Neue Google-Gewerkschaft: Im Kampf gegen das Silicon Valley

Quelle: IPG-Journal

Von Sabrina Keßler | 05.02.2021 – DPA

Gewerkschaften waren lange die Ausnahme in US-Techkonzernen. Nun formieren sich immer mehr Angestellte, um gegen Willkür vorzugehen.

Kurz nach Neujahr ließ Chewy Shaw die Bombe platzen. In einem Meinungsbeitrag für die New York Times verkündete der langjährige Softwareentwickler der Suchmaschinenfirma Google, zusammen mit 400 weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Gewerkschaft „Alphabet Workers Union“ gegründet zu haben.

„Viel zu lange wurden Tausende von uns bei Google, aber auch beim Mutterkonzern Alphabet mit ihren Problemen am Arbeitsplatz im Stich gelassen“, schreibt Shaw, stellvertretender Vorsitzender der neu formierten Arbeitnehmerorganisation, in seinem Kommentar. Google, das sich einst selbst das Credo „Don’t be evil“, zu Deutsch „Sei nicht böse“, verordnet habe, nehme genau jenen Leitspruch nicht mehr ernst.

Die Gründung der Arbeitnehmervertretung stellt eine unerwartete und vor allem historische Zäsur im gewerkschaftsfeindlichen Silicon Valley dar. Gegen die Bemühungen ihrer Kernbelegschaft, sich gewerkschaftlich zu organisieren, wehrten sich Unternehmen wie Microsoft, Apple, Google und Co. schließlich bislang immer erfolgreich.

Während Sicherheitspersonal, Cafeteria-Beschäftigte oder Reinigungskräfte ganz selbstverständlich durch Gewerkschaften vertreten werden, scheiterten Softwareentwickler und Tech-Mitarbeiter immer wieder daran, eigene Arbeitnehmervertretungen zu gründen. Die „Alphabet Workers Union“ ist da also eine absolute Ausnahme.

Shaw und seinen Kolleginnen und Kollegen geht es dabei nicht um mehr Geld, mehr Boni oder kürzere Arbeitszeiten. Sie wollen ihren Arbeitgeber vor allem zu mehr gesellschaftspolitischer Verantwortung bewegen. „Unsere Chefs haben mit repressiven Regierungen auf der ganzen Welt zusammengearbeitet. Sie haben eine Technologie für künstliche Intelligenz entwickelt, die vom Verteidigungsministerium genutzt wird, und profitieren von Werbeeinnahmen rechter Gruppen“, schreibt Shaw. Er hat Google schon häufiger angeprangert, sei allerdings immer abgeprallt. „Jedes Mal, wenn sich Arbeiter organisieren, um Veränderungen zu fordern, machen die Führungskräfte bloß symbolische Versprechen und tun nur das absolute Minimum in der Hoffnung, die Arbeiter zu beschwichtigen.“

Auch bei anderen Silicon-Valley-Giganten drängen die Mitarbeiter immer stärker auf mehr gesellschaftliche Verantwortung. Schon vor einigen Jahren, als bekannt wurde, dass genau jene Unternehmen tausendfach Verträge mit dem US-amerikanischen Verteidigungsministerium, der Einwanderungsbehörde, der Drogenbehörde und dem FBI geschlossen hatten, sprachen sich immer mehr Mitarbeiter gegen ihre Arbeitgeber aus.

Hunderte Angestellte bei Microsoft etwa protestierten 2018 gegen den Vertrag des Tech-Riesen mit der US-Einwanderungsbehörde ICE. Mitarbeiter von Amazon wiederum forderten ihren Chef Jeff Bezos auf, den Verkauf der Gesichtserkennungssoftware von Palantir an die Strafverfolgungsbehörden zu stoppen, schließlich würde genau jene Technologie dazu verwendet, „den am stärksten Ausgegrenzten zu schaden“.

Auch bei anderen Silicon-Valley-Giganten drängen die Mitarbeiter immer stärker auf mehr gesellschaftliche Verantwortung.

