Kapitalismus nach der Pandemie

Quelle: Blätter für deutsche und internationale Politik, Ausgabe 12/2020 h

von Mariana Mazzucato

Mariana Mazzucato ist Professorin im Bereich Science Policy Research an der University of Sussex. The New Republic nannte sie eine der drei wohl wichtigsten VordenkerInnen für Innovation der Welt.

(leicht gekürzter Text. Kürzung H.D.)

Nach der Finanzkrise von 2008 schossen die Staaten weltweit mehr als drei Billionen US-Dollar in das Finanzsystem ein. Auf diese Weise wollten sie die Kreditmärkte wieder flüssig und die Weltwirtschaft wieder funktionsfähig machen. Doch statt der Realwirtschaft zu helfen – also den Sektoren, in denen tatsächlich Güter erzeugt und Dienstleistungen bereitgestellt werden –, landete der Löwenanteil der Gelder in der Finanzindustrie. Die Staaten retteten die großen Investmentbanken, die unmittelbar zu der Krise beigetragen hatten, und als die Wirtschaft wieder in Gang kam, ernteten ebendiese Unternehmen die Früchte des Aufschwungs. Die Steuerzahler hingegen fanden sich in einer Weltwirtschaft wieder, die genauso kaputt, ungerecht und umweltschädlich war wie zuvor. „Eine ordentliche Krise sollte man“, einer beliebten Maxime der Politik zufolge, „keinesfalls ungenutzt verstreichen lassen“. Doch die Chance wurde vertan.

Angesichts der Corona-Pandemie und der Lockdowns, unter deren wirtschaftlichen und sozialen Folgen sie wanken, sollten die Staaten den gleichen Fehler nicht noch einmal machen. In den ersten Monaten nach dem Auftreten des Virus griffen die Regierungen ein, um den damit einhergehenden Krisen zu begegnen: Sie beschlossen Maßnahmen zum Schutz von Wirtschaft und Arbeitsplätzen, Regeln, um die Ausbreitung der Krankheit zu verlangsamen, und investierten in Forschung und Entwicklung von Behandlungsmethoden und Impfstoffen. Diese Rettungsmaßnahmen sind notwendig. Es kann aber nicht sein Bewenden damit haben, dass immer dann, wenn Märkte versagen oder Krisen ausbrechen, der Staat als finanzieller Nothelfer der letzten Instanz in Erscheinung tritt. Vielmehr sollte er Märkte aktiv derart gestalten, dass diese dauerhaft Ergebnisse liefern, die allen zugute kommen.

In der Krise von 2008 hat die Welt diese Gelegenheit verpasst, aber heute bietet sich ihr eine zweite Chance. Wenn die Staaten sich aus der gegenwärtigen Krise herausarbeiten, können sie mehr tun, als das Wirtschaftswachstum zu stimulieren. Sie können dieses Wachstum dahingehend steuern, dass eine bessere Volkswirtschaft entsteht. Statt Unternehmen bedingungslos unter die Arme zu greifen, können sie ihre Rettungsmaßnahmen so konditionieren, dass diese dem öffentlichen Interesse und der Lösung gesellschaftlicher Probleme dienen. Sie können verlangen, dass mit öffentlicher Unterstützung entwickelte Impfstoffe allgemein zugänglich gemacht werden. Und sie können sich weigern, Unternehmen zu retten, die ihre CO2-Emissionen nicht drosseln oder fortfahren, ihre Gewinne in Steueroasen zu verstecken.

Zu lange schon sozialisieren die Staaten Risiken und Verluste, während Gewinne privatisiert werden: Die Öffentlichkeit zahlte den Preis, wenn es galt, Schäden zu beheben, aber das Ergebnis kam überwiegend Privatunternehmen und deren Anteilseignern zugute.

