Was lernen wir aus dem Anschlag in Hanau?

Bundestag debattiert nach Hanau über Hass und rechten Terror

Einen Tag nach dem zentralen Gedenkakt in Hanau für die Opfer des rassistisch motivierten Anschlags mit zehn Todesopfern diskutierte der Bundestag über Konsequenzen aus den Morden.


ZEIT online Kommentar von Christian Bangel – 22. Februar 2020 (Auszüge)

„Rassismus: Bedingungsloses Zuhören

Was lernen wir aus dem Anschlag von Hanau? Es wäre gut, würden wir verinnerlichen, dass die Betroffenen den Rassismus besser kennen als wir, die Privilegierten.

Es gibt Menschen in unserer Mitte, die sind nicht nur betroffen und schockiert vom Hanauer TerroranschlagDie haben kalte Angst. Menschen, die sich fragen, wo es für sie noch sichere Orte gibt. … .

Man kann als Weißer ohne Migrationshintergrund, als jemand also, der Rassismus nie erlebt, nicht erfühlen, wie es ist, von solch einem Verbrechen zu erfahren. Wir sind nicht alle die Opfer dieses Anschlages, so wohlmeinend dieser Satz auch ist. Wir sind die, die eine Atmosphäre haben entstehen lassen, in der sich Täter wie der von Hanau ermutigt fühlen konnte. … .

All jene, die jetzt vom Abgrund dieses gewaltbereiten Rassismus überrascht sind, die haben, man muss das so sagen, in den letzten Jahren und Jahrzehnten einfach nicht zugehört. “ …

Wir sind längst mittendrin in einer rechtsextremen Terrorwelle, die viele so lange nicht für möglich gehalten haben und vor der andere, besonders von Rassismus Betroffene, ebenso lange warnten. ….

Es ist das zurückgekehrte Reden von der Ungleichwertigkeit ganzer Menschengruppen, von Nafris, vom Asyltourismus, von Kulturkreisen, von Umvolkung und von Invasion. Wer glaubt, dass so etwas keine Folgen hat, der lügt entweder oder er hängt in an Urteilsschwäche grenzender Naivität immer noch der Illusion an, dass Deutschland, das Land der „Aufarbeitungsweltmeister„, für immer geheilt sei von dem rassistischen Hass, der lange vor dem zweiten Weltkrieg in seiner Mitte entstand.

Bewältigungsroutine

Doch kurz nach dem Terroranschlag von Hanau hat die Bewältigungsroutine eingesetzt … . Doch es gibt inzwischen leider einige Erfahrungswerte dazu, welche konkreten Folgen diese sicher ernst gemeinte Erschütterung vieler Politiker direkt nach einer rassistischen Terrortat hat. Wie groß war die Anteilnahme für die Opfer des NSU, wie tief war das Mitgefühl nach dem Horror von Halle? Und doch trat jedes Mal bald darauf wieder dieser deutsche Normalzustand ein, der den Betroffenen das Gefühl vermitteln musste, dass sich in Wirklichkeit nichts, aber auch gar nichts verändert hatte.

Als längst sichtbar war, dass die AfD eine seit 1945 nicht dagewesene rechtsradikale Bedrohung ist, konnte sich in Deutschland eine Erzählung ausbreiten, nach der dieses Land von den Linken bedroht sei. In einer Zeit, in der sich rechte Terroranschläge und rechte Wahlergebnisse abwechseln, begehrt kaum jemand in der CDU auf, wenn konkurrierende Anwärter um den Chefposten gedenken, die Wahlerfolge der AfD mit einem Rechtsruck der Union zu beantworten. Oder wenn ein Mann wie Friedrich Merz, der Kanzler werden will, nichts, aber auch gar nichts Substanzielles zum Thema Rassismus zu sagen hat, aber meint, ein Burkaverbot vorschlagen und damit das rassistische Stereotyp von der rückständigen, vordemokratischen Muslima füttern zu müssen.

„Nazikeule“

Dass Menschen mit Migrationshintergrund in dieser Gesellschaft immer wieder kleinen und großen rassistischen Übergriffen ausgesetzt sind, dass sie permanent Anpassungsbeweise erbringen müssen, ohne dass die Mehrheitsgesellschaft ihren Schutz zu einem großen Anliegen macht, ist bei uns hingegen kein Skandal. Im Gegenteil: Wer das thematisiert, zieht Wut auf sich, weil er damit angeblich Opfernarrative fördert, die Nazikeule schwingt, spaltet – oder einfach die Illusion untergräbt, dass jeder in diesem Land von Geburt an die gleiche Chance hat. Was soll eigentlich noch passieren, bis wir, die Weißen ohne Zuwanderungsgeschichte, die Bedrohung, die der Rassismus darstellt, aus Sicht der Betroffenen betrachten?

