, so reiht sie sich heute nahtlos in die rechtspopulistische und rechtsextreme Parteienfamilie ein.

Rechtspopulistische Merkmale der Programmatik

Als – neben der spanischen Vox – letzter Neuankömmling in (West)europa reiht sich die AfD heute nahtlos in die rechtspopulistische Parteienfamilie ein. Ihre Gruppe im Europäischen Parlament ist Teil der Fraktion „Identität und Demokratie“, der auch die Vertreter des französischen Rassemblement National (früher: Front National), der italienischen Lega und der österreichischen FPÖ angehören.

In der Gründungsphase hatte sich die AfD gegen die als stigmatisierend empfundene Etikettierung als „rechtspopulistisch“ verwahrt; auch von der Politikwissenschaft wurde sie zunächst mehrheitlich dem liberal-konservativen Spektrum zugeordnet. In der Rückschau zeigt sich allerdings, dass der Keim des Rechtspopulismus in der Partei von Beginn an angelegt war.

Ideologisch und programmatisch besteht dieser aus einem Drei- bzw. Vierklang (Decker 2016: 9 ff.): Ausgangspunkt und inhaltliche Klammer ist

  1. die radikale Kritik an den politischen und gesellschaftlichen Eliten. Ihnen wird der Vorwurf gemacht wird, dass sie die Interessen und Meinungen der Bürger systematisch missachteten, während die Populisten für sich selbst den Anspruch erheben, den „wahren“ Volkswillen zu kennen und zu vertreten.
  2. In kultureller Hinsicht greift der Rechtspopulismus das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Identität auf. Dies drohe in der Wertebeliebigkeit der Zuwanderungsgesellschaft verloren zu gehen.
  3. Wirtschafts- und sozialpolitisch ist seine Agenda dadurch bestimmt, dass wachsende Teile der Bevölkerung um ihren Wohlstand fürchten und Abstiegsängste haben. Zusammengebunden werden diese drei Aspekte nochmals in der
  4. ablehnenden Haltung gegenüber der EU, die das Markenzeichen der frühen AfD war und heute alle rechtspopulistischen Parteien in Europa eint.

Während die Anti-Establishment-Haltung der AfD vor allem im Rahmen der Wähleransprache, also rhetorisch zum Ausdruck kommt, steht im Zentrum ihres inhaltlichen Demokratieverständnisses die Forderung nach „mehr direkter Demokratie“. Die Einführung von Volksabstimmungen „nach Schweizer Vorbild“ wird sowohl im Grundsatz- als auch im Wahlprogramm gleich an erster Stelle genannt und um Vorschläge für eine Begrenzung der Parteienmacht, des Berufspolitikertums und des Lobbyismus ergänzt. Das Wahlrecht soll durch die Einführung freier Listen stärker personalisiert und der Bundespräsident vom Volk direkt gewählt werden.

EU-skeptische und zuwanderungsfeindliche Positionen prägen die AfD

Auch über die Mitgliedschaft der Bundesrepublik in der Währungsunion möchte die AfD das Volk abstimmen lassen. Mit dieser Forderung bündelt die Partei ihre EU-skeptischen Positionen, die im Grundsatz- und Wahlprogramm an zweiter Stelle folgen. Sie sind rigider gehalten als in den Bundestags- und Europawahlprogrammen von 2013/2014 (Niedermayer 2015: 187 ff.).

Während dort die Schaffung einer kleineren Eurozone der stabilitätsorientierten Länder als Möglichkeit erwogen wurde, ist jetzt nur noch von einem Austritt Deutschlands oder einer gemeinsam beschlossenen Auflösung der Währungsunion die Rede.