…. Die Coronakrise eröffnet die Chance, dieses Ungleichgewicht …zu korrigieren: Mit Staatsmitteln gerettete Unternehmen sollten verpflichtet werden, das öffentliche Interesse stärker zu berücksichtigen, und die Steuerzahler sollten an den Erfolgen teilhaben, die herkömmlicher Weise allein der Privatwirtschaft zugutekommen. …

Woran das System krankt

Fortgeschrittene Volkswirtschaften litten schon lange vor Covid-19 unter erheblichen strukturellen Mängeln:

  • Das Finanzwesen etwa …finanziert sich selbst und untergräbt so die Grundlagen langfristigen Wachstums. Der Löwenanteil der dort erzielten Profite fließt in Banken, Versicherungsgesellschaften und Immobilien zurück, statt für produktive Zwecke, etwa Infrastruktur oder Innovationen, genutzt zu werden. …
  • Ein weiteres Problem erwächst daraus, dass viele große Unternehmen langfristige Investitionen im Interesse kurzfristiger Erfolge vernachlässigen. ….
  • Zu den schwerwiegenden Fehlentwicklungen zählt des weiteren die Aushöhlung der staatlichen Leistungsfähigkeit. …. Wenn der Staat nicht als Wertschöpfungspartner, sondern bloß als Reparaturbetrieb aufgefasst wird, werden öffentlich finanzierte Einrichtungen ausgehungert. …

In der Summe haben diese Fehlleistungen zu Mega-Krisen geführt. Das gilt für die Wirtschaft wie auch für den ganzen Planeten.

  • Die Finanzkrise wurde weitgehend durch exzessive Kreditströme in den Immobilien- und den Finanzsektor verursacht, die zu Wertpapierblasen und zur Überschuldung privater Haushalte führten, statt die Realwirtschaft und nachhaltiges Wachstum zu fördern.
  • Der Mangel an langfristigen Investitionen in grüne Energie hat unterdessen die Erderwärmung so weit beschleunigt, dass der Weltklimarat Alarm schlug …

Das Risiko tragen die Steuerzahler

Die Coronakrise hat all diese Probleme nur noch verschärft. Im Augenblick konzentriert die Welt sich darauf, die aktuelle Krise des Gesundheitswesens zu überleben, nicht aber auf die Verhütung der kommenden Klimakrise oder der nächsten Finanzkrise. Die Lockdowns zerstören die Existenzgrundlagen von Menschen, die in der unsicheren Gig Economy arbeiten, sich mit Minijobs durchschlagen, darunter viele Künstler, Freiberufler und Scheinselbstständige. …

Die Pandemie offenbarte auch das Ausmaß des Ungleichgewichts, das sich im Verhältnis zwischen öffentlichem und privatem Sektor herausgebildet hat. In den USA gibt die Nationale Gesundheitsbehörde (NIH) jährlich an die 40 Mrd. Dollar für medizinische Forschung aus. Sie zählt zu den wichtigsten Geldgebern der Forschung und Entwicklung in Sachen Covid-19, von Behandlungsmethoden und Impfstoffen. Die Pharmakonzerne sind jedoch nicht verpflichtet, die so geförderten Produkte für die Bürgerinnen und Bürger, deren Steuergelder sie in erster Linie finanzieren, erschwinglich zu machen. Die in Kalifornien beheimatete Firma Gilead erhielt für die Entwicklung ihres Covid-19-Mittels Remdesivir Bundeszuschüsse in Höhe von 70,5 Mio. US-Dollar. Im vergangenen Juni kündigte das Unternehmen an, was Amerikaner für eine Anwendung des Mittels zahlen sollen: 3120 Dollar!

Das ist typisch für Big Pharma. Eine Studie über die 210 von der U.S. Food and Drug Administration zwischen 2010 und 2016 anerkannten Medikamente ergab, dass „jedes einzelne von der NIH finanziell unterstützt“ worden war. Trotzdem haben Medikamente in den USA die weltweit höchsten Preise. Auch durch Missbrauch des Patentverfahrens verstoßen Pharmafirmen gegen das öffentliche Interesse. —

Ebenso schlechte „Deals“ wurden mit Big Tech abgeschlossen. Silicon Valley ist in vieler Hinsicht ein Produkt der staatlichen Investitionen Amerikas in die geschäftlich riskante Entwicklung revolutionärer Technologien. Die Forschungsmittel für Googles Suchalgorithmus stammten von der National Science Foundation, vom Staat also. Im Fall der GPS-Technologie, von der beispielsweise Uber lebt, war die U.S. Navy der Geldgeber. Die zum Pentagon gehörige Defense Advanced Research Projects Agency schließlich unterstützte die Entwicklung des Internet, der Touchscreen-Technologie, von Siri und jeder anderen Schlüsselkomponente des iPhones.

