Slahi und seine Folterer – das Leben nach Guantamo

Quelle: ARTE Mediakthek

„Slahi und seine Folterer – Das Leben nach Guantanamo

Mohamedou Slahi war 14 Jahre lang im amerikanischen Gefangenenlager Guantanamo Bay interniert. Von 2002 bis 2004 wurde er immer wieder gefoltert. 2016, nach seiner Entlassung aus Guantanamo, beginnt der NDR-Journalist John Goetz, nach Slahis Folterern zu suchen. Seine Investigation führt zu bemerkenswerten Begegnungen und zu überraschenden Enthüllungen.

Mohamedou Slahi war 14 Jahre lang in dem US-amerikanischen Gefangenenlager Guantanamo Bay interniert. Immer wieder wurde er dort von 2002 bis 2004 gefoltert.

Während seiner Gefangenschaft in dem amerikanischen Lager schreibt Slahi ein Tagebuch über seine Erfahrungen, das später zu einem internationalen Bestseller wird. Er beschreibt sein Wachpersonal und die Folterer, die häufig Masken und Fantasienamen tragen, um unerkannt zu bleiben. Ihre Namen und Gesichter blieben über Jahre ein Geheimnis.

2016, nach Slahis Entlassung aus Guantanamo und seiner Rückkehr in seine Heimat Mauretanien, beginnt der investigative NDR Journalist John Goetz, nach Slahis Folterern zu suchen. Ein extremes Vorhaben, denn ihre Identitäten gehören zu den bestgehüteten Geheimnissen des US-amerikanischen Sicherheitsapparates. John Goetz spricht mit Slahi über dessen qualvolle Erinnerungen, um Rückschlüsse auf diejenigen ziehen zu können, die Slahi gefoltert haben.

Die investigative Recherche deckt auf, was tatsächlich in Guantanamo nach den Anschlägen des 11. September passiert ist. Die Dialoge mit den Beteiligten führen zu überraschenden und tief verstörenden Enthüllungen ins dunkle Herz des „Krieges gegen den Terror“: ein kritischer Blick auf die Methoden der USA.“


Quelle: Deutschlandfunk

Guantanamo-Doku „Slahi und seine Folterer“ An der Gewalt zerbrochen

Von Michael Meyer

Das Gefängnis Guantanamo gilt inzwischen als Synonym für die unmenschliche Behandlung von Gefangenen. Einer von ihnen steht im Mittelpunkt einer neuen Dokumentation. Sie zeigt, dass niemand Folter unbeschadet übersteht. Auch die Folterer nicht.

„Dieser Typ, der ist sowas von charismatisch, so wie ein Autoverkäufer. Der könnte einem Eskimo Eis verkaufen. Er ist jedermanns Freund, ein entspannter Typ, mit dem man reden kann. Und er ist sehr manipulativ. Genauso einen hat bin Laden damals gebraucht. Und er hat getan, was bin Laden von ihm verlangte.“

Diese Worte sagt Sydney, die damals die Chefanalystin all jener Gespräche war, die die Ermittler mit Guantanamo-Insassen geführt haben. Mit „dieser Typ“ ist Mohamedou Slahi gemeint, der mittlerweile wohl berühmteste ehemalige Gefangene von Guantanamo.

Slahi wurde beschuldigt, drei von vier Attentätern für die rekrutiert zu haben. Noch heute, so zeigt es die Doku, sind manche der damaligen Ermittler von Slahis Schuld überzeugt, wie etwa Stuart Couch, der Staatsanwalt des Falls:

„Von allen Häftlingen, die wir damals in Guantanamo hatten, war er derjenige, der das meiste Blut an den Händen hatte. Denn er war derjenige, von dem wir glaubten, dass er eine Verbindung zu 9/11 hatte. Und wir hatten in seinem Fall die Todesstrafe vorgesehen.“

Der Film des in Deutschland lebenden Journalisten John Goetz zeigt den heute wieder in Mauretanien lebenden Mohamedou Slahi als einen entspannten Mann, der oft lächelt, Humor hat und sehr einnehmend sein kann. Über seine Zeit im Gefängnis hat er Tagebuch geführt, er veröffentlichte seine Aufzeichnungen schon 2015 als Buch.

Vergebung als Rache

Trotz der im Gefängnis erlittenen Schmerzen und Demütigungen empfindet Slahi keinen Hass: „Als mir klar wurde, dass es erstmal keine Gerechtigkeit geben würde, dachte ich: Was bleibt dann noch? Rache? Aber Rache ist eine heikle Sache. Will ich ihn töten, will ich ihm dieselben Schmerzen zufügen, wie er mir? Das ist lächerlich. Die beste Form von Rache ist für mich Vergebung. Sie gibt mir die Kontrolle zurück. Und ich dachte: Wow, das fühlt sich gut an.“

Der Journalist Goetz hatte schon 2008 für den „Spiegel“ über den Fall geschrieben. Als Slahi entlassen wurde, versprach er ihm, zu helfen, seine Folterer zu finden. Einer von ihnen war bereit, unverpixelt vor der Kamera zu sprechen, nennt jedoch nicht seinen Namen.

Goetz versucht im Film, ihn immer wieder dazu zu bewegen, via Video-Schalte mit Slahi zu sprechen. Der Mann will zunächst nicht, lässt sich am Schluss aber doch darauf ein. Dieses Gespräch, recht kurz und unbeholfen, ist so etwas wie eine vorsichtige Aussöhnung, über 15 Jahre, nachdem Slahi im Lager auf Kuba gefoltert wurde.

