Am 2.11.2020 fand die Veranstaltung „Muslimfeindlichkeit …“ mit dem Diplom-Sozialwissenschaftler Alexander Häusler statt – nicht wie ursprünglich vorgesehen in der Sultan Ahmet Moschee Kirchheim, sondern online.
Der Vortrag von Alexander Häusler steht im Kontext der „Kirchheimer Erklärung“ vom September 2020.
Die „Kirchheimer Erklärung: Für eine gerechte, solidarische und vielfältige Gesellschaft – gegen Ausgrenzung, Demokratieverachtung, Hass, Hetze und Rassismus!“ lautet:
„Die Würde des Menschen ist unantastbar! Deshalb treten wir ein für eine gerechte, solidarische und vielfältige Gesellschaft und gegen Ausgrenzung, Demokratieverachtung, Hass, Hetze und Rassismus! Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit stellen wir uns entgegen. Gegen die Ausgrenzung von Geflüchteten, Musliminnen und Muslimen, Jüdinnen und Juden stehen wir zusammen. Wir machen uns stark für gleiche politische und soziale Rechte für alle Menschen.“
Ausgrenzung, Demokratieverachtung und Rassismus setzen wir fundierte Information und solidarisches Handeln entgegen – in unseren Bildungseinrichtungen, Betrieben, Kirchen und Moscheen, Kultur-, Sozial- und Gesundheitseinrichtungen, Vereinen und Verwaltungen. Dafür ist das kontinuierliche und nachhaltige Engagement der Bürgerinnen und Bürger notwendig. Das Zusammenwirken von Zivilgesellschaft und kommunaler Politik ist der Schlüssel zum Erfolg.“
An der interessanten Veranstaltung nahmen 16 Personen teil. Thomas Zapp vom „Teckboten“ berichtete am 4.11.20:
„Wie Rechte gegen den Islam hetzen
Vortrag: Sozialwissenschaftler Alexander Häusler erklärt, wie Muslimfeindlichkeit geschürt wird. Die Mahnung zur Besonnenheit ist aktueller denn je. Von Thomas Zapp
Ohne dass es die Teilnehmer der Zoom-Konferenz „Muslimfeindlichkeit – Einfallstor für Rechtspopulisten“ wussten, bekam das Thema des Abends mit den mutmaßlich islamistischen Anschlägen in Wien grausame Aktualität. Der Düsseldorfer Sozialwissenschaftler Alexander Häusler, der auf Einladung von „Kirchheim. Forum 2030“ seinen Vortrag hielt, warnte vor der Verbindung des islamischen Glaubens mit dem islamistischen Terror als einer von mehreren Techniken rechter Populisten.
Die Religionskritik, so Häusler, werde in der „antimuslimischen Populismus-Schraube“ zu einer generalisierten Zuschreibung negativer Attribute auf Menschen muslimischen Glaubens missbraucht. Rassistische Stereotype macht der Wissenschaftler in der Sprache der Populisten aus. Häusler, der seit 30 Jahren zum Rechtsextremismus forscht, erkennt an mehreren Stellen Parallelen zum Antisemitismus der Nationalsozialisten und macht das etwa an Karikaturen fest, die in rechten Netzwerken kursieren. „Ich bitte die Muslime zu entschuldigen, wenn sie sich unappetitliche Karikaturen ansehen müssen“, warnte er zuvor seine Zuhörer, unter denen sich auch Mitglieder der Sultan-Ahmed-Moschee befanden, darunter auch ihr Vorsitzender Yakub Kambir. Auf den Zeichnungen bekommt ein Muslim einen Fußtritt einer nordisch aussehenden Frau, die ihn aus Europa hinaus katapultiert. Auf einer anderen gräbt sich ein arabisch aussehender Krieger aus dem europäischen Boden hervor. „Hier soll eine innere Landnahme Europas durch den Islam dargestellt werden“, erklärt Alexander Häusler. Dieses Motiv und Begriffe vom „Kalifat Deutschland“ greife auch der AfD-Politiker Björn Höcke immer wieder auf, um Anhänger für Proteste zu mobilisieren.
Assoziationen zu den französischen „Charlie-Hebdo-Karikaturen“ werden geweckt. Auch diese sieht Häusler durchaus kritisch. „Obwohl sie aus einem linksaufgeklärten Millieu stammen, haben sie ein niedriges, primitives Niveau, sind wenig hintergründig“, sagt er in der anschließenden Online-Dikussion.
Ein anderes Bild verstört ebenfalls: Der Wissenschaftler zeigt ein Foto von der KZ-Gedenkstätte Mauthausen in Österreich: „Was unseren Vätern die Juden, ist für uns die Moslemfeindschaft“, ist dort an die Außenmauer geschmiert. Diese Meinung bleibe nicht innerhalb rechtsextremer Kreise, sondern finde mittlerweile den Weg in den politischen Diskurs. AfD-Politiker können von „Kopftuchmädchen“, alimentierten Messermännern“ und „sonstigen Taugenichtsen“ reden und berufen sich auf die „Meinungsfreiheit“. Häusler macht klar, dass es den rechten Populisten um eine Unterbindung der Religionsfreiheit geht. Dafür werde der Mythos einer „Gemeinschaft in einer ethnisch homogenen Nation“ beschworen, Zuwanderung bedeute Terrorismus. „Die islamische Kultur und Religion werden zur zentralen Projektionsfläche für rassistische Akteure“, lautet Häuslers Kernthese.