Doch nirgendwo waren und sind diese Stimmen lauter als bei Google. Im Jahr 2018 etwa legten mehr als 20 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Arbeit nieder, um dagegen zu protestieren, wie das Unternehmen mit sexueller Belästigung umging. Andere wehrten sich gegen Geschäftsentscheidungen, die sie für unethisch hielten, wie die Bereitstellung von Technologie für Zoll und Grenzschutz oder die Zusammenarbeit mit der chinesischen Regierung, um eine zensierte Suchmaschine zu entwickeln. „Google und Co. haben Leute wie Shaw mit dem Versprechen rekrutiert, dass sie eine andere Art von Unternehmen sind, vor allem transparent und mit der Mission, die Welt zu einem besseren Ort machen“, sagt Margaret O’Mara, Professorin und Silicon-Valley-Historikerin an der University of Washington. „Diese Mitarbeiter fordern sie jetzt auf, genau das zu tun.“

Bislang führten die Proteste allerdings nicht dazu, dass Gewerkschaften im Silicon Valley an Boden gewinnen konnten, im Gegenteil. Seit Jahrzehnten schon stemmen sich Amerikas Tech-Giganten gegen den organisierten Aufstand ihrer Mitarbeiter. „In der Frühphase des Silicon Valley gab es eine starke utopische Strömung“, sagt Historikerin O’Mara. Anders als Firmen an der Ostküste, wo man Arbeitnehmer gegen das Management ausgespielt habe, wollte man keinen Keil zwischen die Chefetage und die Mitarbeiter treiben.

„Das Vorhandensein von Gewerkschaften bedeutete damals, dass etwas mit der Unternehmensführung nicht stimmen konnte.“ Die Firmen taten also möglichst alles, um ihre Mitarbeiter zufriedenzustellen. Um Gewerkschaften abzuwehren, boten die Unternehmen wettbewerbsfähige Löhne, großzügige Aktienpakete und Sozialleistungen an, sogar für jene Arbeiter, die in den Fabriken Chips und Geräte zusammensetzten. So hoffte man, die Mitarbeiter klein und ruhig zu halten.

Auch heute noch ist diese Praxis im Silicon Valley tief verankert. Zusätzlich zu ihren satten Firmenbeteiligungen verdienen Tech-Mitarbeiter im Schnitt 200 000 US-Dollar jährlich – sieben Mal mehr als der Durchschnittsamerikaner. Auch deshalb argumentieren Firmen wie Google und Co., dass es Arbeitnehmervertretungen nicht bräuchte. Löhne und Arbeitsbedingungen seien ja schließlich bereits mehr als fair.

Hinter der Gewerkschaftsfeindlichkeit stünden allerdings ganz andere Gründe, sagt O’Mara. Die Sorge sei groß, dass ausufernde Arbeitnehmerrechte das schnelle Wachstum der Tech-Giganten bremsen könnten. „Gewerkschaftlich organisierte Mitarbeiter geben den Tech-Firmen einfach nicht die Flexibilität, die sie brauchen.“ Die Branche sei schließlich auf rasche Neueinstellungen sowie drastische Kürzungen angewiesen, sollte sich die Produktionsnachfrage ändern.

Schon vor Jahrzehnten argumentierte Robert Noyce, Mitbegründer des Chipherstellers Intel, ganz ähnlich: „Nicht gewerkschaftlich organisiert zu sein ist für die meisten unserer Unternehmen überlebenswichtig.“ Noyce und seine Mitstreiter sahen in der Tech-Hochburg eine Chance, aus dem traditionellen Arbeitsmodell auszubrechen, was den Bau von Autos und den Abbau von Erzen vereinfachte. „Hätten wir die Arbeitsregeln, die gewerkschaftlich organisierte Unternehmen pflegen, würden wir alle in den Ruin getrieben.“

Dass sich Firmen wie Google und Microsoft bislang so erfolgreich gegen die Organisierung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wehren konnten, liegt auch am amerikanischen Arbeitsrecht. Die Gesetzgebung mache es Firmen leicht, allzu kritische Mitarbeiter einfach zu feuern, sagt Nelson Lichtenstein, Professor am Center for the Study of Work, Labor and Democracy an der University of California, Santa Barbara. Angestellten zu kündigen, weil sie sich gewerkschaftlich organisieren, sei zwar auch in den USA illegal.

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Quelle: Rosa-Luxemburg-Stifung

Tech-Worker bei Google gründen ihre erste Gewerkschaft

Die AWU organisiert Festangestellte und prekär Beschäftigte

IAutor: Jörg Meyer

Google-Mitarbeiter*innen beim «Google Walkout» 2018 in New York. Foto: picture alliance/AP Photo | Mae Anderson

Google. Ein milliardenschweres Tech-Unternehmen. Dort zu arbeiten ist ein Traum: Neben der höchsten Bezahlung in der Branche bietet Google seinen Beschäftigten Krankenversicherung, Lebensversicherung, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Fortbildungsmöglichkeiten sowie eine betriebliche Altersvorsorge. Dazu kommen flache Hierarchien, Kritik- und Feedbackrunden, in denen die Chefs direkt konfrontiert werden können. Obstkorb, Happy Hour, Betriebskita, Friseure, Fitness Center und Pool – Ehrensache.

