Wir dürfen die Corona-Schulden nicht zurückzahlen

Quelle: Handelsblatt

11.05.2020

GASTKOMMENTAR Von: Jens Südekum

Wir dürfen die Corona-Schulden nicht zurückzahlen

Statt den Gürtel bei den Steuerzahlen enger zuschnallen, braucht es Investitionen. Die Schulden sollten langfristig finanziert und überwälzt werden.

Um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie fürs Erste abzufedern, haben Regierungen rund um den Globus unvorstellbare Summen mobilisiert. Allein in Deutschland wurde ein Nachtragshaushalt über 156 Milliarden Euro geschnürt. Staatliche Kreditgarantien im Umfang von über einer Billion kommen hinzu.

Doch damit ist es nicht getan. Es werden weitere Konjunkturprogramme nötig sein, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Die deutsche Schuldenquote könnte von derzeit knapp 60 Prozent in Richtung 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) wandern. Für die Industriestaaten insgesamt rechnet der Internationale Währungsfonds mit einem Anstieg auf 120 Prozent.

Angesichts solcher Zahlen macht eine bange Frage die Runde: Können wir uns das eigentlich leisten? Die ehrliche Antwort darauf lautet „ja“. Die Rettungspakete sind notwendig, denn eine Implosion der Wirtschaft, die es ansonsten gegeben hätte, wäre ökonomisch wie politisch deutlich schlimmer. Die resultierenden Staatsschulden müssen wir einfach hinnehmen.

Zu deren Finanzierung sind später weder Vermögensabgaben, noch andere Steuererhöhungen oder gar Kürzungen von Sozialausgaben notwendig. Austerität wäre, zumal wenn zu früh verabreicht, eine geradezu katastrophale Medizin.

Durch Corona wird die Weltwirtschaft auf Jahre hinweg noch tiefer in einem deflationären Labyrinth feststecken als es schon vor der Krise der Fall war. Hier den Gürtel enger zu schnallen, wie jetzt schon einige fordern, wäre genau die falsche Politik. Erforderlich ist das Gegenteil – Steuersenkungen und massive öffentliche Investitionen.

Dabei müssen wir einen pragmatischen Umgang mit den Corona-Schulden finden. Sie sollten möglichst langfristig finanziert und durch permanentes Überwälzen – also die Ausgabe neuer Anleihen zur Bedienung der alten – immer weiter in die Zukunft geschoben werden. So können Industriestaaten aus dem Schuldenproblem der Corona-Krise einfach herauswachsen. Absolut betrachtet bleiben die Schulden zwar immer da, aber relativ zum BIP sinkt die Quote wieder ab.

Die kritische Größe in diesem Überwälzungsspiel ist die Entwicklung der Zinsen. Doch hier haben wir Glück im Unglück. Die Corona-Pandemie trifft die Weltwirtschaft in einer ausgeprägten Niedrigzinsphase. Und die Krise wird diesen Trend voraussichtlich noch verschärfen.

Derzeit fließen Rekordsummen aus Entwicklungs- und Schwellenländern ab. Das Kapital wandert in die sicheren Häfen, gerne nach Deutschland. Es trifft dort auf eine geringe Kapitalnachfrage aus dem Unternehmenssektor. Denn Investitionen stehen, nicht zuletzt wegen Corona, weit unten auf der Tagesordnung. Die Folge: noch niedrigere Zinsen.

Wir leihen uns das Geld quasi selber

Einem weiteren Akteur kommt eine entscheidende Rolle zu: Den Zentralbanken. Wenn sie als Käufer von Staatsanleihen zur Verfügung stehen, sind niedrige Zinsen garantiert. Und was immer die öffentlichen Haushalte dorthin abführen, fließt als Zentralbankgewinn wieder zurück. Wir leihen uns das Geld quasi selber. Solide Staaten mit einer soliden Währung können das.

Andere Länder – die USA, Kanada, Großbritannien, Japan – haben das längst begriffen. Sie finanzieren die Corona-Schulden über Geldschöpfung, offiziell und unbegrenzt, ähnlich wie nach der Finanzkrise 2008. Das hat zu apodiktischen Warnungen vor Inflation geführt. Allein, gekommen ist dieses Horrorszenario nie. Denn die strukturellen Gründe für niedrige Zinsen – hohe Sparneigung bei niedriger Investitionsdynamik – verschwinden ja nicht einfach. Auch nicht durch Corona.

Prognosen sehen die „natürlichen“ Realzinsen noch für viele Jahrzehnte im negativen Territorium. Natürlich bleibt das eine Wette auf die Zukunft. Aber eine, auf die es sich angesichts der viel schlechteren Alternativen lohnt einzugehen.

Europa tut sich schwer, diese Realitäten zu akzeptieren. Es hat sich strenge Regeln gegeben, die einen rationalen Umgang mit den Corona-Schulden erheblich erschweren. Die EZB kann deren Finanzierung nicht einfach sicherstellen wie es andere Zentralbanken tun. Stattdessen befindet sie sich in einem permanenten juristischen Tauziehen mit dem Bundesverfassungsgericht, das nur durch eine Änderung des EZB-Mandats beendet werden könnte. Es wäre Zeit.

Auch in der Fiskalpolitik halten sich, zumal in Deutschland, hartnäckige Mythen wonach Staatsschulden kommende Generationen belasten (obwohl die Staatsanleihen als Vermögenstitel doch auch vererbt werden). Solche Missverständnisse waren schon vor der Krise ärgerlich. Jetzt, wo es ans Eingemachte geht, dürfen sie nicht mehr die Politik leiten. Corona droht die junge Generation tatsächlich schwer zu treffen. Aber Staatsschulden sind nicht der Grund. Eher die geschlossenen Schulen und Kitas.

Jens Südekum

Der Autor ist Professor für Internationale Volkswirtschaftslehre an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

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