Verqueres Denken: Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus

Linke Buchtage Berlin mit Andreas Speit: „Verqueres Denken.“ – 213 Aufrufe – Live übertragen am 13.06.2021

Am 13. Juni 2021 treffen sich die Linken Buchtage Berlin zum Gespräch mit Autor*innen und Herausgeber*innen – leider ohne Publikum vor Ort, dafür aber im Live-Stream! Um 16 Uhr mit Andreas Speit und seinem Buch: „Verqueres Denken. Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus“.

Bei den »Querdenker«- oder »Hygiene«-Demonstrationen finden Menschen zusammen, die sonst eher selten gemeinsam auftreten: Umweltschützer*innen und Tierrechtler*innen marschieren neben QAnon-Anhänger*innen, Esoteriker*innen und Impfgegner*innen neben Hooligans, die Reichskriegsflagge flattert neben der Peace-Fahne. Doch dieses Miteinander kommt nicht zufällig zustande.

Andreas Speit zeigt, dass in alternativen Milieus Werte und Vorstellungen kursieren, die alles andere als progressiv oder emanzipatorisch sind. Heute gehören Ökologie, vegane Ernährung und Ganzheitlichkeit zum Mainstream.

Grund genug, sich mit den wenig menschenfreundlichen Aspekten von Waldorfschulen, Yoga und Alternativmedizin, Organisationen wie Anonymous for the Voiceless, Sea Shepherd und Extinction Rebellion oder der Anastasia-Bewegung auseinanderzusetzen.

Mehr zum Buch, den Linken Buchtagen Berlin und den weiteren Veranstaltungen unter www.linkebuchtage.de


Andreas Speit auf dem Blauen Sofa

Vivian Perkovic spricht mit Andreas Speit über sein Buch „Verqueres Denken“.

  • Videolänge:  20 min   Datum:  27.05.2021  – Verfügbarkeit: Video verfügbar bis 27.05.2022

Quelle: Deutschlandfunk Kultur

Andreas Speit: „Verqueres Denken. Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus“

„Alternativ und rechts

Auch sich selbst eher als links verstehende Milieus sind anfällig für rechtes Gedankengut. Der Experte für Rechtsextremismus Andreas Speit analysiert die Gruppen, die nicht zuletzt bei den „Querdenkern“ den Zusammenschluss mit Rechts gefunden haben.

Die „Querdenken“-Bewegung wird heute vom Verfassungsschutz beobachtet. Fast vergessen ist, wie zu Beginn der Anti-Corona-Maßnahmenproteste von einer „bunten Mischung“, von einem „Völkchen aus Regenbogen- und Reichskriegsflaggenträgern, aus Meditierenden im Schneidersitz“ die Rede war. Darin eine ernsthafte Gefahr zu sehen, dagegen verwahrten sich zunächst viele Beobachter.

Linke Selbstverortung und rechtes Gedankengut

Der Journalist und Publizist Andreas Speit analysiert den „Querdenken“-Protest und seine Einzelteile, wobei er sich hier insbesondere auf die als „alternativ“ oder tendenziell eher als „links“ wahrgenommenen Milieus konzentriert. Ihn, als langjährigen Beobachter der rechtsextremen Szene, überrascht die Überraschung vieler, dass eben auch diese Milieus für rechte Gedanken und rechtsextremes Gedankengut offen und anfällig sind und waren. Aber: alternativ und rechts zu sein, ist eben kein Widerspruch, genauso wenig wie eine linke Selbstverortung und rechtes Gedankengut, zum Beispiel Umweltliebe und Verschwörungsglaube. Andreas Speit tritt an, dieses Milieu genauer auszuleuchten.

