Corona – Lernen aus der Krise! Alternativen zur Wirtschaftspolitik

Pressemitteilung vom 26. April 2021

MEMORANDUM 2021

Corona – Lernen aus der Krise! Alternativen zur Wirtschaftspolitik

Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik (AAW e.V.) legt nach ihrer Gründung 1975 heute ihr 45. Gegengutachten zum neoliberal orientierten „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ (SVR) vor.

Die Corona-Krise überlagert und verschärft Trends in der sozialen und ökonomischen Entwicklung, die zu Mehrfachkrisen in Deutschland geführt haben. Kennzeichen sind Massenarbeitslosigkeit, Prekariat und Armut und vor allem eine unzureichende Bekämpfung der Klimakrise.

Nach 16 Jahren Merkel-Regierung legt die AAW eine verheerende Bilanz zu dieser Politik vor: „Die Massenarbeitslosigkeit wurde nicht beseitigt, Prekariat und Armut sind gestiegen und die Verteilung von Einkommen und Vermögen zu Gunsten der Besserverdienenden und Reichen im Land hat weiter zugenommen“, erklärt Prof. Dr. Mechthild Schrooten.

Der sich schon 2019 andeutende Konjunktureinbruch führte 2020 mit knapp 5 Prozent – pandemiebedingt – zum zweitgrößten Wachstumsrückgang nach dem Zweiten Weltkrieg. „Hier ist es für die AAW interessant zu beobachten, dass lediglich in Krisenjahren, wenn also das marktliberale System versagt, der Ruf nach dem Staat bzw. einer keynesianischen deficit-spending Intervention unüberhörbar ist“, so Prof. Dr. Heinz-J. Bontrup.

Jetzt muss der Staat her und muss das Schlimmste verhindern. Eine 2009 von den Neoliberalen in die Verfassung geschriebene mechanistische Schuldenbremse, die die AAW von Anfang an strikt als gesamtwirtschaftlich und verteilungspolitisch schädlich abgelehnt hat, muss wegen „der außergewöhnlichen Notsituation“ (Art. 115 GG) ausgesetzt werden.

Wegbrechende Steuereinnahmen und expandierende Staatsausgaben zwingen zum Einsatz staatlicher Kredite. Die Staatsverschuldung ist von 59,6 Prozent in 2019 auf 71,2 Prozent des nominalen BIP in 2020 angestiegen. Und auch in diesem Jahr ist – wegen weiterer Kreditaufnahmen des Staates – mit einer steigenden Staatsverschuldung zu rechnen. „Die AAW sieht hierin für Deutschland kein Problem. Der Run auf den Kauf von Bundesanleihen durch internationale Investitions- und Pensionsfonds belegt die Akzeptanz der Staatsverschuldung“, sagt Prof. Schrooten.

Die Staatsverschuldung, die durch die Corona-Krise in den Jahren 2021/2022/2023 mit über 420 Mrd. € geplant ist, muss im Kontext mit der expansiven Geldpolitik der Europäischen Zentralbank gesehen werden, Sie trägt zu niedrigen Zinsen bis zu Negativzinsen bei. Diese vielfach kritisierte Politik ist für die AAW unvermeidbar. Auch hier gibt es, wie bei der Staatsverschuldung, keine Alternative zur praktizierten Geldpolitik, will man das gesamtwirtschaftliche System stärken. Bei gut 6,7 Billionen Euro Geldvermögensbeständen in Deutschland, die in den letzten Jahren – auch während der Corona-Krise – kontinuierlich gestiegen und hochkonzentriert verteilt sind, sind nicht die niedrigen Zinsen das Problem, sondern vielmehr die 1997 ausgesetzte Vermögensteuer und völlig unzu-reichende Erbschaftsteuersätze.

Deshalb fordert die AAW die sofortige Wiedereinführung einer Jahr für Jahr zu erhebenden Vermögensteuer und die Erhöhung der Erbschaftsteuersätze. Speziell zur Finanzierung der Tilgung der Corona-Schulden wird die Erhebung einer einmaligen, auf mehrere Jahre verteilten Vermögensabgabe (vgl. den Vorschlag des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW)) gefordert. Diese Vermögensabgabe ist schon aus Solidaritätsgründen zur gerechten Corona-Lastenverteilung unumgänglich.

Das wird aber nicht ausreichen: Es geht nicht nur um eine kurzfristige (konjunkturelle) Pandemiebekämpfung. Nein, es geht um viel mehr! Es geht um eine fundamentale sozial-ökologische Wende in Deutschland. Hierauf weist die AAW nicht erst in ihrem heute vor-gelegten Memorandum hin. Dazu bedarf es eines langfristig angelegten Investitionsprogramms in Höhe von 120 Milliarden Euro jährlich über mindestens 10 Jahre und auch enormer Reformanstrengungen in der Wirtschaft.

Damit verbunden ist ein radikales ökologisches Umsteuern, insbesondere im industriellen Sektor, erforderlich „Die Dekarbonisierung und Digitalisierung der Industrie sind hier wichtige Stichworte“ betont Prof. Bontrup. Deshalb hat die AAW in ihrem heute vorlegten Memorandum ein umfassendes Konzept zur unaufschiebbaren Verkehrswende vorgelegt.

Ein weiterer Schwerpunkt ist eine finanziell gesicherte und armutsfeste Reform der gesetzlichen Rentenversicherung. Im Widerspruch zu den Vorschlägen, die auf die private Kapitalvorsorge setzen, fordern wir den Ausbau des Generationenvertrags auf der Basis einer Umlagefinanzierung, Hierzu sind weitere Finanzierungsanstrengungen notwendig, die ohne kräftige Umverteilungen zugunsten der Beschäftigten nicht umsetzbar sind. „Deshalb nur auf eine weitgehende konkurrenzorientierte Marktlösung in Verbindung mit einer Profitwirtschaft auf der Basis des Investitionsmonopols der Kapitaleigner zu setzen, hält die AAW für naiv und kontraproduktiv“, sagt Prof. Schrooten.

Eine radikale, an den Wurzeln der Fehlentwicklungen ansetzende staatliche Zukunftspolitik konzentriert sich auf: Eingriffe in die heute stark vermachteten Marktstrukturen, die Abschaffung der Schuldenbremse sowie eine gerechte Steuerpolitik, zu der neben der Vermögensteuer, eine Reform der Einkommens- und Unternehmensbesteuerung sowie eine unnachgiebige Bekämpfung von Steuerkriminellen gehört. Nicht zuletzt brauchen wir endlich auch eine Wirtschaftspolitik, die für Vollbeschäftigung sorgt. Ohne eine vollbeschäftigte Wirtschaft werden sich die vielfältigen Verteilungsprobleme und das bestehende Prekariat nicht auflösen lassen, zumal die längst chronisch gewordene Massenarbeitslosigkeit der Gesellschaft hohe fiskalische Kosten aufbürdet.

Für Rückfragen und Interviews stehen telefonisch zur Verfügung:

  • Dr. Mechthild Schrooten, Hochschule Bremen: 0178/59054442
  • Dr. Heinz-J. Bontrup, Universität Siegen: 0160/94470084