Das Risiko dieser staatlichen Investitionen trugen die Steuerzahler, aber die meisten der Hightech-Unternehmen, die davon profitierten, bleiben einen angemessenen Beitrag zum Steueraufkommen schuldig. Obendrein scheuen sie sich nicht, Regulierungsmaßnahmen zu bekämpfen, die die Privatsphäre der Menschen schützen sollen. …

Wir müssen den Wertbegriff überdenken

…Um den Status quo zu verändern, bedarf es einer neuen Antwort auf die Frage „Was ist Wert?“. Dabei kommt es entscheidend darauf an, zu erkennen, wie viel und welches Maß an Kreativität eine Vielzahl unterschiedlicher Akteure überall in der Wirtschaft in diese investieren – nicht nur Unternehmen, sondern auch Beschäftigte und öffentliche Einrichtungen. Allzu lange ist man wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass es der Privatsektor sei, der vor allem für Innovation und Wertschöpfung sorgt – und deshalb auch die resultierenden Profite für sich beanspruchen könne.

Doch das stimmt nicht. Medikamente, Internet, Nanotechnologie, Atomkraft, erneuerbare Energien: Sie alle wurden mit enormen öffentlichen Investitionen und Risikoübernahme auf dem Rücken zahlloser Arbeiterinnen und Arbeiter entwickelt – und Dank öffentlicher Infrastruktur und Institutionen. Den gewaltigen Beitrag dieser kollektiven Anstrengung anzuerkennen würde es erleichtern, alle Leistungen angemessen zu vergüten und Innovationsgewinne gerechter zu verteilen. Der Weg zu einer symbiotischeren Partnerschaft zwischen öffentlichen und privaten Institutionen beginnt mit der Anerkennung der Tatsache, dass Wertschöpfung eine Kollektivleistung ist.

Abgesehen von der Notwendigkeit, den Wert-Begriff zu überdenken, müssen die Gesellschaften den langfristigen Stakeholder-Interessen Vorrang vor den kurzfristigen Interessen von Shareholdern, also Aktionären, einräumen. In der gegenwärtigen Krise sollte das bedeuten, eine Art „Volksimpfstoff“ gegen Sars-Cov-2 zu entwickeln, der allen Menschen weltweit zugänglich ist. Die Entwicklung neuer Medikamente wäre so zu regulieren, dass die Zusammenarbeit und Solidarität zwischen Ländern und Völkern gefördert wird – sowohl während der Forschungs- und Entwicklungsphase als auch wenn die Zeit reif ist, den Impfstoff auszuteilen. Patente sollten zwischen Universitäten, staatlichen Forschungseinrichtungen und Privatunternehmen derart gepoolt werden, dass Erkenntnisse, Daten und Technologie frei rund um den Globus fließen können. Ohne all dies besteht die Gefahr, dass ein Monopol den Corona-Impfstoff produziert und teuer verkauft – als eine Art Luxusartikel, den sich nur die reichsten Länder und Individuen leisten können.

Die Rettungsaktionen greifen zu kurz

Allgemeiner gesehen sollten die Staaten öffentliche Investitionen …als Versuche handhaben, den Markt im Sinne des Gemeinwohls zu gestalten, Staatshilfen also an Bedingungen knüpfen.

Während der Pandemie sollten diese Auflagen vor allem drei Zielen dienen:

  • Erstens der Erhaltung von Arbeitsplätzen, um die Produktivität der Wirtschaft und die Einkommenssicherheit der Haushalte zu schützen;
  • zweitens der Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch die Gewährleistung von Sicherheit, anständigen Löhnen, hinreichender Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und mehr Mitsprache bei der Entscheidungsfindung;
  • drittens sollten sie Fortschritte bei der Lösung langfristiger Aufgaben anstreben, etwa bei der Reduzierung der CO2-Emissionen und bei der Nutzbarmachung der Digitalisierung im öffentlichen Dienstleistungssektor, vom Gesundheitswesen bis zu Personen- und Güterverkehr.

