Rechtspopulismus als Reaktion auf erzwungene Nachahmung? Ivan Krastev und Stephan Holmes liegen zwar richtig, übersehen aber das Wichtigste.
Von Eszter Kováts, Katerina Smejkalova | 11.03.2020
„Das ist ein Lernprozess, Sie werden schon auch irgendwann soweit sein.” So berichtete Katalin Novák, ungarische Staatssekretärin für Familienpolitik, in ihrer Rede beim jährlichen Treffen des erzkonservativen World Congress of Families im Mai 2017 in Budapest über die Reaktionen auf den Standpunkt der ungarischen Regierung zur gleichgeschlechtlichen Ehe, den sie in Genf bei den Vereinigten Nationen hatte erklären müssen. „Man beschämt uns nur die ganze Zeit”, fasste sie die Einstellung des UN-Gremiums gegenüber Ungarn zusammen. „Wir sollten aber nicht ständig so belehrt werden.“
Nováks Darstellung könnte die zentrale These von Ivan Krastevs und Stephen Holmes‘ Buch „Das Licht, das erlosch“ nicht besser illustrieren. Die beiden Autoren argumentieren nämlich, dass gerade die sozialpsychologischen Folgen der Rolle des ewigen Nachahmers – also Mittel- und Osteuropa gegenüber dem Westen nach 1989 – den Populisten in den Ländern Auftrieb geben und ihre Wählerschaft mobilisieren.
Krastev und Holmes streiten nicht ab, dass die antiliberalen Herrscher durchaus pragmatische Strategen sind, die im Hintergrund ihre Macht stärken wollen und Ideologie in Form solcher Deutungsangebote dabei lediglich als Deckmantel verwenden. Richtigerweise argumentieren die Autoren aber, dass es kaum etwas bringt, sie nur als korrupte Bösewichte darzustellen, die ihre Bevölkerungen irgendwie „verhexen“.
Man muss einen anderen Blick wählen, um den Zuspruch weiter Teile ihrer Bevölkerung zu verstehen. Und diesen sehen sie „in der Demütigung, höchstens die minderwertige Kopie eines überlegenen Vorbilds zu sein und von ausländischen Gutachtern benotet zu werden, die nur vage interessiert sind und sich selten mit den Realitäten vor Ort vertraut gemacht haben.“
Die beiden Autoren arbeiten dies mit aufschlussreichen Beobachtungen und plausiblen Argumenten heraus. Zentral ist dabei die aus der Psychologie abgeleitete Dynamik, die das Nachahmen eines unerreichbaren Vorbildes zwangsläufig in eine trotzige Abneigung und das Streben nach eigener Würde durch möglichst markante Abgrenzung umschlagen lässt.
Dies fällt umso heftiger aus, da der Westen in den Augen der Ostmitteleuropäer nicht mehr das ist, was man früher durch Nachahmung erreichen wollte: Ökonomische Stabilität und Wohlstand, eine traditionelle europäische Identität oder gar – eng ausgelegt – christliche Werte, scheinen dort heute Mangelware. Stattdessen gelten scheinbar „Säkularismus, Multikulturalismus und Homo-Ehe“ als „Normalität“, als aufzuholendes „Europa“.
Hinzu kommt die ostmitteleuropäische Abwanderung in den Westen: Diese war massiv und führte zu einer demographischen Panik, die ihren Ausdruck in der vehementen Ablehnung von Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen fand. Die demographische Destabilisierung, so Krastev und Holmes, mündet in eine Politik, die den Westen in den Augen junger Menschen unattraktiv machen und sie damit von der Abwanderung abhalten soll. Diese und andere spannende und diskussionswürdige Aussagen machen ihr Buch zu einem wichtigen Baustein, um die gegenwärtige Lage in Ostmitteleuropa zu verstehen. Gleichwohl greifen die Autoren stellenweise zu kurz. Sie legen kaum dar, was sie unter „Liberalismus“ verstehen – dabei ist dies wesentlich, wenn man eine bereits im Buchtitel postulierte Abwendung analysieren will.