„Wie geht es Ihnen, Sir? Ich kann nicht klagen. Und selbst? Mir geht es sehr gut. Danke der Nachfrage. Es ist interessant, ich wollte dieses Telefonat eigentlich auf keinen Fall führen. Weil ich sehr gemischte Gefühle habe, was diese Zeit und das, was passiert ist, angeht. Aber ich möchte eines sagen: Niemand hat es verdient, so behandelt zu werden, wie Sie. Es war nicht richtig. Was wir getan haben, war falsch.“

Eine Erkenntnis des Films: Alle damals beteiligten Personen wirken zerbrochen. Der ehemalige Folterer zittert, wenn er über die Zeit spricht, der Staatsanwalt ist noch immer voller Rachegefühle. Sydney, die Chefanalystin, sagt, dass sie enttäuscht ist von der Welt und der amerikanischen Öffentlichkeit. Man habe immer nur auf den amerikanischen Militärangehörigen herumgehackt.

Die ungelöste Schuldfrage

Doch was ist mit Slahi selbst? Die Frage bleibt, ob er doch drei der 9/11-Attentäter angeworben hat. Reicht ein Abendessen, 1999 in Duisburg, wo Slahi damals lebte, für eine Anklage aus? Ist er also wirklich unschuldig? Regisseur John Goetz glaubt ja: „Auch wenn es stimmt, dass die drei da waren, dass er drei Verschwörer des 11. September gekannt hat. Für einen Abend. Straftatbestand: drei Leute für einen Abend beherbergt zu haben.“

Slahi war in den neunziger Jahren Teil der Mudschaheddin in Afghanistan – er war fasziniert vom radikalen Islam – aber auch das mache ihn noch nicht zum Terrorhelfer, konstatiert Goetz. Am Schluss des Films steht eine Geschichte aus einem Koran-Kommentar mit einer vernichtenden Botschaft: Wer einmal seine eigenen Werte verrät, wird davon nie wieder wegkommen:

„Der Prophet war aufs Land gereist, und er sah dort einige Königstreue, die mehrere Bauern folterten. Und er fragte: Warum foltert ihr diese Bauern? Und der Prophet sagt: Jene, die in diesem Leben foltern, werden im Nachleben selbst gefoltert sein.“


Quelle: Deutschlandfunk

Frühkritik | Beitrag vom 10.06.2021

Neu im Kino: „Der Mauretanier“  – Justizthriller widmet sich Guantanamo

Von Anke Leweke

Der Verdacht gegen Mohamedou Ould Slahi, an den Anschlägen vom 11. September 2001 beteiligt gewesen zu sein, steht im Mittelpunkt des Films „Der Mauretanier“. Jodie Foster spielt die Anwältin Nancy Hollander, die für seine Freilassung kämpft.

Um was geht es?

Der Polit- und Justizthriller „Der Mauretanier“, mit dem die Sommerberlinale am Donnerstagabend eröffnet wurde, basiert auf dem Guantanamo-Tagebuch von Mohamedou Ould Slahi und orientiert sich an den tatsächlichen Geschehnissen. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 wird der Mauretanier von den US-Behörden verhaftet. Ihm wird vorgeworfen, die beteiligten Terroristen unterstützt oder gar angeworben zu haben.

Mehrere Jahre wird er im Militärlager Guantanamo Bay festgehalten, ohne Anklage oder Aussicht auf ein Gerichtsverfahren. Die Anwältin Nancy Hollander nimmt sich dieses Falles an, gespielt von der US-Schauspielerin Jodie Foster. Zunächst geht es ihr weniger darum, Slahis Unschuld zu beweisen, vielmehr strebt sie ein ordentliches Gerichtsverfahren an.

Was ist das Besondere?

In „Der Mauretanier“ geht es weniger um äußere Aktion, vielmehr wird Spannung dadurch erzeugt, dass man den Prozessen hinter dem Gerichtsverfahren folgt. Mit Nancy Hollander und deren Assistentin geht man wiederholt durch die Sicherheitsschleusen in Guantanamo, sitzt mit den beiden in einem gesicherten CIA-Gebäude, denn nur dort dürfen die Anwältinnen die Briefe ihres Mandanten lesen.

Immer wieder nimmt der Film die Perspektive des Inhaftierten ein, der über Jahre in einer winzigen Zelle leben muss, keinen Kontakt zu seiner Familie aufnehmen darf und sich nur heimlich mit einem Mithäftling unterhalten kann. Formularende

Konsequent verzichtet der schottische Regisseur Kevin Macdonald auf Ausflüge ins Private. Weder bei der Anwältin noch bei deren  Kontrahenten, dem Militärstaatsanwalt und Oberstleutnant Stuart Couch (Benedict Cumberbatch), sitzt man mit am Küchentisch oder erfährt von Beziehungsproblemen.  Die Zuschauer kommen diesen Menschen nur über ihre Arbeit näher.

Fazit

Allmählich nimmt der Film an Spannung und Fahrt auf und deckt einen ungeheuerlichen Justizskandal auf. Das Publikum wird mit der Frage konfrontiert, ob Slahi die ihm vorgeworfenen Verbrechen tatsächlich begangen hat. Ein Geständnis hat er abgelegt, doch unter Folter. Ist er nun schuldig oder unschuldig?