US-Wahl: Droht ein kalter Bürgerkrieg? | Gert Scobel & Torben Lütjen

19.974 Aufrufe  06.11.2020
Torben Lütjen: Amerika im kalten Bürgerkrieg. Wie ein Land seine Mitte verliert, 2020. https://www.zdf.de/wissen/scobel/scob…
Wie kann die extreme Spaltung überwunden werden? Das ist die zentrale Frage und die Herausforderung, die sich dem neuen Team Biden/Harris stellt.

Gert Scobel hat unter anderem in Harvard studiert und kennt das Amerika von heute nicht wieder. Was ist geschehen, dass die Gesellschaft so gespalten ist – und wann?
Die US-amerikanische Gesellschaft ist schon längst vielfältiger und demokratischer geworden: In den 1950er Jahren stellten weiße Christen weit über 90 Prozent der amerikanischen Wählerschaft. Noch 1992, als Bill Clinton zum Präsidenten gewählt wurde, waren 73 Prozent der Wähler weiße Christen.
Bei Obamas Wiederwahl 2012 war ihr Anteil auf 57 Prozent gefallen und bis 2024 dürfte er auf unter 50 Prozent sinken. Trump als Präsident hat demokratischen Normen in Frage gestellt und tut dies weiterhin, wenn es um den Ausgang des Wahlergebnisses geht.
Der Anteil der amerikanischen Bevölkerung, der unzufrieden mit der Demokratie ist, hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten mehr als verdoppelt, von weniger als 25 Prozent im Jahr 2000 auf heute 55 Prozent.
Der Politikwissenschaftler Torben Lütjen hat in Göttingen, Caen und Berkeley studiert. Er forschte u.a. an der Universität Freiburg und Düsseldorf und war 2015 bis 2016 in Vertretung Direktor des Instituts für Demokratieforschung an der Universität Göttingen. Anschließend war er drei Jahre Professor of European Studies and Political Science an der Vanderbilt University in Nashville.
Seit diesem Jahr ist er Professor für Vergleichende Politikwissenschaft an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.

Rechtsextremismus in Deutschland: Neue Entwicklungen in Zeiten von Corona?

 08.10.20 –296 Aufrufe

Die Corona-Pandemie bestimmt unseren Alltag. Alles scheint anders, die »neue Normalität« modelliert das Geschehen. Aktuelle Meinungsumfragen signalisieren eine hohe Zustimmung für die Bundesregierung.

Die Zugewinne der rechtspopulistischen AfD schmelzen dahin. Ist die Gefahr von rechts gebannt?

Diese aktuelle Frage wird in der Diskussionsreihe „Demokratie in Gefahr!“ der Arbeitskammer des Saarlandes und des Kulturforums der Sozialdemokratie im Saarland mit ausgewiesenen Beobachter*innen des politischen Geschehens erörtert.

Corona-Demonstrationen, die von der Polizei aufgelöst werden, Rechtsextreme, die mit Reichsfahnen oder mit der strafbaren Reichskriegsflagge es bis auf die Treppen des Reichstages schaffen und dieWeltöffentlichkeit alarmieren. Impfgegner, die sich mit Judensternen und der Inschrift »ungeimpft« mit den Opfern von damals als Verfolgte gleichmachen wollen. Sind das Einzelne oder sind das Vorboten eines Bürgerkrieges, einer Spaltung der Gesellschaft? Rechtspopulisten, die mit Identitären, Reichsbürgern, gewaltbereiten Hooligans bis hin zu Rechtextremen gemeinsame Sache machen.

Fake News, Filterblasen und Algorithmen spalten die Gesellschaft weiterhin, Schuldzuweisungen an Geflüchtete und an die »Lügenpresse« sind längst »salonfähig«. Ist die AfD nur das Resultat vonWählerverdruss und Unzufriedenheit vonWutbürgern? Steckt dahinter am Ende nicht doch eine Partei, die den Systemwechsel anstrebt, indem sie die Demokratie ablehnt und so ihre existentiellen Rahmenbedingungen – die Verpflichtung auf das Grundgesetz, Anerkennung derMenschenrechte, Gewaltenteilung, Meinungs- und Pressefreiheit – in Frage stellt? Überhaupt, wie reagieren wir als Zivilgesellschaft ob der aktuellen Herausforderungen? Wie demonstrieren wir friedlich, unter demokratischen Vorzeichen, dass wir mehr sind.