Eine weitere Integrationsvertiefung mit der Zielvorstellung eines Bundesstaates lehnt die AfD entschieden ab; stattdessen tritt sie für eine Rückverlagerung von Kompetenzen auf die Nationalstaaten im Sinne der ursprünglichen Idee einer (reinen) Wirtschaftsgemeinschaft ein. In das Wahlprogramm 2021 wurde sogar die Forderung nach einem Austritts Deutschlands aus der gesamten EU („Dexit“) aufgenommen. Weil dies gegen den Willen der Parteiführung geschah, bemüht sich diese seither, das als bloße „Drohkulisse“ gegenüber der EU abzuschwächen, um deren Reform bzw. Rückbau zu erzwingen.

Stärker als ihre demokratie- und europapolitischen Forderungen prägen die Positionen in der Migrations- und Zuwanderungspolitik das öffentliche Bild der AfD.

Sie dominieren nicht nur deren Wahlkämpfe, sondern auch die Arbeit in den Parlamenten und Vertretungskörperschaften, und strahlen als „Querschnittsthema“ programmatisch auf fast alle Politikfelder aus (Hafeneger u.a. 2018). Eine bezeichnende Ausnahme bildete allerdings die Coronapolitik. Weil die Partei die Notwendigkeit harter Bekämpfungsmaßnahmen mit Blick auf die aus ihrer Sicht übertrieben dargestellte Gefährlichkeit des Virus generell anzweifelte, konnte und wollte sie weder den Beitrag des „Auslands“ zur Verursachung und Ausbreitung der Pandemie thematisieren noch eine Politik der „nationalen Präferenzen“ bei der Impfstoffbeschaffung oder Impfreihenfolge anmahnen.

Ansonsten sind die Themen Migration und Islam bei der AfD übermächtig. In der angeblichen Ausbreitung des Islams und „Präsenz einer ständig wachsenden Zahl von Muslimen“ sieht die Partei laut ihrem Grundsatzprogramm „eine große Gefahr für unseren Staat, unsere Gesellschaft und unsere Werteordnung“.“ Sie soll durch konkrete Maßnahmen (kein Körperschaftsstatus für islamische Verbände, Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst, restriktivere Bestimmungen für den Bau und Betrieb von Moscheen etc.) zurückgedrängt werden.

In der Asylpolitik möchte die AfD das heutige individuelle Asylrecht durch eine institutionelle Garantie ersetzen und die Genfer Flüchtlingskonvention an die „globalisierte Gegenwart mit ihren weltweiten Massenmigrationen“ anpassen. Die Einwanderungspolitik soll sich ausschließlich an der Integrationsfähigkeit und den Bedürfnissen der eigenen Wirtschaft orientieren. Beim Einbürgerungsrecht kritisiert die AfD die Aufweichung des Abstammungsprinzips und lehnt die Zulassung einer doppelten Staatsbürgerschaft – von begründeten Ausnahmefällen abgesehen – ab.

In der Sozial- und Wirtschaftspolitik ist die stark marktliberale geprägte Programmatik der Gründungsphase inzwischen zurückgedrängt worden. Die an die Leitsätze von 2013 anschließenden Passagen im Grundsatzprogramm täuschen darüber hinweg, dass Forderungen nach einer Verschlankung des Wohlfahrtsstaates und stärkerer Eigenverantwortung in der Partei immer weniger konsensfähig sind. Sie werden vor allem von westdeutschen AfD-Politikern vertreten, während die ostdeutschen Landesverbände mehrheitlich einen sozialpopulistischen Kurs favorisieren, der auf die „kleinen Leute“ abzielt und nicht (nur) auf bürgerliche Leistungsträger. Symptomatisch für den Richtungsstreit war, dass man die Verabschiedung eines Rentenkonzepts jahrelang hinausschob. Der auf dem Parteitag im Dezember 2020 beschlossene Kompromiss erteilte sowohl Meuthens Modell einer Kombination von steuerfinanzierter Mindestrente und privater Vorsorge als auch Höckes Vorschlag einer Zusatzrente nur für deutsche Staatsbürger eine Absage. Stattdessen möchte die AfD am bestehenden Umlagesystem der gesetzlichen Rentenversicherung festhalten und diese durch flexiblere Regelungen beim Renteneintritt, die Einbeziehung von Beamten und Selbständigen sowie eine deutliche Beitragsentlastung für Familien mit Kindern ergänzen.