Die Reaktion der Vereinigten Staaten auf Sars-Cov-2 – hauptsächlich das im März vom Kongress beschlossene CARES-Gesetz (Coronavirus Aid, Relief, and Economic Security) – läuft unter jedem der genannten Gesichtspunkte auf das genaue Gegenteil hinaus. Statt wie in den meisten fortgeschrittenen Ländern wirksame Lohnfortzahlungsmaßnahmen zu ergreifen, bot CARES lediglich befristete Arbeitslosenhilfen. Diese Entscheidung bewirkte die Entlassung von mehr als dreißig Millionen Beschäftigten und bescherte den USA so eine der höchsten Pandemie-bedingten Arbeitslosenraten in der entwickelten Welt. Dass der Staat großen Konzernen Billionen Dollar sowohl an direkter als auch an indirekter Unterstützung zukommen ließ, ohne sie mit sinnvollen Auflagen zu verknüpfen, verleitete viele Unternehmen zu Entscheidungen, die zur Ausbreitung des Virus beitragen konnten, etwa indem sie ihren Beschäftigten Lohnfortzahlung im Krankheitsfall verweigerten oder die Sicherheit am Arbeitsplatz vernachlässigten. …

Der Kongress hat bislang über drei Billionen US-Dollar für die Bekämpfung der Pandemie bewilligt, und die Fed, die US-Notenbank, pumpte weitere vier Billionen in die Wirtschaft. Zusammengerechnet handelt es sich da um über 30 Prozent des US-BIP. Doch diese ungeheuren Aufwendungen haben buchstäblich nichts zur Auseinandersetzung mit dringlichen Langzeitproblemen beigetragen, vom Klimawandel bis zur sozialen Ungerechtigkeit. Als Senatorin Elizabeth Warren, Demokratin aus Massachusetts, vorschlug, die Rettungsmaßnahmen mit Auflagen zu verknüpfen – um höhere Löhne und mehr Entscheidungsmacht für Lohnabhängige einerseits, Einschränkungen bei Dividenden, Aktienrückkäufen und Manager-Bonussen andererseits zu erreichen – konnte sie dafür keine Mehrheit gewinnen. …

Andere Länder demonstrieren, wie eine angemessene Reaktion auf die Krise aussehen sollte.

  • Als Dänemark zu Beginn der Pandemie anbot, Lohnkosten zu 75 Prozent zu übernehmen, tat es dies unter der Bedingung, dass die begünstigten Firmen keine betriebsbedingten Entlassungen vornehmen dürften. Die dänische Regierung weigerte sich auch, solche Unternehmen zu retten, die in Steuerparadiesen registriert sind, und verbot es, staatliche Rettungsmittel für Dividenden und Aktienrückkäufe zu verwenden.
  • In Österreich und Frankreich wurden Fluggesellschaften unter der Bedingung gerettet, dass sie ihren CO2-„Fußabdruck“ reduzieren.

Die britische Regierung hingegen verschaffte der Firma easyJet im vergangenen April Zugriff auf Liquidität in der Größenordnung von über 750 Mio. US-Dollar, obwohl diese Fluggesellschaft nur einen Monat davor 230 Mio. als Dividenden an ihre Aktionäre ausgeschüttet hatte. …

Ohne Auflagen läuft staatliche Hilfe Gefahr, schlechte Geschäftspraktiken zu subventionieren, von ökologisch nicht nachhaltigen Geschäftsmodellen bis zur Kapitalflucht in Steuerparadiese. Die britische Beurlaubungsregelung, nach der der Staat für bis zu 80 Prozent der Löhne und Gehälter zwangsbeurlaubter Beschäftigter aufkommt, hätte allermindestens mit der Bedingung verknüpft werden sollen, dass die Beschäftigten nicht entlassen werden dürfen, sobald das Programm ausläuft. Doch nichts dergleichen geschah.

Wir müssen weg von der risikokapitalistischen Mentalität

Der Staat kann nicht einfach nur investieren. Er muss einen Deal aushandeln, der stimmt. Um das zu können, muss er anfangen, unternehmerisch zu denken – wie ein Akteur, den ich als „entrepreneurial state“ bezeichne, und der, wenn er investiert, zugleich sicherstellt, dass er nicht nur die Risiken privatwirtschaftlicher Aktivitäten abfedert oder übernimmt, sondern auch seinen Anteil am Erfolg bekommt. …

Dabei geht es gar nicht in erster Linie darum, sich über den monetären Ertrag öffentlicher Investitionen Gedanken zu machen. Es geht vielmehr auch darum, dass der Staat, wenn er ins Wirtschaftsgeschehen eingreift, seine Interventionen an strenge Bedingungen knüpfen sollte, um sicherzustellen, dass sie dem öffentlichen Interesse dienen. Bei Medikamenten, die mit staatlicher Unterstützung entwickelt werden, sollte diese Investition bei der Preisgestaltung berücksichtigt werden. Die Patente, die der Staat erteilt, sollten klar umrissen und leicht zu erlangen sein, um auf diese Weise Innovationen und Unternehmergeist zu fördern, statt Anreize zu setzen, Renteneinkommen zu suchen.