Darüber müssen wir diskutieren, denn unsere Demokratie ist in Gefahr! Moderation: Doerte Grabbert (Pressesprecherin der AK)

Podium: – Prof. Dr. Beate Küpper ist Professorin für Soziale Arbeit in Gruppen und Konfliktsituationen an der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach. Gemeinsam mit Andreas Zick und Wilhelm Berghan hat sie die Studie »VerloreneMitte – Feindselige Zustände« über rechtsextreme Einstellungen in Deutschland vorgelegt und ist durch weitere Publikationen zum Thema hervorgetreten. –

Yassin Musharbarsh: Der Politikwissenschaftler und Arabist schrieb u. a. für die taz, Jordan Times und das Nachrichtenmagazin »Der Spiegel«. Aktuell arbeitet der in Berlin lebende Autor für das Investigativressort der Wochenzeitung »Die Zeit«.

Musharbash schrieb ein Sachbuch über »Die neue Al-Quaida« (2006), schrieb einen Thriller »Radikal«, der auch am BerlinerMaxim-Gorki-Theater uraufgeführt wurde. Mit Kollegen machte er sich als Interpret antirassistischer Hate-Poetry-Abende ebenfalls einen Namen.

9. November – Deutungshoheit über Begriffe, Symbolik, Daten und Namen: Es genügt nicht, defensiv zu sein

Quelle: taz, 3.11.20

Meron Mendel

Die Mendel’schen Regeln 6

Es genügt nicht, defensiv zu sein

Ist der 9. 11. ein „Schicksalstag“ der Deutschen? Ist die Tatsache, dass die friedliche Revolution in der DDR an einem 9. 11. im Mauerfall kulminierte, Anlass genug, ihrer zusammen mit den Pogromen 1938 zu gedenken? Geht man nach der hessischen AfD, soll beiden Ereignissen künftig gleichermaßen gedacht werden, soll der 9. 11. zu einem „Gedenk- und Feiertag“ werden. Wie sich das darstellen soll, ob etwa am Vormittag gedacht und am Nachmittag gefeiert werden soll, ließ Frank Grobe, parlamentarischer Geschäftsführer der hessischen AfD, in seiner Rede vor dem Landtag offen. Unter dem Motto „Wo Licht ist, ist leider auch immer Schatten“ trug er stattdessen diverse Ereignisse vor, die sich ebenfalls am 9. 11. zutrugen: etwa das erste NSDAP-Verbot, der Geburtstag von Björn Engholm oder die Gründung der Caritas. Alles unter dem Motto: „Nur ein geeintes Volk, welches über einen symbolkräftigen Gedenk- und Feiertag verfügt, kann sich neuen Herausforderungen leichter stellen.“

Der Kolumnist ist Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main

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Muslimfeindlichkeit – Einfallstor für Rechtspopulisten und Rechtsextreme – online-Veranstaltung am 2.11.20

Am 2.11.2020 fand die Veranstaltung „Muslimfeindlichkeit …“ mit dem Diplom-Sozialwissenschaftler Alexander Häusler statt – nicht wie ursprünglich vorgesehen in der Sultan Ahmet Moschee Kirchheim, sondern online.

Der Vortrag von Alexander Häusler steht im Kontext der „Kirchheimer Erklärung“ vom September 2020.

Die „Kirchheimer Erklärung: Für eine gerechte, solidarische und vielfältige Gesellschaft  – gegen Ausgrenzung, Demokratieverachtung, Hass, Hetze und Rassismus!“ lautet:

Die Würde des Menschen ist unantastbar! Deshalb treten wir ein für eine gerechte, solidarische und vielfältige Gesellschaft und gegen Ausgrenzung, Demokratieverachtung, Hass, Hetze und Rassismus! Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit stellen wir uns entgegen. Gegen die Ausgrenzung von Geflüchteten, Musliminnen und Muslimen, Jüdinnen und Juden stehen wir zusammen. Wir machen uns stark für gleiche politische und soziale Rechte für alle Menschen.“

Ausgrenzung, Demokratieverachtung und Rassismus setzen wir fundierte Information und solidarisches Handeln entgegen – in unseren Bildungseinrichtungen, Betrieben, Kirchen und Moscheen, Kultur-, Sozial- und Gesundheitseinrichtungen, Vereinen und Verwaltungen. Dafür ist das kontinuierliche und nachhaltige Engagement der Bürgerinnen und Bürger notwendig. Das Zusammenwirken von Zivilgesellschaft und kommunaler Politik ist der Schlüssel zum Erfolg.“

An der interessanten Veranstaltung nahmen 16 Personen teil. Thomas Zapp vom „Teckboten“ berichtete am 4.11.20:

„Wie Rechte gegen den Islam hetzen

Vortrag:  Sozialwissenschaftler ­Alexander Häusler erklärt, wie Muslimfeindlichkeit geschürt wird. Die Mahnung zur Besonnenheit ist aktueller denn je. Von Thomas Zapp

Ohne dass es die Teilnehmer der Zoom-Konferenz „Muslimfeindlichkeit – Einfallstor für Rechtspopulisten“ wussten, bekam das Thema des Abends mit den mutmaßlich islamistischen Anschlägen in Wien grausame Aktualität. Der Düsseldorfer Sozialwissenschaftler Alexander Häusler, der auf Einladung von „Kirchheim. Forum 2030“ seinen Vortrag hielt, warnte vor der Verbindung des islamischen Glaubens mit dem islamistischen Terror als einer von mehreren Techniken rechter Populisten.

Die Religionskritik, so Häusler, werde in der „antimuslimischen Populismus-Schraube“ zu einer generalisierten Zuschreibung negativer Attribute auf Menschen muslimischen Glaubens missbraucht. Rassistische Stereo­type macht der Wissenschaftler in der Sprache der Populisten aus. Häusler, der seit 30 Jahren zum Rechtsextremismus forscht, erkennt an mehreren Stellen Parallelen zum Antisemitismus der Nationalsozialisten und macht das etwa an Karikaturen fest, die in rechten Netzwerken kursieren. „Ich bitte die Muslime zu entschuldigen, wenn sie sich unappetitliche Karikaturen ansehen müssen“, warnte er zuvor seine Zuhörer, unter denen sich auch Mitglieder der Sultan-Ahmed-Moschee befanden, darunter auch ihr Vorsitzender Yakub Kambir. Auf den Zeichnungen bekommt ein Muslim einen Fußtritt einer nordisch aussehenden Frau, die ihn aus Europa hinaus katapultiert. Auf einer anderen gräbt sich ein arabisch aussehender Krieger aus dem europäischen Boden hervor. „Hier soll eine innere Landnahme Europas durch den Islam dargestellt werden“, erklärt Alexander Häusler. Dieses Motiv und Begriffe vom „Kalifat Deutschland“ greife auch der AfD-Politiker Björn Höcke immer wieder auf, um Anhänger für Proteste zu mobilisieren.

Assoziationen zu den französischen „Charlie-Hebdo-Karikaturen“ werden geweckt. Auch diese sieht Häusler durchaus kritisch. „Obwohl sie aus einem linksaufgeklärten Millieu stammen, haben sie ein niedriges, primitives Niveau, sind wenig hintergründig“, sagt er in der anschließenden Online-Dikussion.

Ein anderes Bild verstört ebenfalls: Der Wissenschaftler zeigt ein Foto von der KZ-Gedenkstätte Mauthausen in Österreich: „Was unseren Vätern die Juden, ist für uns die Moslemfeindschaft“, ist dort an die Außenmauer geschmiert. Diese Meinung bleibe nicht innerhalb rechtsextremer Kreise, sondern finde mittlerweile den Weg in den politischen Diskurs. AfD-Politiker können von „Kopftuchmädchen“, alimentierten Messermännern“ und „sons­tigen Taugenichtsen“ reden und berufen sich auf die „Meinungsfreiheit“. Häusler macht klar, dass es den rechten Populisten um eine Unterbindung der Religionsfreiheit geht. Dafür werde der Mythos einer „Gemeinschaft in einer ethnisch homogenen Nation“ beschworen, Zuwanderung bedeute Terrorismus. „Die islamische Kultur und Religion werden zur zent­ralen Projektionsfläche für rassis­tische Akteure“, lautet Häuslers Kernthese.

Am Ende steht die Frage, warum viele Menschen empfänglich für islamfeindlichen Populismus sind. „Begegnung ist das A und O“, sagt er. Wenn eine ältere Dame Bedenken gegenüber anderen Kulturen habe oder wenn jemand Angst vor Muslimen habe, mache sie das nicht zu Rassisten oder Menschenfeinden, betont Häusler. Deutschland habe 2015 zwei Tendenzen gezeigt: Es gab diejenigen, die fürchteten, dass ihnen die Flüchtlinge „die Haare vom Kopf fressen“, andere haben geholfen, Flohmärkte organisiert und dabei die Menschen kennengelernt, die ins Land kamen. „Da sind etwa über Aktionen von Vereinen Leute erreicht worden, die sonst vielleicht woanders gelandet wären“, sagt er. Das zeige: Es brauche niedrigschwellige Angebote, um sich kennenzulernen. Die Muslime müssten ihrerseits dafür sorgen, sich mit ihrer Stimme in den gesellschaftlichen Diskurs einzubringen. Forderungen an muslimische Gemeinschaften, radikalen Tendenzen vorzubeugen, stellte er hingegen nicht.