Freiheitsliebe postulieren und dabei die körperliche Unversehrtheit vieler Mitmenschen ignorieren – für Speit zeigt sich bei den Corona-Protesten eine starke Ich-Bezogenheit, Folge einer „Entkultivierung des Bürgertums“, einer neuen rohen Bürgerlichkeit. Von links kommen, nach rechts gehen, so beschreibt er die Entwicklung der „Querdenken“-Proteste, die auch Demonstranten aus der gut ausgebildeten, gut verdienenden Bio-Boheme mit ihrer Offenheit für Homöopathie, Waldorf-Pädagogik, Esoterik und Anthroposophie anzog.

Eine neue „Lebensreformbewegung“

Speit beschreibt dies als eine dritte Lebensreformbewegung, die eben auch das problematische Erbe des Antimodernismus und Irrationalismus mit ihren Vorläufern Anfang und Mitte des 20. Jahrhunderts, den Lebensreformern der 20er-Jahre und den 68er-Lebensreformern, teilt. Eine Such- und Gegenbewegung zur industriellen Moderne, teilweise auch zu Humanismus und Emanzipation.

Diese verfolgt er dann in einzelnen Kapiteln über Impfkritikerinnen, Alternativmedizin, Waldorfschulen und Anthroposophie bis hin zur Tierrechts- und Veganszene. Dabei schält er ihre Ambivalenzen und Fragwürdigkeiten, aber auch eindeutig rechte Tendenzen heraus.

Holocaust-Vergleiche

Etwas zu kurz kommt die Analyse dessen, was solche Milieus so anfällig machen kann für rechten Verschwörungsglauben. Ein Beispiel: Speit schreibt ausführlich über die Vegan- und Tierrechtsszene, beschränkt sich dabei aber vor allem auf einzelne Aspekte, insbesondere die immer wieder provozierend eingesetzten Holocaust-Vergleiche.

Holocaustverharmlosung also, etwas das nachweislich in die rechtsextreme Richtung geht. Dadurch wird aber das Milieu als Ganzes, die Art des Denkens, aus der die Anschlussfähigkeit und Gefahr droht, nicht so gut beschrieben. An diesem Punkt hätte man sich mehr Zusammendenken der einzelnen Strömungen gewünscht.

So bleibt das Buch konzeptionell etwas inkonsequent: einerseits eine Analyse der „Querdenken“-Bewegung, andererseits eine Untersuchung rechter Tendenzen in alternativen Milieus, beides aber nicht bis zum Ende durchgeführt.

Dennoch: Speits Buch ist wichtig, weil es zeigt, was zu oft aus dem Blick gerät: dass rechtes Denken, rechte Gedanken nicht erst mit der NPD-Mitgliedschaft beginnen, sondern auch in alternativen, sich als links verortenden Milieus auftauchen können.“

Andreas Speit: „Verqueres Denken. Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus“
Ch. Links Verlag, Berlin 2021.  240 Seiten, 18 Euro.


Verqueres Denken – Andreas Speit im Gespräch – 205 Aufrufe – 23.11.2021 – Offener Kanal Magdeburg – 

Über sein Buch „Verqueres Denken – gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus“ sprach der Journalist und Rechtsextremsimus-Experte Andreas Speit in der Stadtbibliothek Magdeburg mit Dr. Maik Hattenhorst.


Quelle: Geschichte der Gegenwart  – Januar 2022

Wie anthroposophisch waren die Grünen?

Bei Corona-Protesten verbünden sich ehemalige Grünen-Wähler*innen mit Anthroposoph*innen, rechten Verschwörungstheoretiker*innen – und sogar mit Nazis. Wie kommt es zu solch bizarr anmutenden Allianzen? Die Frühgeschichte der Grünen mit ihren Bezügen zur Anthroposophie, völkischen Naturschützern und zu Joseph Beuys gibt einigen Aufschluss.

Silke Mende

Silke Mende ist Professorin für Neuere und Neueste Geschichte an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören die gegenwartsnahe Zeitgeschichte und die Geschichte der Demokratie. Sie publizierte 2011 eine Studie zur Gründungsgeschichte der Grünen.