Am Ende steht die Frage, warum viele Menschen empfänglich für islamfeindlichen Populismus sind. „Begegnung ist das A und O“, sagt er. Wenn eine ältere Dame Bedenken gegenüber anderen Kulturen habe oder wenn jemand Angst vor Muslimen habe, mache sie das nicht zu Rassisten oder Menschenfeinden, betont Häusler. Deutschland habe 2015 zwei Tendenzen gezeigt: Es gab diejenigen, die fürchteten, dass ihnen die Flüchtlinge „die Haare vom Kopf fressen“, andere haben geholfen, Flohmärkte organisiert und dabei die Menschen kennengelernt, die ins Land kamen. „Da sind etwa über Aktionen von Vereinen Leute erreicht worden, die sonst vielleicht woanders gelandet wären“, sagt er. Das zeige: Es brauche niedrigschwellige Angebote, um sich kennenzulernen. Die Muslime müssten ihrerseits dafür sorgen, sich mit ihrer Stimme in den gesellschaftlichen Diskurs einzubringen. Forderungen an muslimische Gemeinschaften, radikalen Tendenzen vorzubeugen, stellte er hingegen nicht.
Es gehe in der Gesellschaft darum, keinen Kulturkampf auszufechten, sondern zu akzeptieren, dass „wir eine Einwanderungsgesellschaft“ sind. „Wichtig ist“, betonte Häusler, noch ohne zu wissen, wie aktuell seine Mahnung ist, „die Trennung von Glaubensfragen und politisch motiviertem Terrorismus.“
Info Der Vortrag gehört zu einer Reihe des „Kirchheim. Forum 2030“ und wird am 12. November, 19.30 Uhr, online fortgesetzt mit dem Thema „Wie können wir Demokratie in unserer Schule erfahren und leben?“ Zoom-Link über https://kirchheim.forum2030.de/
Hintergrund: Muslimfeindlichkeit ist – ist im Unterschied zu legitimer Kritik an Glaubensvorstellungen – eine Einstellung, die sich von „vornherein auf die betroffenen Menschen“ und nur indirekt auf Religionsfragen richtet. Unter dem Deckmantel von „Islamkritik“ werden dabei die gläubigen Individuen mittels generalisierter Negativzuschreibung – zum Beispiel, Muslime seien per se integrationsunfähig sowie unfähig zur Demokratie – pauschal abgewertet und ausgeschlossen. In der Gleichung „Muslim = Ausländer+Islamist+Kulturzerstörer+Eroberer“ überschneiden sich muslimfeindliche und rassistische Zuschreibungen. Muslimen werden pauschal negative Wesensmerkmale zugeschrieben (frauenfeindlich, unehrlich, machtbesessen, unzivilisiert etc.) und ihnen expansive Absichten unterstellt („demografische/kulturelle Landnahme“). Mit muslimfeindlichen Kampagnen gewinnen Rechtsextremisten und Rechtspopulisten in Europa an Einfluss. Auch in Deutschland nutzen sie das Thema Muslimfeindlichkeit, um in die gesellschaftliche Mitte vorzudringen.
Die Muslimfeindlichkeit hat seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 sowohl in Deutschland wie auch insgesamt in Europa massiv zugenommen. Dabei werden Ressentiments gegen Muslim*innen in öffentlichen Debatten undifferenziert vermengt mit der Angst vor der realen Gefahr, die von dem terroristischen islamistischen Fundamentalismus ausgeht.
Aus populistischen Kampagnen gegen den Islam und gegen Muslime lässt sich deshalb auch politisch Kapital schlagen. Besonders fur die europäischen Rechtsausenparteien bietet sich das politische Schreckgespenst „Islamisierung“ als Chiffre für einen rassistischen Populismus geradezu an. Denn mit populistischen Kampagnen gegen Muslime lassen sich rassistische Weltanschauungen weit über den rechtsextremen Rand hinaus verbreiten. Hierbei werden völkisch-rassistische Stereotype auf die Ebenen der Kultur und der Religion übertragen: Der „Untergang des Abendlandes“ aufgrund einer angeblichen „kulturellen Landnahme“ durch die Muslime, die in Form einer „schleichenden Islamisierung“ stattfindet, wird dabei öffentlichkeitswirksam beschworen. Ein solcher muslimfeindlicher Populismus gehört mittlerweile zu den zentralen Merkmalen rechter Propaganda und stellt ein länderubergreifendes Kampagnenthema des parteipolitischen Rechtsausenspektrums dar.
Der Sozialwissenschaftler Alexander Häusler wird uns in seinem Vortrag über die Ursachen und Auswirkungen des antimuslimischen Populismus informieren. Gemeinsam werden wir dann überlegen, wie sich dieses Phänomen in Kirchheim u. Teck darstellt und wie wir damit umgehen können.
Häusler arbeitet am Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus/Neonazismus der Fachhochschule Düsseldorf. Er beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Islamfeindlichkeit und Rechtspopulismus und ist Mitherausgeber der wissenschaftlichen Reihe Edition Rechtsextremismus bei Springer VS.
Vorträge/Interviews von/mit Alexander Häusler (YouTube-Videos)
Alexander Häusler auf bpb.de: Muslimfeindlichkeit als rechtsextremes Einfallstor –11.04.2014
Neue Entwicklungen im Rechtsextremismus und Rechtspopulismus – 22.09.2018
Texte von Alexander Häusler