Es gehe in der Gesellschaft darum, keinen Kulturkampf auszufechten, sondern zu akzeptieren, dass „wir eine Einwanderungsgesellschaft“ sind. „Wichtig ist“, betonte Häusler, noch ohne zu wissen, wie aktuell seine Mahnung ist, „die Trennung von Glaubensfragen und politisch motiviertem Terrorismus.“

Info Der Vortrag gehört zu einer Reihe des „Kirchheim. Forum 2030“ und wird am 12. November, 19.30 Uhr, online fortgesetzt mit dem Thema „Wie können wir Demokratie in unserer Schule erfahren und leben?“ Zoom-Link über https://kirchheim.forum2030.de/


Hintergrund: Muslimfeindlichkeit ist – ist im Unterschied zu legitimer Kritik an Glaubensvorstellungen – eine Einstellung, die sich von „vornherein auf die betroffenen Menschen“ und nur indirekt auf Religionsfragen richtet. Unter dem Deckmantel von „Islamkritik“ werden dabei die gläubigen Individuen mittels generalisierter Negativzuschreibung – zum Beispiel, Muslime seien per se integrationsunfähig sowie unfähig zur Demokratie – pauschal abgewertet und ausgeschlossen. In der Gleichung „Muslim = Ausländer+Islamist+Kulturzerstörer+Eroberer“ überschneiden sich muslimfeindliche und rassistische Zuschreibungen. Muslimen werden pauschal negative Wesensmerkmale zugeschrieben (frauenfeindlich, unehrlich, machtbesessen, unzivilisiert etc.) und ihnen expansive Absichten unterstellt („demografische/kulturelle Landnahme“). Mit muslimfeindlichen Kampagnen gewinnen Rechtsextremisten und Rechtspopulisten in Europa an Einfluss. Auch in Deutschland nutzen sie das Thema Muslimfeindlichkeit, um in die gesellschaftliche Mitte vorzudringen.

Die Muslimfeindlichkeit hat seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 sowohl in Deutschland wie auch insgesamt in Europa massiv zugenommen. Dabei werden Ressentiments gegen Muslim*innen in öffentlichen Debatten undifferenziert vermengt mit der Angst vor der realen Gefahr, die von dem terroristischen islamistischen Fundamentalismus ausgeht.

Aus populistischen Kampagnen gegen den Islam und gegen Muslime lässt sich deshalb auch politisch Kapital schlagen. Besonders fur die europäischen Rechtsausenparteien bietet sich das politische Schreckgespenst „Islamisierung“ als Chiffre für einen rassistischen Populismus geradezu an. Denn mit populistischen Kampagnen gegen Muslime lassen sich rassistische Weltanschauungen weit über den rechtsextremen Rand hinaus verbreiten. Hierbei werden völkisch-rassistische Stereotype auf die Ebenen der Kultur und der Religion übertragen: Der „Untergang des Abendlandes“ aufgrund einer angeblichen „kulturellen Landnahme“ durch die Muslime, die in Form einer „schleichenden Islamisierung“ stattfindet, wird dabei öffentlichkeitswirksam beschworen. Ein solcher muslimfeindlicher Populismus gehört mittlerweile zu den zentralen Merkmalen rechter Propaganda und stellt ein länderubergreifendes Kampagnenthema des parteipolitischen Rechtsausenspektrums dar.

Der Sozialwissenschaftler Alexander Häusler wird uns in seinem Vortrag über die Ursachen und Auswirkungen des antimuslimischen Populismus informieren. Gemeinsam werden wir dann überlegen, wie sich dieses Phänomen in Kirchheim u. Teck darstellt und wie wir damit umgehen können.

Häusler arbeitet am Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus/Neonazismus der Fachhochschule Düsseldorf. Er beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Islamfeindlichkeit und Rechtspopulismus und ist Mitherausgeber der wissenschaftlichen Reihe Edition Rechtsextremismus bei Springer VS.

Vorträge/Interviews von/mit Alexander Häusler (YouTube-Videos)

Alexander Häusler auf bpb.de: Muslimfeindlichkeit als rechtsextremes Einfallstor –11.04.2014

Neue Entwicklungen im Rechtsextremismus und Rechtspopulismus – 22.09.2018

Texte von Alexander Häusler