Viele der Errungenschaften sind hierzulande in Gesetzen, Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen geregelt. In den Vereinigten Staaten sind sie die Ausnahme. Und auch gewerkschaftliche Organisierung ist heute in den USA alles andere als die Regel.

Besonders die Tech-Branche zeichnete sich über Jahrzehnte durch Gewerkschaftsfeindlichkeit aus. Unternehmen beschäftigen Detekteien und Beratungsunternehmen, um Organisierung im Keim zu ersticken. Das Union-Busting ist eine eigene Branche mit Milliardenumsätzen jedes Jahr. Aber auch unter den jungen, gut verdienenden, hochqualifizierten und gesuchten Fachkräften selbst galten Gewerkschaften lange als nicht zeitgemäß. Sie waren lieber für sich selbst verantwortlich.

Eine neue Gewerkschaft und was sie will

Beschäftigte bei Google haben nun mit der Alphabet Workers Union (AWU), benannt nach dem Google Mutterkonzern Alphabet, erstmals im Herzen eines der Tech-Giganten eine neue Gewerkschaft gegründet. Die Mitglieder sind überwiegend Sotftwarenentwickler*innen – ein Novum. Das Besondere an der AWU ist auch, dass sie alle Beschäftigten einschließt: sowohl die knapp 120.000 Festangestellten, die direkt für Google arbeiten als auch ungefähr noch einmal so viele Werkvertragskräfte, Leiharbeiter*innen, Beschäftigte von Dienstleistern und Lieferanten.

Auf der Homepage der AWU heißt es: «Wir stellen die Produkte her, reinigen die Büros, und servieren das Essen, was unseren Erfolg ausmacht. Wir verbinden unsere User*innen mit der Welt, entwerfen und bauen unsere Hardware, helfen Unternehmen dabei unsere Angebote zu nutzen und beantworten das Feedback unserer User*innen. Ohne dich und deine Arbeit gibt es kein Alphabet

Der Bezug auf das alte Unternehmensmotto, «Don‘t be evil», (Sei nicht schlecht/böse) ist handlungsleitend für die AWU. Aber statt diesem Motto zu entsprechen habe sich Google dahingehend verändert, dass erst der Profit komme und dann alles andere; die Beschäftigten, die User*innen und der Anspruch, eine «Macht des Guten» in der Welt zu sein. Konkret hat die AWU die Ziele, Schutz für seine Mitglieder zu bieten, für gleiche Bezahlung von Festangestellten und prekären Beschäftigten zu kämpfen und von innen auf das Unternehmen einzuwirken und es immer wieder an seine gesellschaftliche Verantwortung zu erinnern.

Man habe lange darauf vertraut, dass das Management seine Macht im Rahmen der Grundwerte des Konzerns ausübe, heißt es weiter. Doch dem zu vertrauen, sei falsch gewesen. Der Gründung der AWU geht eine lange Geschichte wachsender Unzufriedenheit voraus.

Das Richtige tun – im veränderten Betriebsklima

Google gehört als Tochterunternehmen seit Oktober 2015 zum Konzern Alphabet. Andere Firmen sind dazugekommen, etwa das Videoportal Youtube, das Biotechnologieunternehmen Calico, Waymo, das selbstfahrende Autos entwickelt oder Wing, ein Unternehmen, das Lieferdrohnen entwickelt.

Mit dem Umbau von Google zu Alphabet änderte sich auch das Firmenmotto. Seit kurz nach der Jahrtausendwende lautete dieses «Don’t be evil». Der Entwickler des E-Mail-Dienstes «Gmail», sagte vor Jahren in einem Interview, das Motto sei auch ein Seitenhieb auf die Konkurrenz gewesen, weil diese Unternehmen nach Meinung der damals deutlich unter 50 Google-Beschäftigten ihre User*innen ausnutzten.

Doch die Zeiten haben sich geändert. Das Firmenmotto lautet heute «Do the right thing» (Tue das Richtige). Und damit änderte sich auch das Klima im Unternehmen, die Unzufriedenheit wuchs. Im November 2018 streikten Beschäftigte des Tech-Konzerns. Der Grund war der Umgang des Managements mit Vorwürfen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Der Top-Manager und Erfinder des Betriebssystems Android, Andy Rubin, war im Jahr 2014 wegen sexueller Nötigung gefeuert worden und hatte eine millionenschwere Abfindung erhalten, was zunächst nicht öffentlich bekannt wurde.

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