Einigkeit besteht zwischen den beiden Flügeln in der nationalen Ausrichtung der Sozial- und Wirtschaftspolitik, deren Früchte dem eigenen Land und der eingesessenen Bevölkerung vorbehalten bleiben sollen. Dies schlägt sich z.B. in der Ablehnung einer gemeinschaftlichen europäischen Schuldenhaftung oder den – ausschließlich an Nützlichkeitserwägungen orientierten – Vorschlägen für eine gesteuerte Einwanderung nieder (Bebnowski 2015).

Konservative Positionen in der Gesellschafts-, Geschlechter- und Familienpolitik

Entschieden konservative Positionen vertritt die AfD in der Geschlechter- und Familienpolitik (Kemper 2014). Diese speisen sich aus ideellen Strömungen, die die gesellschaftlichen und politischen Veränderungen der letzten Jahrzehnte zurückweisen.

Sie stellen somit auch eine Reaktion auf die gesellschaftspolitische Liberalisierung der Unionsparteien, insbesondere der CDU, dar.

Die AfD bekennt sich zum traditionellen Leitbild der Familie und kritisiert dessen Untergrabung durch die staatlich organisierte Kinderbetreuung und einen übertriebenen Feminismus. Als Hauptzielscheibe gilt ihr dabei das „Gender-Mainstreaming“. Der demografischen Krise möchte sie durch eine aktivierende Familienpolitik entgegenwirken – als Alternative zur „volkswirtschaftlich nicht tragfähigen und konfliktträchtigen Masseneinwanderung“.

In der Außenwirtschaftspolitik lehnt sie die geplanten oder bereits geschlossenen Abkommen TTIP und CETA wegen ihrer Eingriffe in nationale Souveränitätsrechte ab. Im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit, deren heutiges, auf staatlichen Hilfen basierendes System sie für gescheitert hält, kann sich die AfD dagegen auch eine Öffnung der eigenen Märkte vorstellen, um die Entwicklungsländer gerechter in den Welthandel einzubeziehen.

In der Außen- und Sicherheitspolitik plädiert die AfD für eine ausschließliche Orientierung an nationalen Interessen. Eine EU-Armee lehnt sie ab, stattdessen solle der europäische Einfluss in der NATO gestärkt, die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr verbessert und die Wehrpflicht wieder eingeführt werden.

Die geplante Aufstockung des Wehretats im Zuge des russischen Überfalls der Ukraine wurde von ihr entsprechend begrüßt. Die russlandfreundliche Linie der Partei geriet nach dem Ukraine-Krieg innerparteilich nur kurzzeitig in die Kritik. Sie speist sich zum einen aus Sympathien für den Putinschen Autoritarismus, zum anderen aus der gerade in den ostdeutschen Ländern verbreiteten Reserve gegenüber den USA und der NATO.

Machte sich die AfD bereits nach der Krim-Annexion – ähnlich wie die Linke – für einen Entspannungskurs und eine Lockerung der gegenüber Moskau verhängten Sanktionen stark, wiederholte sie diese Forderung mit Blick auf die durch den der Krieg hochgetriebenen Energiepreise für die einheimische Bevölkerung jetzt noch entschiedener. Die russische Verantwortung für den Krieg und das Leid der Opfer treten dahinter zurück.

Quellen / Literaturaufklappen

Fußnoten

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz „CC BY-NC-ND 4.0 – Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International“ veröffentlicht. Autor/-in: Frank Decker für bpb.de
Sie dürfen den Text unter Nennung der Lizenz CC BY-NC-ND 4.0 und des/der Autors/-in teilen.
Urheberrechtliche Angaben zu Bildern / Grafiken / Videos finden sich direkt bei den Abbildungen.