Staatliche Entscheider sollten auch in Betracht ziehen, wie die Erträge ihrer Investitionen zur Förderung einer gerechteren Einkommensverteilung eingesetzt werden können. Hier geht es nicht um Sozialismus, sondern darum zu begreifen, worin die Quelle kapitalistischer Profite besteht.

Die gegenwärtige Krise hat neuerliche Diskussionen über ein allgemeines Grundeinkommen ausgelöst, wonach alle Bürger vom Staat regelmäßig eine für alle gleiche Summe ausbezahlt bekommen, unabhängig davon ob sie erwerbstätig sind oder nicht. Die zugrundeliegende Idee ist gut, aber das skizzierte Narrativ wirft Probleme auf. Da das allgemeine Grundeinkommen als „handout“, als Zuwendung gilt, verewigt es die irrige Vorstellung, allein der Privatsektor schaffe wirtschaftlichen Reichtum, statt ihn als einen – unter anderen – der am Wertschöpfungsprozess Beteiligten wahrzunehmen. Der öffentliche Sektor respektive der Staat gilt in dieser Sicht als bloßer Steuereintreiber, der Gewinne abschöpft, um sie in Gestalt sozialer Wohltaten umzuverteilen.

Eine bessere Alternative ist eine Bürger-Dividende. Bei diesem Verfahren transferiert der Staat einen bestimmten Prozentsatz des durch staatliche Investitionen geschaffenen Reichtums in einen Fonds, um die Erträge dann mit dem Volk zu teilen. Die Idee besteht darin, die Bürger unmittelbar an dem von ihnen geschaffenen Reichtum zu beteiligen.

  • So hat beispielsweise Alaska seit 1982 durch seinen Permanent Fund seinen Einwohnern eine jährliche Dividende aus dessen Öleinkünften gezahlt.
  • Auch Norwegen verfährt mit seinem Staatlichen Pensionsfonds so.
  • Kalifornien könnte als Sitz einiger der reichsten Unternehmen der Welt Ähnliches erwägen.

Als Apple, dessen Hauptsitz das kalifornische Cupertino ist, in Reno (Nevada) eine Filiale eröffnete, um davon zu profitieren, dass dieser Bundesstaat keine Körperschaftssteuern erhebt, entgingen Kalifornien fortan enorme Steuereinnahmen. Abgesehen davon, dass derartige Steuervermeidungstricks unterbunden werden sollten, könnte Kalifornien sich auch durch die Schaffung eines Staatsfonds der beschriebenen Art wehren. So könnte es, neben der Besteuerung der dort groß gewordenen Unternehmen, auch einen Teil des durch diese und ihre staatlich geförderten Technologien erzeugten Reichtums unmittelbar abschöpfen.

Eine Bürgerdividende gestattet es, in der Kooperation von öffentlichen und privaten Akteuren geschaffenen Reichtum mit der ganzen Gesellschaft zu teilen – sei es, dass dieser Reichtum natürlichen Ressourcen entspringt, die Teil der Allmende sind, oder einem Prozess, der kollektive Anstrengungen involviert, etwa in Form staatlicher Investitionen in pharmakologische Forschung oder Digitaltechnologien. Diese Art Dividende soll den Staat nicht etwa von der Aufgabe entbinden, das Steuersystem so in Ordnung zu bringen, dass es richtig funktioniert. Und schon gar nicht sollte er das Nichtvorhandensein solcher Mittel als Entschuldigung dafür anführen, dass er zentrale öffentliche Aufgaben und Einrichtungen nicht finanziert. …

Deutsche Erstveröffentlichung eines in der „Foreign Affairs“, 11-12/2020, erschienenen Textes. Die Übersetzung stammt von Karl D. Bredthauer.