Uns kann niemand rauswerfen

Man kann als Weißer und Weiße sehr gut leben in diesem Land. Man kann in Neuköllner Shisha-Bars sitzen, einfach weil man Lust darauf hat. Man kann sich aber auch mit dem einfältigsten AfD-Wähler unterhalten und bei Bier und Korn versuchen, das Bürgerliche in ihm zu entdecken. Wir haben überall Zugang. Dass den andere Menschen ihn nicht haben, dass deren Wege auch geprägt sind von der Frage: Wo begegnet mir mehr Rassismus und wo weniger? Das interessiert viele von uns durchaus auch mal. Allerdings eher selten.

Die Empathie, die es in diesem Land für die Ängste und Sorgen von weißen Bürgern durchaus gibt, hat nie dauerhaft die miteingeschlossen, die tagtäglich mit dem Rassismus kämpfen müssen. Auch wir, die linksliberalen weißen Wohlmeinenden, belassen es meist, wenn überhaupt, beim antirassistischen Bekenntnis – ohne den Gedanken zu Ende zu führen, was es bedeutet, dass wir davon nicht betroffen sind.   

Wir können nicht darüber entscheiden, was Rassismus ist

Vielleicht, weil dieser Gedanke, der seit Jahrzehnten von Betroffenen formuliert wird, eine Verhaltensänderung erzwingen würde. Er bedeutet nämlich, dass wir Weißen, so aufgeklärt wir uns auch fühlen mögen, nie Entscheider in der Frage sein können, ob ein Verhalten rassistisch ist. Diese Erkenntnis würde wiederum dazu führen, dass wir es ernstnähmen, wenn Menschen sich vom Rassismus bedroht fühlen. Sie würde uns einfühlsamer und wachsamer machen, auch wenn es fordernd und manchmal kompliziert wäre.

Wachsamkeit und Einfühlungsvermögen würden bedeuten, dass keine Talkrunde mehr ohne Menschen mit Migrationshintergrund auskommen würde, weil ihre Perspektiven auf Arbeitsmarkt, Rechtsradikalismus, Familienpolitik, einfach auf jedes Thema wichtiger wären als die Position einer rassistischen Partei.

Es würde auch bedeuten, dass die angebliche Volkspartei CDU, lange bevor sie versucht, AfD-Wähler „zurückzuholen“, ernsthafte Versuche unternehmen würde, Menschen aus religiösen und ethnischen Minderheiten auf ihre Seite ziehen. Denn was sonst sollte eine Volkspartei bitte tun …?

Es würde auch bedeuten, dass Rassismus nicht mehr als etwas gilt, das nur in Bomberjacke auftritt, sondern, dass er in jeder und jedem von uns auf die eine oder andere Weise wirkt.

Wir werden immer dazugehören

Machen wir uns nichts vor: Der Rassismus ist seit 1945 nie verschwunden aus Deutschland. Im Gegenteil, in den vergangenen Jahren kamen vernebelnde rechte Erzählungen hinzu, die die Debatte über ihn noch erschwerten: die von der Political Correctness, von den Meinungskorridoren, dem angeblichen Rassismus gegen Weiße.

Wir, die weißen Deutschen ohne Migrationsgeschichte, haben, egal von wo wir kommen, immer das Privileg eines unangreifbaren Dazugehörens…

Selbst der rassistischste AfD-Wähler wird nie die Drohung erfahren, aus diesem Land ausgeschlossen zu werden. Immer werden Politiker der sogenannten Mitte sagen, man muss auch seine Sorgen anhören. Diese Sicherheit des Dazugehörens fehlt Deutschen nichtweißer Hautfarbe. Und wenn wir uns mit unseren Werten ernstnehmen, wenn wir also wollen, dass die Schönheit des ersten Satzes unserer Verfassung zugleich auch eine Wahrheit ist, dann schulden wir es ihnen, diese Sicherheit zu schaffen. Jetzt. Bedingungslos. Für immer.“


AfD: Skrupellos bis es kracht | extra 3 | NDR (28.2.20): „Eine Woche ist nun nach den schrecklichen Angriffen in Hanau vergangen. Und immer mehr kristallisiert sich heraus, wer das eigentliche Opfer ist. Das eigentliche Opfer ist die AfD. Wie immer.